Knistern in der Atmosphäre


Wohin die Reise im Indie-Rock geht, blieb auch 2000 unklar. Trotzdem oder deshalb: Die Stimmung ist gut.

Alles wächst zusammen, harmonisiert und fusioniert miteinander, nur „der klassische Indie-Pop zerfällt immer mehr in diverse Subgenres“‚. Die Folge ist „Vielfalt und Unübersichtlichkeit“ 2 . Die „Anything Goes“-Attitüde verwischt aber nicht selten jeglichen erkennbaren Stil und führt zu „Konturlosigkeit“ 3.

Es genügte 2000 kaum mehr, mit Gitarre, Bass und Schlagzeug eine „Alternative“ zur süßlichen Charts-Klangtapete abzuliefern, einen prägnanten Song zu schreiben und mürrisch gegen das Establishment anzusingen. Es muss heute schon mehr sein, um in diesem Wust an Informationsmedien eine Duftmarke zu hinterlassen. Und so wurde allerorten der Instrumentenpark hochgefahren bis zu veritabler Orchesterstärke (Godspeed You Black Emperor, Lambchop) oder komplett zusammengestaucht zur Solo-Performance (Peaches, B. Morgenstern).

Die gute alte Indie-Beat-Band hat es schwer in diesen Tagen, sofern sie nicht sportswearkompatibel und videogerecht omnipräsent ist und zudem über ein Label mit langem Marketingbudget-Atem verfügt. Dabei war es noch nie so leicht wie heute, Hitparadengeschichte zu schreiben, und mancher Indie-Jünger träumte angesichts der Chartsplatzierungen von Boss Hog, Calexico oder der reformierten Go-Betweens wieder einmal von einer besseren Welt, doch die Wirkung hält nicht lange an, denn die Kugel dreht sich immer schneller. Was gestern noch zur Zukunft der Rockmusik gekürt wurde (Surrogat), spielt zum Ende des Jahres schon wieder in kleinen Insiderclubs. Kontinuierliche Aufbauarbeit ist kaum mehr möglich, und wo die alten Indie-Fans aus den 80er und 90er Jahren massenweise in Arbeit und Familie aufgehen, wächst beim Nachwuchs nichts mehr nach.

Doch die Lage ist alles andere als aussichtslos, denn zum einen setzen einige „frische“ Acts wie Modest Mouse, Clinic oder die Magnetic Fields ohne Rücksicht auf den Zeitgeist deutliche Akzente, zum anderen könnte der sich rapide verändernde Absatzmarkt neue Potenziale freisetzen. Das Internet-Label als dringed nötiger „Geschmacksfilter“ 4 birgt genauso Chancen wie im Zuge der Konzernzusammenschlüsse die Einschätzung, dass „Große immer größer und meist auch risikoärmer arbeiten, die Spezialisten dadurch wieder stärker werden“ 5.

Und musikalisch? Die Resteverwertung wird weiter gehen, neuartig kombinieren und zusammensetzen ist gefragt, alte Helden werden immer wieder auftauchen (wo bleibt eigentlich die Pixies-Reunion?), die Rootsmusik wird sich weiter in alle Bereiche ausbreiten, „die Beach Boys werden noch größeren Einfluss haben“ 6 , „viel Neues wird aus Frankreich kommen“ 7 und der US-Post-Hardcore/Emo-Core seinen Siegeszug in die Hochglanzmagazine antreten.

Desweiteren bleibt zu beobachten, ob Sigur Rós und Konsorten nach dem Hoch des Post-Rock jetzt ein Revival des Prog-Rock einleiten werden. So langweilig kann es also gar nicht werden, es soll ja von fachkundiger Seite gar schon „ein Knistern in der Atmosphäre, das mehr als nur die Ruhe vor dem Sturm ist“ 8 vernommen worden sein.

1 Dirk Bremshey, Vertriebsmanager Zomba.

2 Rembert Stiewe, Labelmanager Glitterhouse,

3 Arne Geesemann, Labelmanager Nois-O-lution,

4 Alan McGee, ex-Labelchef Creation, jetzt Poptones,

5 Gregor Stöckl, Marketingmanager Virgin,

6 Christoph Ellinghaus, Labelmanager City Slang,

7 Andreas Schaffer, Labelmanager Clearspot,

8 Willy Ehmann, Geschäftsführer V2