Kurz & Klein


Beginnen wir mit zwei Legenden bundesdeutscher Nachkriegsunterhaltung. Klaus Schulze war 1970 genau ein Album lang Mitglied der wegweisenden Elektroniker Tangerine Dream und hat in den folgenden 37 Jahren mehr als 100 Tonträger veröffentlicht. Ab Mitte der 80er-Jahre klangen die nicht mehr ganz so inspiriert: So digitaler Trance-Scheiß war das, falsch verstanden „modern“ und wie für die „Love Parade“ gemacht, Kontinuum (Revisited/SPV) ist Schutzes neues Album mit drei Tracks, knapp unter 20 und über 31 Minuten lang. Und plötzlich ist er wieder ein Guter, produziert dunkle, ambiente Soundscapes, durch die sich glockenklare Sequencersounds ziehen. Vielleicht gefällt mir das deshalb, weil ich gestern Sonic Youth gesehen habe, wie sie auf einem Hippiefestival in München Daydream Nation gespielt haben.

Derbe Respect senden wir aus an Holger Czukay, der mit Can in den 70ern eine kleine Musikrevolution veranstaltet hat. Was die Legende zusammen mit der Sängerin U-She auf dem neuen Album 21st Century (Revisited/SPV) als Holger Czukay / Ursa Major veranstaltet, ist gar nicht mal so schlechter Elektronik-Pop, in dem die ein oder anderen Widerhaken und Fallstricke versteckt sind.

Wie passend, dass wir nach Herrn Czukay zu The Mooney Suzuki kommen. Warum? Das müssen Sie schon selber wikipediaen. Have Mercy (Exilia/RoughTrade) heißt das vierte Album der Band aus New York, die sich nie so richtig hat durchsetzen können im Indie-Revival der 00er Jahre. Zu Unrecht, wie diese Platte zeigt. Das ist hübscher angeglammter Power-Indie-Rock, der auch schon mal bis in die 60er-Jahre zurückgehen kann.

Die muss man live hören. Oder wenigstens live auf Platte. Echt jetzt. Dub Trio aus Brooklyn, New York, mit slayereskem Instrumental-Metal mit heavy Dub-Einflüssen. COOL OUT AND COEXIST (ROIR/Cargo) wurde live aufgenommen im „Union Pool“ in Brooklyn. Eine Merkwürdigkeit auf diesem Album: Das Seefeel-Cover „Extraxt“. Als ob sich, verdammt nochmal, noch irgendjemand an Seefeel erinnern könnte.

Das Tolle an Translated From Love (Ryko/Rough Trade), dem neunten Album der texanischen Country-Frau Kelly Willis, ist nicht nur, dass Chuck Prophet hier als Gitarrist mit rumtut, sondern auch die Coverversionen. Willis spielt Iggy Pops „Success“ (von Lust for Life) mit schönem 60er Vox-Georgele und Adam Greens „Teddy Boys“ mit 80er-Jahre-Quatsch-Synthesizer. Herr Green ist da ganz stolz drauf.

Das zweite Soloalbum des ehemaligen Destiny’s Child Kelly Rowland, Ms. Kelly (Columbia/Sony BMG), hat dasselbe Problem wie die meisten mit Produzenten und Gaststars überfrachteten HipHop-infizierten Hochglanz-R’n’B-Produktionen. Es gibt den ein oder anderen Track, der funktioniert (das Missy-Elliotteske „Like This (Featuring Eve)“, „Gotsta Go [Part 1]“, das von komischen Soundschleifen begleitet wird), aber am Ende der mit 46 Minuten doch erfreulich kurzen Spielzeit rufen wir ein halblautes „Booooooring!“ aus.

Das kommt davon, wenn man zu viel Exotica hört – das gleichnamige Album von Martin Denny aus den 5oern und den gleichnamigen durch das gleichnamige Album hervorgegangenen Musiksril. human HELL (Ata Tak/Broken Silence), das sechste Album von The Bad Examples, ist wunderbar zauberhafte, instrumentale Tiki-Listening-Music mit schön eingewobenen elektronischen Texturen.

Das ist zu viel Cocteau Twins auf engstem Raum. Nicht nur, dass Mahogany auf ihrem zweiten Album Connectivity! (Track And Field/Rough Trade) diesen fiebertraumhaften Cocteau-Twins-Tranquilizer-Morphium-Pop spielen, der schon damals nirgendwo hingeführt hat, hier gastiert/remixt Original Cocteau Twin Robin Guthrie, und Lucy Belle Guthrie, die gemeinsame Tochter der Original Cocteau Twins Robin Guthrie und Elizabeth Frazier, gibt hier ihr Gesangsdebüt.

Wahrscheinlich war der andere Nouvelle-Vague-Mann Oliver Libaux davon genervt, dass sein Kollege Marc Collin alle zwei Wochen Mix-CDs und Compilations auf den Markt wirft, und wollte „sein eigenes Ding durchziehen“. Das eigene Ding heißt IMBECILE (Discograph/Alive) und ist ein „als Musical angelegtes Konzept-Chansonalbum“ with a little help from Philipe Katerine (nebst Model-Gattin Helena Noguerra) und noch ein paar Lieblingen des französischen Feuilletons. Fluffiger Pop, chansonesk in Szene gesetzt. Für den Albumtitel gibt’s gleich schonmal die Höchstpunktzahl: A CHILD BUT IN LIFE YET A DOCTOR IN LOVE (Words On Music/Indigo). Aber auch die Musik von Magic Bullets, einem Sextett aus San Francisco, ist nicht von schlechten Eltern: ein komisches Gemisch aus Post-Punk-New-Wave-C86-Zeug mit Arcade-Fire-Gesang.

Bei Tiny Vipers handelt es sich um keine Band sondern um Jesy Fortino, eine Singer/Songwriterin aus Seattle, deren Gesang und Phrasierung ein bisschen an Joanna Newsom erinnert. Die Musik auf Hands Across The Void (Sub Pop/Cargo) könnte man als minimalistischen Anti-Anri-Folk bezeichnen. Man könnte auch „Death Metal“ dazu sagen. Das wäre dann aber gelogen.

Die „Sunday Times“, Entschuldigung: die renommierte „Sunday Times“, schrieb über Welcome Back To Earth (Sheer Group/Rough Trade) von Cassette: „One of the best rock albums to come out of South Africa.“ Jetzt muss ich zugeben, dass ich nicht ganz so nah dran bin an der Rockszene Südafrikas, aber ich kann guten Gewissens behaupten: „Welcome Back To Earth ist das beste Rockalbum aus Südafrika, das ich in diesem Jahr gehört habe!“ Was aber auch gar nichts daran ändert, dass das schon seltsamschlafmütziger Radio-Rock-Pop ist, den manche Leute als „Mädchenmusik“ bezeichnen würden. Ich würde das natürlich nicht tun.

Das Duo The Format nimmt ein bisschen Spät-6oer Brian Wilson, ein bisschen Beatles der Psychedelic-Ära (ohne den Psychedelic-Anteil) und ein bisschen Früh-70er Billy Joel inkl. Walzer und Akkordeon und macht daraus das Soft-Pop-Rock-Album Dog Problems (Nettwerk/Soulfood), das man ab dem 27. Juli im gut sortierten Fachhandel kaufen kann.

Irgendwas Bewusstseinsveränderndes muss drin gewesen sein in diesen zirkulierenden Gitarrenfiguren gestern beim Sonic-Youth-Hippiefestival-Auftritt. Vorher nämlich war PHANTOM POWER (CD: New Music Distribution, Download: Motor Digital) von Zehn Meter Feldweg ein ziemlich ekliges deutschsprachiges Indie-Pop-Album. Nachher ist das schon irgendwie flockiger Fußwipp-Schrammelpop. Und die Texte sind plötzlich auch ganz okay. Was ist nur passiert? Schaun wir mal, wie’s morgen aussieht.