Lady Screams The Blues


Chaka Khan versteht die Welt nicht mehr: Für einen Song, von dem sie sich öffentlich distanziert, erhält sie all den Applaus, den sie lieber für andere Talente bekommen würde. "I Feel For You" heißt der Auslöser- dem Blues und Soul in der Tradition einer Billie Holiday aber gehört ihre eigentliche Liebe. Peter Jebsen besuchte die Disco-Diva wider Willen in Atlantic City, Waring Abbott holte sie für uns ins New Yorker Fotostudio.

Chaka Khan, let me teil you what I wanna do, I wanna love you, wanna hug you, wanna squeeze you, too..“ Rappenderweise läßt Grandmaster Meile Mel auf der Hit-Single „I Feel For You“ seinen Phantasien freien Lauf und spricht dabei offensichtlich vielen (männlichen) Fans der kleinen, rothaarigen Sängerin aus dem Herzen.

Der jedoch ist die Anmache auf vinyl eher peinlich. „Ich mag diesen Rummel um meine Person nicht“, sagt sie mir vor einem Casino-Auftritt in der amerikanischen Glücksspiel-Metropole Atlantic City. Und außerdem habe sie mit der ganzen Hip-Hop- und Bre akdance-Sze ne überhaupt nichts am Hu Den Rap hatte Produzent Arif Mardin nämlich ohne Chakas Wissen in einer Nacht- und Nebelaktion aufs Band ? gezaubert. Alles in dem bewußten Bemühen, nach vier so ambitionierten wie erfolglosen Solo-LPs einmal einen echten Hit zu produzieren.

„Die Bosse bei Warner Brothers sagten ganz offen zu uns:, Entweder kommt ihr zur Abwechslung mal mit einer kommerziellen LP herüber, oder ihr könnt die ganze Sache vergessen.'“ Chaka Khan verließ sich auf diese sanfte Drohunq hin qanz auf Mardins stilistisches Fingerspitzengefühl.

Anf Mardin, der einst aus der Türkei in die USA ausgewandert war und dort in den vergangenen Jahrzehnten mit Produktionen und Arrangements von Aretha Franklin bis zu den Stones, von Wilson Picke» bis zu Willie Nelson Lorbeer sammelte, ging zunächst auf Nummer sicher. Er heuerte acht weitere Produzenten an und beschäftigte 21 Song-Autoren, um für jedes mögliche Zielpublikum mit dem rechten Titel aufwarten zu können.

Chaka Khans eigene Einflußmöglichkeiten waren bei dieser konzertierten Aktion gering:

„Ich mußte jedesmal in ein anderes Studio, wo ich zum fertigen Playback meinen Gesang aufnahm.“

Der Erfolg aber gebe Arif Mardin schließlich recht – und allen Vorwürfen, sie habe kreativen Ausverkauf betrieben, nimmt sie mit einem schlagkräftigen Argument den Wind aus den Segeln: „Ich bin schließlich noch diejenige, die singt! Ich würde gern einmal sehen, wie sich eine von diesen anderen Bräuten – Diana Ross. Donna Summer an einem meiner Songs versucht. „

und noch eins stellt sie klar: Wenn sie einmal nicht nur bei der Produktion Kompromisse machen müßte, sondern sich auch bei Song-Auswahl und Gesang weit unter Wert verkaufen sollte, würde sie eher ganz aufhören: „Ich singe lieber allein in der Badewanne, als etwas zu tun, zu dem ich mich in zehn Jahren nicht mehr bekennen könnte.“

Die Dame Khan, wohl unbestritten eine der besten Rhythm & Blues-Sängerinnen unserer Zeit, kann sich Selbstbewußtsein leisten. Das scheint ihr heute klarer zu sein als in früheren Tagen. Damals brachten ihr Unbeherrschtheit und Drogenexzesse, mit denen sie ihre Unsicherheit zu verdecken suchte, den unter vorgehaltener Hand verbreiteten Spitznamen „Chaka. die Schreckliche“ ein. Sie soll zeitweise so heftig zugeschlagen haben, daß – so will es jedenfalls die „Los Angeles Times“ wissen – mancher Insider bereit gewesen wäre zu wetten, daß „Chaka The Terrible“ ihren 30. Geburtstag nicht mehr erleben würde.

Heute ist sie 31 – und „immer noch unsicher, aber ich kann damit besser umgehen“, glaubt Chaka Khan, die unser Gespräch ohne den immensen Brandy-Konsum und das Kettenrauchen früherer Tage übersteht, ganz entspannt und offen. Sie fährt mit leiser, rauchiger Stimme fort:“.Meine .zwanziger Jahre‘ waren furchtbar, so etwas möchte ich auf keinen Fall noch einmal durchmachen.“

Die wilden Zeiten sind also vorbei, zum größten Teil zumindest, denn auch heute noch ärgern sich Promotion-Leute ihrer amerikanischen Plattenfirma manchmal über die verbale Zügellosigkeit der einstigen Mrs. „Naughty“ (LP-Titel).

Die Karriere eines geringeren Talents hätte durch die Extravaganzen der Vergangenheit sicherlich Schaden genommen. Doch eine zweite Chaka Khan gibt es nun mal nicht. Ob sie nun mit leichtfüßigem Gesang die schwierigsten Jazz-Klippen umschifft oder bei Rhythm & Blues und Funk mit stimmlicher Urgewalt den Adrenalinspiegel des Hörers hochtreibt – stets macht Yvette Stevens dem von ihr passend gewählten afrikanischen Namen „Chaka“ (= Feuer) alle Ehre.

Die Umtaufe geschah übrigens, als sich die singende Flammenwerferin zu Beginn ihrer Karriere neben endlosen Club-Gigs in und um Chicago eine Zeit lang auch an sozialen Aktivitäten der afroamerikanischen „Black Panther Party“ beteiligte.

Dennoch galt ihr Hauptinteresse von jeher der Musik, wobei sie trotz der ausgeprägten Blues-Szene ihrer Heimatstadt eher vom Jazz beeinflußt wurde: „Der Blues war höchstens unterschwellig vorhanden, gemocht habe ich diese Musik eigentlich nie. Die Akkordwechsel waren mir zu vorhersehbar, ich ziehe Anspruchsvolleres vor. Außerdem kann ich mit den negativen Blues-Texten nicht viel anfangen, ich mag es lieber positiv.“

Ihr Vater brachte sie mit Be-Bop in Kontakt, einer stilistischen Richtung, der sie sich noch heute gern widmet – wenn die Plattenfirma sie läßt (das letzte Mal 1982 auf der LP CHAKA KHAN mit einem Be-Bop-Medley).

1969. mit 16 Jahren, ging Yvette/Chaka von der Schule ab und tingelte durch die Lande: aus diversen Vorläufergruppen formierte sich dann drei Jahre später Rufus. Ihren ersten (und größten) Hit. den zeitlosen Klassiker „Teil Me Something Good“, schrieb Stevie Wonder.

Mit jeder der sechs gemeinsam aufgenommenen Rufus-LPs – in den USA allesamt mit Gold oder Platin bedacht – wuchs Chaka als Sängerin, bis sie 1978 den Sprung in die Solokarriere wagte. Gleich zu Beginn tat sie sich mit Arif Mardin zusammen:.. Wir hatten noch mit vier, fünf anderen Produzenten gesprochen, aber zu Arif hatte ich spontan den besten Draht. Er ist geduldig und ernsthaft, rundherum eine tolle Persönlichkeit. Das war am wichtigsten, noch wichtiger als seine eindrucksvolle Vergangenheit als Produzent.“

Ein paar Single-Hits gingen auf das gemeinsame Konto („I’m Every Woman“. „What Cha‘ Gonna Do For Me“). doch der künstlerische Erfolg übertraf oft den kommerziellen – wie bei der ’82er Neuversion von Dizzy Gillespies Jazz-Standard „Night In Tunisia“, das Arif Mardin um ein Original-Saxofonsolo von Charlie Parker aus dem Jahr 1946 herum arrangierte.

Chaka Khan blieb gleichzeitig stets in Kontakt mit Rufus; eine erneute Zusammenarbeit auf dem Live-Album STOMPIN‘ AT THE SAVOY bescherte ihr einen der selten gewordenen Pop-Hits seit der offiziellen Trennung („Ain’t Nobody“). Bis dann „I Feel For You“ daherkam, der Ausflug in die „Street-Music‘-Szene von New York City, wo Chaka Khan seit drei Jahren lebt.

Der Abschied von ihrer damaligen Wahlheimat Los Angeles fiel ihr nicht schwer:

„New York ist meine Lieblingsstadt. Punkt. Los Angeles als Stadt taugt höchstens für einen Besuch. Der Energie-Level, die geistige Stimulierung ist in New York viel höher, man ist dort nicht von Autos, sondern von Menschen umgeben.“ Außerdem, hier spricht die treusorgende Mutter, gebe es dort bessere Schulen für Tochter Milini (9) und Sohn Damien (5).

Und Chaka bietet die Stadt Gelegenheit, ihrer wahren Liebe, dem Jazz, zu frönen: “ Wenn ich selbst nicht arbeiten muß. ziehe ich durch die New Yorker Clubs und steige manchmal auch bei Bands, die ich mag, spontan mit ein. “ In ihre eigenen Shows für ein Pop- und Rhythm & Blues-Publikum schmuggelt sie denn auch noch nach wie vor einige Jazz-Songs ein.

Wenn der Casino-Auftritt in Atlantic-City ein Maßstab ist – und Chaka Khan versichert, sie bringe bei ihren regulären Konzerten das gleiche Programm -, dann hat sie sich als Performerin im Lauf der Jahre gewandelt. Sie arbeitet ohnehin nie mit der animalischen Energie einer Tina Turner oder der schlüpfrigen Anmache einer Sheila E. (die ihr hervorragendes Vorprogramm bei der Eröffnung der Prince-US-Tournee in Detroit mit einem halben Striptease garnierte), aber heute stehen für Chaka Khan die musikalischen Inhalte noch stärker im Vordergrund als Show-Effekte.

„Die Dinge laufen gut. es geht nach oben“, meint sie über ihre Zukunft, die ihr die nächsten fünf Jahre lang zwei Karrieren bescheren wird. Da die Plattenfirma ihr ein finanzielles Angebot machte, „das man nicht ausschlagen kann“, wird sie jedes Jahr eine Solo-LP und ein jährliches Album mit Rufus aufnehmen.

Das bringe genauso viel Spaß wie Arbeit mit sich, sagt die Frau, die nichts mehr fürchtet als die Stagnation: „Ich versuche, immer besser zu werden, musikalisch und als Person. Dieser Wachstumsprozeß wird nie abgeschlossen sein – da ich nie zufrieden sein werde.

Aber ich weiß heute, was ich wert bin; ich denke, ich kann mich jetzt relativ objektiv beurteilen: Ich bin eine der besseren Sängerinnen!“