Korn: Zurück zur Wut


Ihr letztes Album verkaufte sich nur mäßig. Um den Erfolg wieder zu finden, suchten Korn nach ihren Wurzeln - ohne Gesangsunterricht, Produzent und Radio-Hit.

Die Pioniere des NuMetal stehen am Scheideweg ihrer Karriere. Viele Fans nahmen den Titel ihres letzten Albums UNTOUCHABLES wörtlich und wandten sich anderen Acts zu. Dass die Platte ins Netz gestellt wurde und jeder Internet-Pirat sich seine Kopie brennen konnte, machte die Sache nicht besser. Deshalb traf man für TAKE A LOOK IN A MIRROR strenge Sicherheitsvorkehrungen: Niemand bekam vor Veröffentlichung etwas zu hören oder gar ein Vorabexemplar. Einzige Ausnahme: eine Prelistening-Session, für die Sänger Jonathan Davis und Gitarrist Munky (aka James Shaffer) eigens nach London flogen. Für UNTOUCHABLES hatten sie sich diese Mühe nicht gemacht und waren auch nicht auf Tour nach Europa gekommen.

Die Zeiten ändern sich: Korn promoten nicht nur ein neues Album, sondern planen auch gleich eine ausgedehnte Europatournee, die im März beginnen und bis zur Festivalsaison im Sommer dauern soll. Die Band – neben Jon und Munky Head (Brian Welch, Gitarre), Fieldy (Bass) und David Silveria (Schlagzeug) – existiert seit einer Dekade und steht fast genauso lang mit Texten über Qual und Folter und einer Lautstärke, die selbst Spinal Tap neidisch machen würde, an der Spitze des NuMetal. Für „Here To Stay“ bekamen sie einen Grammy („beste Metal-Performance“), und nebenbei schrieb David auch noch einen Track für die Serie „Twilight Zone“. Das neue Album enthält einen Song mit dem Titel „Ya Want A Single?“ – ein humorvoller Mittelfinger-Gruß als Antwort auf die Bitte ihrer Plattenfirma Sony um einen „Radio-Hit“. Gleich zu Beginn des Interviews stellt Jon klar: „Ya want a Single? Say fuck that.“ „Das ist echt komisch, wenn man mal darüber nachdenkt“, kommentiert Gitarrist Munky, „eine Heavy-Band wie Korn zu bitten, eine Radio-Single zu schreiben. Was haben die sich dabei gedacht?“

Wahrscheinlich das, woran die Herren in den feinen Anzügen immer denken – Profit. Jede Subversion unter Kontrolle bringen und in Produktform gießen – so läuft das nun mal im Spannungsfeld zwischen Kapitalismus und jeder Art unbequemer Musik. Aber Davis‘ Vocals auf Korns sechstem Studioalbum klingen anders als der (stimmtrainierte) Gesang auf UNTOUCHABLES: Das ist wieder das ursprüngliche Schreien, während die anderen vier Bandmitglieder versuchen, Lautsprecher, Kopfhörer oder gleich den Kopf des Hörers zu zerfetzen. Vielleicht steckt eine private Tragödie in Munkys Leben hinter den gewaltigen Riffs. Und Jon singt, wie man weiß, sowieso schon immer am liebsten „von schlechten Zeiten; es gab zwar auch gute Zeiten, aber ich singe nicht gern über sie. Das passt nicht zur Musik.“

Mit welcher Strategie seid Ihr in die Aufnahmesessions für TAKE A LOOK IN THE MIRROR gegangen?

MUNKY: „Es gab keinen Plan, wie das Album klingen sollte. Keine klare Vorstellung von der Richtung, die wir einschlagen würden. Als wir anfingen, hatten wir lauter große Refrains, große Melodien, epische Songs. Aber wir stellten fest, dass wir das schon vorher gemacht hatten, und beschlossen, was anderes auszuprobieren – schwere, dynamische Riffs. Das fühlte sich einfach natürlicher an. Außerdem ist meine Mum gestorben, und da fiel es mir leicht, gemeine und aggressive Riffs zu spielen. Ich war verletzt, traurig und wütend, und diese teuflischen Riffs zu schreiben, war meine Rettung.“

JON: „Die Hauptmotivation war, zu unseren Wurzeln zurückzukehren. Wir beschlossen, selbst zu produzieren und in einem Studio aufzunehmen, das zu meinem Haus gehört. Die ersten Songs flogen beim Proben nur so aus uns raus. Die Leute haben gefragt, ob wir einen namhaften Produzenten, ein riesiges Studio und ein enormes Budget wollten, aber das entsprach nicht unseren Vorstellungen. Wir hatten das schon, dieses Mal mussten wir uns der Herausforderung selbst stellen. Es war eine großartige Erfahrung. Wir waren auch untereinander viel kooperativer.“

MUNKY: „Ja, wir fragten Dave, ob er glücklich damit war, solche Beats zu spielen oder ob Fieldys Bass zu sauber klang. Dadurch haben wir uns auf eine Art und Weise geöffnet, wie es vorher nicht möglich war, direkt kommuniziert anstatt über den Prodzenten. Und wir sahen uns selbst in den Augen der anderen – daher auch der Titel des Albums.“

Jon, du hast eben dein Heimstudio erwähnt. Ist das immer noch auf der früheren „Dallas“- TV-Ranch?

JON: „Genau, das alte Ewing-Zuhause mit vier Gebäuden. Es war toll, dort zu arbeiten, ganz anders als in der sterilen Umgebung eines normalen Studios. Man kann einfach rausgehen und Pause machen und ist in einer sehr natürlichen Umgebung. Und das Beste: Es gibt keinen guten Satelliten- und Telephonempfang. Es gab wirklich nicht viele Störfaktoren, als wir das Album machten.“

Wie war das, als ihr das Album Medien und Fans vorgestellt habt?

MUNKY: „Total aufregend, die erste Reaktion der Leute mitzubekommen, kühl und unvorbereitet, aber trotzdem gingen sie ab. Egal wie viele Platten du verkaufst, es ist immer am spannendsten, unmittelbar zu sehen, wie die Leute auf deine Musik reagieren.“

20 Millionen verkaufte Alben waren es bei der letzten Zählung. Lässt da die Zufriedenheit nicht irgendwann nach?

JON: „Wenn man solche Reaktionen mitbekommt, ist es das alles wert. Bands sollten so was öfter machen; da sieht man Sachen, die man bei Auftritten nicht sehen kann. In riesigen Arenen oder Stadien zu spielen ist aufregend, aber anders. Das Tolle bei so kleinen Anlässen mit 300 Leuten ist, dass man das Weiße in den Augen der Fans und auch jeden im hinteren Teil des Raumes sehen kann.“

Die Prelistening-Session habt ihr auch deshalb gemacht, weil ihr vermeiden wolltet, dass dasselbe passiert, wie mit UNTOUCHABLES, das ins Internet gestellt wurde. Hat das damals sehr geschadet?

JON: „Ziemlich, würde ich sagen. Zuerst fanden wir es cool, dass die Leute so gierig darauf sind. Wir dachten, wir würden trotzdem noch ein bißchen Geld machen. Inzwischen habe ich eingesehen, wie sehr das die Industrie geschädigt hat. Alben zu produzieren kostet Geld, sie zu promoten und vermarkten kostet Geld. Wenn weniger davon da ist, fangen sie an, einem den Etat zu kürzen, so dass man weniger Studiozeit oder Werbung hat. Das beeinflusst die Qualität und die Verkäufe und tötet letztendlich das Business. Ich will mich nicht wie Metallica anhören (deren Feldzug gegen Napster Geschichte machte – die Red.), aber Fakt ist; dass es ohne Verkäufe keine Zukunft für die Musik geben kann.“

Wie sieht dein Privatleben aus, Jon? Machst du immer noch Sachen wie nackt Badminton spielen?

JON: „In meinem Privatleben ist alles prima, obwohl ich in letzter Zeit nicht nackt Badminton gespielt habe. Ich bin glücklich, verliebt, clean und trocken. Da auch noch das Album in den Startlöchern steht, könnte es mir gar nicht besser gehen.“

Was war die größte (berufliche) Enttäuschung in den letzten Jahren?

JON: „Dass ich auf den Tracks, die ich für den Soundtrack zu „Königin der Verdammten“ (mit der verstorbenen Aaliyah in der Hauptrolle – die Red) geschrieben habe, aus vertraglichen Gründen nicht singen durfte.“

Wenn ihr deprimiert oder frustriert seid, hört ihr dann eure eigenen Alben?

JON: „Ja, und dann fühle ich mich besser. Den Leuten kommt das vielleicht seltsam und selbstzufrieden vor, aber die Wahrheit ist, dass diese Songs wie mein Tagebuch sind, das Produkt eines seelischen Heilungsprozesses. Wenn ich sie geschrieben habe, um mit bestimmten Dingen besser umgehen zu können, wieso sollten sie mir dann nicht auch helfen, wenn ich mich schlecht fühle?“

Es hieß, ihr wolltet vielleicht einen Faith-No-More-Song covern …

MUNKY: „Wir haben darüber diskutiert, sogar über ein ganzes Faith-No-More-Coveralbum. Vergiss nicht, dass Mike (Bordin, Ex-FNM-Drummer, jetzt in Ozzy Osbournes Tourband – die Red.) auf Tour eingesprungen ist, als Dave verletzt war.“

JON: „Beim Soundcheck haben wir mit ein paar Songs rumgesponnen und ein Medley einstudiert, aber es ist nie etwas daraus geworden. Wer weiß, es könnte trotzdem irgendwann passieren, wenn auch nicht jetzt und nicht auf diesem Album. Wir haben diese Band immer geliebt.“