Kid Rock


Ein böser Bube, fürwahr! Schreibt Autogramme am liebsten auf blanke Busen, sagt Sachen, die andere sich nicht mal zu denken trauen und hat damit auch noch Erfolg. Kid Rock ist Amerikas neuer Superstar.

KENNT NOCH JEMAND VANILLA ICE?

Wahrscheinlich nicht. Die Plattenindustrie versuchte vor zehn Jahren, den gut gebauten Bengel als weiße Antwort auf MC Hammer zu etablieren. Sauberer HipHop ohne „Bitches“, „Motherfuckers“ und „Uzis“. Weiß, harmlos und absolut sozialverträglich. Immerhin sprang dabei mit „Ice lee Baby“ ein 1 lil heraus, bevor Vanilla Ice, der wie Barbies Lieblings-Ken aussah und überdies mit einem auffallend schlichten Gemüt gesegnet war, wieder in der wohl verdienten Versenkung verschwand. Was dies alles mit Kid Rock zu tun hat? Nun ja: Als Kid Rock noch Bob Ritchie hieß, nahm ihn die Plattenfirma live Records unter Vertrag, um ihn als aalglatten Vanilla Ice-Klon ins Rennen zu schicken. Ritchie durchschaute das Schurkenstück, reichte nach dem Werk „Grit Sandwiches For Breakfast“ die Kündigung ein und erfand sich selbst neu: Als Kid Rock darf er seitdem so viele „Flicks“, „Dicks“ und „Pussies“ rappen, wie es ihm gerade beliebt. Es beliebt ihm recht häufig, und als die Plattenfirma vor der Veröffentlichung des Albums „Devil Without A Cause“ Bedenken anmeldet, lässt Kid Rock den Kämpfer raus: „So oder gar nicht“, lautet sein Verdikt. Er setzt sich durch, verkauft nahezu drei Millionen Exemplare und heimst in den USA sechsfaches Platin ein. In den Spanen „Beste Hardrock Performance“ und „Bester Newcomer“ springen zudem zwei Grammy-Nominierungen heraus – die perfekte amerikanische Erfolgsgeschichte nach dem Motto „Du musst nur an dich glauben“. Mariah Carey lässt grüßen. Dass Kid Rock – anders als die gute Mariah – dass Bett zeitweilig mit einem Plattenboss teilte, gehört allerdings in Reich der Fantasie. Wäre ohnehin nicht nötig gewesen. Denn den alles entscheidenden Glauben an sich selbst hat Kid Rock eimerweise intus: “ Ich wusste immer, wie gut ich bin , predigt er, „es war Sache der Industrie und des Massenpublikums, das ebenfalls zu kapieren.“ Sie haben kapiert. Weshalb der 27-Jährige sich nun über all die Dinge freuen kann, die das Leben eines Rockstars so erstrebenswert machen: „Man wird behandelt wie ein König. Luxushotels, Limousinen, persönliche Assistenten. Manchmal wünsche ich mir, dass ich diese Erfahrung mit meinen Kumpels zu Hause teilen könnte.“ Das würde die lieben Zurückgebliebenen in Kid Rocks Heimatstadt Detroit sicher freuen. Denn wer kann schon von sich behaupten, Autogramme bevorzugt auf üppigen Damenbrüsten zu hinterlassen: „Titten signiere ich am liebsten. Man muss sie auf eine bestimmte Art halten, damit man überhaupt darauf schreiben kann. Manchmal bedauere ich, dass mein Name nicht länger ist.“ Super Witz, ein echter Volltreffer. Da werden Jungenträume wahr. Und wenn Kid Rock dann noch auf die – zugegebenermaßen dämliche – Frage eines Kollegen, was denn das Beste an Groupies sei, mit einem herzhaften „dass man sie ficken kann“ antwortet, hört man das Schenkelklopfen aller Pubertierenden auch außerhalb von Kids Stammrevier Detroit. Die Frage, ob ihn der Erfolg verändert habe, verneint Rock natürlich entschieden. Man muss also weiterhin darauf warten, dass irgendein semiprominenter Zeitgenosse genüsslich behauptet, Kid sei zum Arschloch mutiert, seitdem die Kohle endlich stimme. Egal. Kid Rock ist weder ein Lügner, noch ein Arschloch. Er genießt schlimmstenfalls ein Leben im Klischee. Wozu eben auch gehört, dass er in London mal eben einen Auftritt geschmissen hat – drogenbedingt, wie es damals hieß. Hail, Hail Rock ’n‘ Roll.

Als Bürger von Detroit ist Kid Rock Teil einer langen Liste von exzentrischen Musikern, die uns die Autostadt beschert hat, vom Pfeil-und-Bogen-Tarzan Ted Nugent über den Junkie-Bodybuilder Iggy Pop bis hin zu den selbstmörderischen MC 5. „Natürlich gibt es eine direkte Verbindung zwischen diesen Rocklegenden und dem, was ich tue“, meint Kid Rock denn auch selbstbewusst, „immerhin bin ich mit dieser Musik aufgewachsen. Die Gemeinsamkeit besteht wohl darin, dass Musik aus Detroit immer auch die Musik der amerikanischen Arbeiterklasse war. Man wird als Musiker eben immer von seiner unmittelbaren Umgebung beeinflusst.“ Doch auch zwischen Detroits aktuellen Größen herrscht offensichtlich ein reger Austausch, Eminem beteiligte sich an Kid Rocks Song „F“k Off“, während die Insane Clown Posse bei „Carnival Of Knowledge“ auf Kid Rocks Mithilfe zurückgreifen konnte. Es tut sich also eine ganze Menge in Detroit, aber warum ausgerechnet Kid Rock in die kommerzielle Premier League aufstieg, ist ihm selbst ein Rätsel: „Keine Ahnung. Das Publikum wollte offenbar ursprünglichere Crossover-Klänge hören als die, die bislang populär waren. Bands wie Korn und Ümp Bizkit sind richtig gut. Aber ihre Mischung aus Rap und Rock orientiert sich eher an Letzterem, während bei mir der Schwerpunkt eindeutig auf dem Rap liegt.“ Kid Rock tritt mit einem kleinwüchsigen Mann auf, der loe C. heißt und etwa einen Meter misst. Zwergenarbeit zum Zwecke der allgemeinen Erheiterung? „Das ist Entertainment“, meint Kid Rock, „und wer keinen Humor hat, sollte besser nicht zu meinen Shows kommen oder meine Platten kaufen.“ Welche Art von Humor man braucht, um auf den Kid aus der Autostadt abzufahren, stellt auch der doppeldeutige Titel seines aktuellen Werkes klar: „The History Of Rock“ nennt sich Kid Rocks Compilation der Jahre 1991 bis 2000, die er gemeinsam mit seiner Twisted Brown Trucker Band einspielte. Wer sich an Kid Rocks I lumor aus Überzeugung reibt, wer also einen Kleinwüchsigen als Bühnenstaffage für geschmacklos hält, Autogramme auf weiblichen Geschlechtsorganen als frauenfeindlich empfindet und das männliche Cenital – wie im Biologieunterricht gelernt – stets als Glied bezeichnet, wird kaum zum Freund des Emporkömmlings aus Detroit werden. Doch in einer Zeit, in der beinahe alles möglich sein soll, scheint „Political Correctness“ ohnehin nur noch etwas für missgelaunte Studienräte und Menschen ohne Kabelanschluss zu sein. „Ironie!“ schallt es von überall her, weshalb man so richtig auf die Kacke hauen darf. Aber irgendwann nutzt sich auch das ab. Irgendwann hat sich jeder brave Studienrat über einen vorlauten Bengel geärgert, der laut und provokant vom Ficken singt. Und dann beginnt die Langeweile.