Konstantin Wecker


Anfang 1977 noch wurde Konstantin Wecker das Theater an der Münchner Leopoldstraße als Tourneestart verweigert. Begründung: er sei künstlerisch zu „unbedeutend“. Nur ein Jahr später kann der 30jährige Song-Poet aus der Isarmetropole sich vor Anerkennung und Angeboten kaum mehr retten. Sein Domizil im häßlichen Industriegebiet des Münchner Vororts Eching ist im Begriff, zum Mekka der bundesdeutschen Musik und Kulturkritik zu werden. Kein Wunder: „der Wecker“ gehört zu den ganz wenigen, die wirklich etwas zu sagen haben in der deutschen Pop-Landschaft – auf der Bühne genauso wie auf Schallplatte. Und er hat -Gott sei dank -Erfolg, obwohl sein Herz am rechten Fleck schlägt – nämlich links.

Der unerwartet, wenn auch nicht unverdient über Konstantin Wecker und sein Team hereingebrochene Erfolg hat alle Betroffenen ratlos zurückgelassen. „Wir haben nie damit gerechnet“, bekennt der ebenso stämmige wie sensible Bayer, dessen politisches Gewissen sich deutlich in seinen Songs niederschlägt. „Wir haben nie damit gerechnet, daß gerade der ‚Willy‘ einmal im Funk gespielt werden würde. Schließlich sind die Medien ja mit die Hauptschuldigen an den Terroristenpsychose und überhaupt am restriktiven Meinungsklima im Lande. Wenn die mich jetzt beklatschen und meine Songs senden, dann ist das eine einwandfreie Alibigeschichte. Aber ich bin dankbar für so ein Alibi, weil’s mir die Möglichkeit gibt, das Maul aufzumachen.“ Wecker hat das Maul schon immer aufgemacht, aber nie so unmißverständlich wie auf seiner letzten Langspielplatte. Titel: „Genug ist nicht genug“. Zwei Songs sind es besonders, die von schwarzbraunen Scharfmachern in unserem Staate zum Anlaß genommen wurden, ihn in die „Sympathisanten“-Ecke zu stellen. Da ist zum einen das ironische Lied „Es herrscht wieder Frieden im Land“. Es ist der Bundesrepublik auf den Leib geschrieben: einer Republik mit der Unfähigkeit, politkriminellen Herausforderungen angemessen und liberal begegnen zu können, und es benennt den Nährboden, auf dem das aktuelle deutsche Dilemma gedeiht: spießige Bürgerseligkeit und politisches Duckmäusertum. „Ich habe das Stück schon vor über zwei Jahren geschrieben“, sagt Wecker, „als die großen Terrormorde noch nicht stattgefunden hatten und auch die Repression hier im Staate noch nicht so deutlich war. Ich habe da was geschrieben, was dann konkret eingetreten ist. Ich glaube, daß Leute, die kreativ sind, oft feinere Antennen haben als ihre Mitmenschen. Das kann dann schon mal zu einer Art von prophetischer Sicht führen. Man schaue sich daraufhin nur mal die große Garde von Schriftstellern an, die Hitler und seine Grausamkeiten geahnt hat.“

Lähmender Friede

Neben dem „Frieden im Land“, dessen lähmendes Arrangement Angst und Kälte atmet, gibt es noch ein zweites Stück, das Konstantin Wecker „über Nacht in die Kategorie der Biermann, Lindenberg und Heller“ (Der Spiegel) hat aufrücken lassen: die Ballade „Willy“. Rocklexikon-Herausgeber Siegfried-Schmidt-Joos verglich ihre Aussagekraft im Deutschlandfunk mit Dylans „Like A Rolling Stone“ und „My Generation“ von den Who: „Nur ganz wenigen Pop-Poeten ist es bisher vergönnt gewesen, die Stimmung einer ganzen Generation in einem einzigen Lied einzufangen… ‚Willy‘ ist das vielleicht bemerkenswerteste Stück politisch-psychologischer Pop-Poesie, das es heute in der Bundesrepublik gibt.“ Dabei ist „Willy“ ein fast autobiographisches Stück. Seine tragische Titelfigur, ein desillusionierter APO-Kämpe und Wecker-Freund, war in einer Kneipe im Münchener Bahnhofsviertel schwer zusammengeschlagen worden, als ein beschränkter Wirtshaus-Demagoge („klein, schwammig, braun“) das Horst-Wessel-Lied anstimmte. „Halt’s Maul, Faschist“, hatte der Willy gebrüllt und war daraufhin von einem von den hinteren Tischen mit einem abgebrochenen Bierglas niedergemacht worden. In seiner bayrisch vorgetragenen Song-Fabel hat Konstantin Wecker den Tod draus gemacht: „Das ist ein Lied, das meine Generation beschreibt, die seit der Studentenbewegung, seit 1970 aufgegeben hat, und das gleichzeitig auch die andere Generation beschreibt, die inzwischen wieder Oberwasser gewonnen hat und nun meint, immer reaktionärer werden zu können. Natürlich ist es ein resignatives, ein häßliches Lied, aber dadurch, daß man überhaupt sowas singt, kann das eine Aufforderung zum Kampf, zum Weitermachen, zum Durchhalten sein.“ Es stimmt: mehr noch als auf Platte gerät der „Willy“ auf der Bühne zum vitalen Durchhalteappell eines kritischunabhängigen Geistes, der sich als Antifaschist und Anarchist verstanden wissen will, sich in Deutschland keiner Parteilinie zugehörig fühlt und auch für die organisierte Linke im Lande nicht viel übrig hat („Was mich am allermeisten schreckt, ist ihre Lustfeindlichkeit und ihre Unfähigkeit, sich selbst und ihre Ideologien infrage zu stellen“). Künstlerisch und ideell verbunden fühlt sich Wecker eigentlich nur Wolf Biermann und Hans-Dieter Husch („der beste Wort-Mann in der deutschen Kleinkunst-Szene“), wenngleich starke Einflüsse auch vom frühen „Schmuddelkinder“- Degenhard stammen und aus dem schwarzen Wiener Humor eines Georg Kreisler. Dessen Geist hatte Weckers erste, atypische und schaurig-makabre Langrille beflügelt („Sadopoetische Gesänge“, 1974), die demnächst wieder angepreßt werden soll. Ebenfalls vergriffen ist ein Live-Album. Zwei weitere LP’s („Ich lebe immer am Strand“, 1974 und „Weckerleuchten“, 1976) dokumentieren eindrücklich seine künstlerische Entwicklung, die im letzten Jahr dann in „Genug ist nicht genug“ gipfelte: formal weg von eingängigen Blues- und Rock-Schemata, hin zu komplexen Arrangements, bizarrer Instrumentierung (Cello, kein Schlagzeug), zu gesprochenen Texten. Inhaltlich ist Wekker, der als Junge ein glattes Dutzend Mal von zu Hause ausriß („Gitarre auf der Schulter nach Rom runter“) politischer geworden. Immer weniger seiner in lustvoller Liebe und leidigem Weltschmerz badenden Songs behandeln ihr Schlüsselthema, den gewaltsamen Ausbruch aus der Enge und Leere bürgerlichen Daseins, allein auf der Ebene individueller Befreiungsversuche. Der gesellschaftliche Rahmen wird wichtiger, in dem sich persönliche Miseren, Arbeitsplatz- und Eheprobleme abspielen. Aber – und das macht Konstantin Wecker so glaubwürdig und liebenswert – er ist dabei kein linker Moralist, keine Optimalperson mit erhobenem Zeigefinger. Seine Natürlichkeit, seine emotionale Wärme, seine Fähigkeit, sich pausenlos selbstkritisch zu belächeln, all dies strahlt bis in seine politisch-lyrisch-musikalische Arbeit hinein.

Chance für Talente

Seit geraumer Zeit werkelt Wecker zusammen mit drei Musikern, zwei Technikern und einer Sekretärin im kollektivistisch organisierten „Team Musikon“ in Eching. Demnächst will er im eigenen Studio auch Song- und Rocktalente fördern und produzieren, die auf dem kommerziellen Musikmarkt kaum eine Chance hätten, sich eigenwillig und kompromißlos zu entwickeln. Schließlich weiß er, daß sein eigener Durchbruch im deutschen Show-Gewerbe die große Ausnahme von einer tristen Regel war. Nämlich der Regel, daß Können und Redlichkeit allein ihren Mann nicht nähren.