Kind sein, Kind bleiben


Sie haben sich Ferien gegönnt, doch jetzt wollen es die kalifornischen Platzhirsche des Pop-Punk wieder wissen : splinter, das siebte Album von The Offspring, be- dient Erwartungen und lockt mit sonnig- lässiger Surfer-Attitüde, tex chris wiesner

Surfen. Immer nur Surfen. Beinahe Vierzig und trotzdem leben wie Robby Naish in seinen verrückten Tagen. Lange Diskussionen über die perfekte Finne, die ultimative Tube, den Flow des abgerittenen Wellenkammes: So sieht die Lebenserfüllung des Dexter Holland aus. Zumindest für eine gewisse Zeit war das so. Ein Dasein aus dem Bilderbuch: Lange schlafen, Freundin knuddeln, frühstücken und runter zum Wasser in Huntington Beach, dem Surfermekka von L.A.. Im Anbau seines feschen Hauses ein kleines Studio, in der Garage hübsche Autos, in der Tiefkühltruhe mehr, als man in einem Monat essen kann. Punk? Nuja. Wie man’s nimmt. Seine Band hingegen, die mit mehr als 32 Millionen verkauften Alben die wohl erfolgreichste Karriere in der Geschichte des schnell gespielten Powerpop hingelegt hat, ist noch immer Punk. Da ist er sich sicher. „Die Leute hoben sich schon immer gefragt, wer denn nun wirklich Punk ist. Uns hat man immer vorgeworfen, dass wir überhaupt nicht Punk sein können, weil wir viel zu kommerziell sind. Jetzt fragen sie uns?.Ihr als Punk-Urväter: Würdet ihr sagen, dass Bands wie NewFound Glory oder Sum 41 noch etwas mit Punk zu tun haben?‘, und ich denke mir nur:. Mein Gott, hört diese Diskussion denn nie auf?‘ Natürlich sind diese jungen Bands Punk – sie sind das, was wir vor zehn, fünfzehn Jahren waren. Einenguten Popsong zu schreiben bedeutet noch lange nicht, doss du deine Einstellung zum Punk verloren hast. Es ist nichts, was sich gegenseitig ausschließen würde.“

Die Jahre: Ein beherrschendes Thema für Herrn Holland. Immer wieder kommt er drauf zu sprechen, sinniert über die Unbill des Älterwerdens. Fast 40 Jahre auf der Welt, die Hälfte davon bei The Offspring, seit immerhin einer Dekade an der Spitze des Erfolges. Für einen war’s denn auch genug: Drummer Ron Welty verließ die Band während der Auszeit; nicht im Streit, einfach so. Es war genug. „No badfeelings“, kommentiert Holland, zumal der Ersatz – Atom Willard von Rocket From The Crypt – schon gefunden und eingespielt wurde.

Hat SICH SOnSt nOCh was verändert? Fühlt man sich noch immer jung genug für all den Zirkus? „Natürlich trage ich mich auch hin und wieder, ob ich mich mit 40 noch auf eine Bühne stellen und Songs wie ‚Bad Habit‘ singen kann. Aber das ist am Ende völlig egal. Es geht um die Frage, ob die Energie noch immer in dir ist, so etwas zu singen. Ich liebe es, in dieser Band zu sein. Ich liebe es, gerade weil sie mir die Energie gibt, noch immer inspiriert und authentisch zu sein.“ Kannst du dir vorstellen, jemals erwachsen zu werden? „Nein, absolut keine Chance. Vielleicht ist das auch der Hauptgrund, warum ich überhaupt noch in der Band bin – hier kannst du Kind sein. Das Kind im Manne zu verlieren ist eine erschreckende Vorstellung. „

Ein erklärtes Kind also, dass zu Kindern spricht, Leitfigur, Vorbild und Identifikation sein soll: Der große Bruder, der so alt ist wie der Papa, aber lebt wie der beste Kumpel – ein Traum für Kids. Diese Rolle werden sie wohl auch nie mehr los. Holland weiß das: „Man versucht immer, uns in einer bestimmten Weise wahrzunehmen. So funktioniert das eben. Britney Spears wird wohl auch nie davon loskommen, dass man sie nach ihrem Sex-Faktor bewertet, da kann sie ’ne Klassik-Platte machen. Genauso werden wir in der Wahrnehmung der Medien immer die lustigen kleinen Pop-Punks bleiben. Das kann schon frustrierend sein, ober so funktioniert das Geschäft. Dir bleibt nur. so natürlich wie möglich zu sein und zu hoffen, dass die Leute draußen das auch wahrnehmen.“ Am Ende sind also auch sie erwachsener geworden. „Sag niemals dieses Wort in meiner Gegenwart! Erwachsen – wie das schon klingt! Ich hasse diesen Begriff.“ Er lacht sein schrulliges, keckerndes, aber höchst ansteckendes Lachen. Mein Gott, muss sein Leben schön sein. „Ist es auch!“, platzt es heraus. „Ich bin einer der glücklichsten Bastarde, die je das Licht der Welt erblickt hoben.“

Zum Glück kam Geschick. Wir erinnern uns: Drittes Album, smash, 1994- Eine Band unter vielen, die Punk lebt, aber Pop musiziert. Und den Ton der Stunde trifft. Eine Single: „Come Out And Play“, ein catchy Wellenreiter des zeitgeistigen Pop-Punk-Trends, und ein geradezu visionärer Titel, der The Offspring bis heute als Maxime dient. Denn auf den Grundgedanken von splinter angesprochen, fällt Dexter nicht viel ein. Außer:

„Die Musik sollte möglichst gerode heraus, nach Spaß, einfach unkompliziert klingen. Das war das einzige, worüber wir nachgedacht haben.“ Eben: Come out and play.

Viele werden jetzt sagen: Das ist zu wenig. Reicht das aus für eine Band, die seit zehn Jahren nie weniger als drei Millionen Exemplare von einem Album verkauft hat? Die „ganzen Generationen von Nachwuchsbands eine Richtung und ein Ziel vorgibt „, wie Garbage-Sängerin Shirley Manson in ihrer Laudatio bei den letztjährigen Kerrangl-Awards glaubte? Wer die neue Platte hört, findet nur eine Antwort: ja. Sicher: splinter, in allen Facetten ein Offspring-Album, ist eindeutig, simpel, geradlinig, ein beherzt nach vorne boostender Dreiviertelstundentrip durch die Welt der cheesy Hooklines.

Das ist alles. Aber eben auch genug. Das ist Pop um des Pop willen. Es ist das, was The Offspring am besten können: Unendlich unkomplizierte und dennoch niemals anbiedernde Chartsmusik mit ordentlich Schmackes im Gebälk, so einfach wie Kinderlieder. Doch dabei: glaubwürdig. Weil sie sind, wie sie sich geben.

Nur: Was genau ist daran jetzt noch Punk? „Wir singen nicht über Punk. Das ist etwas, das man nicht dadurch beweisen kann, dass man darüber singt. Entweder du bist es oder nicht“, sagt Dexter, plötzlich ernst. Ein Moment mit Seltenheitswert. Denn ernst sein, nachdenklich sein, am Ende gar politisch sein ist nicht seine Welt. „Politik interessiert uns nicht.“ Kinder eben. Dabei ist es doch gar nicht so einfach, heutzutage überhaupt keine politische Meinung zu haben. Irgendeine Einstellung zu Bush und seinem Gebaren muss man doch haben? „Das wird mir jetzt zu konkret, darüber habe ich nicht viel zu sagen.“

Ihre „Politik Sieht anders aus sie verpacken sie in kleine Neckereien, die dann plötzlich eine höchst politische Ebene bekommen. Das war damals so, als sie auf ihrer Homepage „Napster „-T-Shirts anboten Iwas gerichtlich verboten wurde), weil sie sie „mit ihren Fans teilen wollten.“ Und das war nun wieder so, bei splinter, das ursprünglich „Chinese Democracy“ heißen sollte und sie erneut vor den Kadi brachte, weil ein latent verwirrter ex-Superstar namens Axl Rose seit über zehn Jahren ein Album gleichen Namens ankündigt, mithin Urheber-Rechte anzumelden hatte.“Das war ohnehin nur ein Witz. Ich mochte den Titel eh nie wirklich. Axl kann ihn wieder haben. Aber mein Freund ist er jetzt nicht mehr.“

Das ist wohl die schlimmste Bestrafung, die The Offspring, die Verkünder des finalen Spaßes, auf Lager haben: Du bist nicht mehr mein Freund.

Sollte das mit splinter wider Erarten nichts werden, sollten sie gar den ersten Flop ihrer Geschichte hinlegen, wäre das auch nicht der Weltuntergang. Im Gegenteil: Der Plan ist laut Dexter schon in trockenen Tüchern: „Man hat uns immer vorgehalten, wir seien die Boygroup des Punkrock. Sollte das Album ein Flop werden, werden wir uns exakt so verhalten: Auflösen und versuchen, Solo-Karrieren zu starten. „Und wieder ist es da: das herzliche Lachen eines großen Kindes.