Kurz & Klein


Das Label Labrador veröffentlicht gefühlt jede nMonat zehn Platten, die klingen, als wäre das größte Problem unseres Planeten nicht die Klimakatastrophe, sondern ein Schwinden der Schwerelosigkeit. The Mary Onettes aus der schwedischen Kleinstadt Jönköping haften auf ihrem namenlosen Debüt wenigstens einigermaßen am Boden. Das sind eben so Romantiker, die Gedanken- und Geschmacksreisen in die 80er unternehmen, wo The Cure, New Order, The Jesus & Mary Chain für ein paar Jahre schon genug Gruppen waren, um eine schöne, selbstverliebte Zeit zu haben. Aber wenn man nicht aufpasst, ist man plötzlich auch A-ha, meine lieben Jönköpinger!

Und wenn wir nicht aufpassen, purzeln uns ausgerechnet Erasure aus den 80ern vor die Füße. Wie schockgefrostet, in einer schlimmen Zeit, in der ihre Ohrwürmlein im Radio zwischen zwei Stock-Aitken-Waterman-Produktionen tatsächlich noch als Annehmlichkeit fehlinterpretiert wurden, tuckern, fiepsen und schmalbrettsoulen sie auf ewig vor sich hin. Ich habe keine Ahnung: Gibt es (Schwulen-)Clubs, wo sowas wie Light At The End Of The World (Mute/EMI) tatsächlich noch läuft? Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass es dort weniger traurig zuginge als bei Discofoxabenden für Singles „um die 40“ in Erlebnisgastronomiebetrieben weit, sehr weit draußen vor der großen Stadt.

Wo es draußen vor der großen Stadt doch auch anderweitig Trost geben kann. Die Natur ist da ein big Spender! Schätze, dass Inara George und Greg Kurstin aka The Bird And The Bee eine Idee davon haben – von wegen ihrem Namen und auch ihrer Musik. Andererseits musizieren die beiden (Greg hat bereits mit dem Flaming Lips, mit Peaches und Lily Allen gearbeitet) in LA. Da ist nicht so viel Natur, oder? Und überhaupt: Trost? Ihr namenloses Debüt (Blue Note/EMI) tut es trotzdem, tröstlich sein, weil Vogel und Biene zwar ganz ausgepuffte Arrangeure sind, der Vogel Jazzklavier studiert hat und die ganze Popgeschichte mit gesundem Appetitt aufgefuttert. Aber dabei haben sie auch gelernt, dass die Beach Boys wie Belle &. Sebastian wie die Cardigans ihrer Musik möglichst viel Luft gelassen haben und lassen. Dieses Wissen setzen Vogel und Biene in sehr lieblichem Frühnachmittagspop um, dem böse Menschen tatsächlich Labels wie „Lounge-Jazz“ aufkleben wollen. Pfui!

Der Musik von Jon Rauhouse das Label „Feines Steel-Guitar-und-Hawaii-Gitarren-Dudeling, ebenfalls für frühe Nachmittage“ aufkleben zu wollen, wird beim Künstler nicht für große Klagen sorgen. Hat er doch seine wunderbar nostalgische Sammlung von eigenen Instrumentals und Songs von u.a. Cole Porter und Lalo Schifrin selbst Steel Guitar Heart Attack (Bloodshot/Indigo) getauft. Neko Case und Sally Timms singen u. a. mit, Calexico spielen wieder mal Backingband, Craig Schumacher hat produziert. Positiver lässt sich das Wort „wertkonservativ“ kaum besetzen.

Mit einem so dicken Lob kann man mal ein zweites Album gleich mit bedenken. Gilt doch für die namenlose, limitierte EP (inkl. Doku-DVD) von A Hawk And A Hacksaw & The Hun Hangar Ensemble (Leaf/Indigo) ebendies. Natürlich ist das astreiner Balkan-Folk. Das Hun Hangar Ensemble kommt aus Ungarn, streng genommen gehört das gar nicht mehr zum Balkan. Diese Platte des ehemaligen Neutral-Milk-Hotel-Schlagzeugers Jeremy Barns samt großem Gefolge dennoch entsprechend einzuordnen, ist jedoch bestimmt nicht verboten. Denn die Stücke aus Ungarn, Serbien, Rumänien sowie eigene treffen sich ungefähr in dieser Mitte. Wenn man diese aus Sehn- und Lebenssucht gedrehten Tänze hört, kann man Barns Sinneswandel gut verstehen: Das ist Musik, die sich ungefragt bei einem unterhakt.

Die Songs von Datarock würden sowas auch gerne können. Macht euch nichts draus, liebe Lieder vom Debütalbum Datarock Datarock (Young Aspi/Nova Media), in eurer Liga hakt man sich doch sowieso nicht unter. Da tanzt man solo. Zu Grooves, New-Wave-Sounds und trockenen Gitarrenriffs. Live mit unzähligen Livemusikern, Aerobictänzern und/oder Männerchor sollen die Jungens aus Norwegen ganz schön ein Partyfässchen aufmachen, wird berichtet. Auf Platte klingt das eher… niedlich – mindestens so sehr nach den Kings Of Convenience wie nach Devo. Zuletzt soll hier noch die Compilation Disco Deutschland Disco (Marina/Indigo) empfohlen werden. Disco, gar nicht so steifer Funk und (Schlager-)Phillysound aus D von 1975-1980 ist da drauf. Das ist natürlich auch ein ein wenig nerdiges Vergnügen. Aber auch ein dralles, zum Tanz anstiftendes, wenn man sich über ein paar Coolness-Codes hinweg setzt und die Musik mit sich machen lässt. Ich meine: Supermax, Amanda Lear, Marianne Rosenberg, Munich Machine, Silver Convention – fragt Onkel und Eltern: Das waren Namen!