Laibach


Ihr Auftreten erinnert die einen unangenehm an die Hitler-Jugend, andere sehen in ihnen weltfremde Spinner, Daniel Miller schließlich, Entdecker von Depeche Mode, nahm Laibach aus Jugoslawien für seine Firma Mute unter Vertrag. Faschisten hinter dem Mäntelchen von blockfreien Sozialisten? Als sich das absurde Electronic-Kollektiv auf der neuen LP LET IT BE an 11 Beatles-Songs vergriff, wollte es Thomas Böhm genau wissen. In Ljubljana kam er Ivan, Erwin, Milan und Dejan (gr. Foto v.l.) auf die Schliche: Hinter großen Posen stecken bescheidene Helden.

Nervös wackelt die alte Propellermaschine durch die dünne Luft. Unter uns breitet sich das herrliche Panorama der Alpen aus. Wir fliegen so tief, daß ich Angst habe, mit dem Arsch auf der Zugspitze stecken zu bleiben. Ich bin auf dem besten Wege nach Ljubljana, der Hauptstadt der jugoslawischen Teilrepublik Slowenien, das früher, als es ein Teil Österreichs war, Laibach hieß, jetzt über 300.000 Einwohner beherbergt, und, wie müder grellbunte Prospekt versichert, an der Sonnenseite der Alpen liegt.

Ich bin verabredet mit einer Gruppe, die sich Laibach nennt, die über die Alpen hinaus bekannt ist und die doch nur wenige verstehen. So befinden sich in meinem Handgepäck neben den üblichen Utensilien eine Menge Vorurteile: Finstere Gesellen sollen das sein, die ausgezogen sind, dem westlichen Publikum das Fürchten zu lehren, die verehrt und gehaßt werden, deren Shows und Habitus an faschistische Rituale erinnern, die mit befremdlichen Interpretationen von Opus‘ „Life is Live“, Queens „One Vision“ und als Teil von Zadeks skandalöser „MacBeth“ – Inszenierung den Ruf des Bösen erlangt haben.

Als ob das noch nicht genug wäre, dröhnt mir ihr neues Teufelswerk, eine sechsteilige Cover-Version von „Symphathy For The Devil“ in den Ohren, die Mick Jagger zum Unschuldsengel abstempelt. Laibachs Variation, egal ob als Disco-, House-, Industrial- oder als Marsch-Version, klingt wie die Hölle atmet.

Wir landen bei Sonnenschein. Die Stadt macht einen lebendigen Eindruck. Die Außenbezirke stehen im Zeichen der Industrialisierung, der Stadtkern mit seinen Renaissance-, Barock- und

-Jugendstilfassaden zeugt von den unterschiedlichsten kulturellen Einflüssen. Ljubljana ist die westlichste Stadt des Ostens und die nördlichste Stadt des Südens. Kaum ein Mensch ist auf der Straße, sie sind alle auf dem Friedhof. Allerheiligen heißt hier „Der Tag der Toten“.

Beim Empfang in der Hotelbar machen die vier Mitglieder von Laibach allerdings einen sehr lebendigen Eindruck. Man stellt sich vor, aber ich werde gleich mit dem höchsten Reinheitsgebot der Gruppe konfrontiert: Bitte keine Namen. Laibach sei ein Kollektiv, da zähle, zumindest nach außen hin, das einzelne Mitglied nichts. Das Kollektiv ist das Prinzip, die Kraft und die Hoffnung der Gruppe – und es war vor allen Dingen die einzige Chance, hier als Künstler voranzukommen.

Im Video-Studio wird mir ein Portrait des jugoslawischen Fernsehens über Laibach gezeigt. Es ist gleichzeitig die Geschichte der „Neuen Slowenischen Kunst“, einer mittlerweile 60 Mitglieder starken Organisation, die in den verschiedensten Kunst-Disziplinen zu Hause ist, aber im Hauptquartier NSK ihre ideelle Heimat finden.

Als Laibach mit ihrem Konzept in den Jahren ’80 bis ’82 an die Öffentlichkeit traten, schockierten sie ihre Landsleute – mit ihrem Namen, mit deutsch gesungenen Texten und mit einem großen schwarzen Kreuz, das böse Erinnerungen hervorrief, aber im ursprünglichen Sinne doch nichts anderes bedeutete als Liebe und Frieden. Ivan: „Das Kreuz ist ein Symbol für Freiheit. Es wurde nur durch die Zeiten verändert und von den Menschen für die verschiedensten Zwecke benutzt, mal als Rotes Kreuz, mal als Hakenkreuz. Insgesamt zeigt es die Geschichte der Menschheit auf und in diesem Sinne verwenden wir es auch.“

Nach einem kräftigen Abendessen wandern wir in die Betten. Außerdem geht es morgen ganz früh los: Wir wollen nach Trbovlje, dem Heimatort von Laibach. Auf der Fahrt durch die Berge, immer am Fluß Sava entlang, haben wir Zeit, dem anderen, neuen Produkt von Laibach zu lauschen. Der Titel: LET IT BE. Songs und Texte: Lennon/McCartney. Der Eindruck: Wenn Laibach einen bereits bekannten Song covern, bekommt er eine völlig andere Bedeutung, wirkt plötzlich fast schon authentischer als das Original.

Aber ich werde gleich korrigiert: Laibach covern keine Songs, sie korrigieren die Originale und machen sie quasi zeitlos. Sie benutzen die Elemente der Vergangenheit, denn um die Gegenwart und die Zukunft zu verstehen, müsse man die Vergangenheit kennen. „Back To The Future“ lautet ihr Slogan – und ihre musikalische Kunstform bezeichnen sie als „Retrogarde“.

Am Ende der langen Strecke taucht ein Stück ihrer Vergangenheit auf: Trbovlje, das Liverpool der Berge, die Quelle der jugoslawischen Arbeiter- und Widerstandsbewegung. Plötzlich ragt ein riesiger Schornstein aus dem Tal, die Natur ist unvermittelt mit einem grauen Teppich bedeckt, der aus den Zementfabriken quillt.

Wir fliehen zum geometrischen Mittelpunkt von Slowenien, einem 1200 Meter hohen Berg. Hochoben bläst uns ein eisiger Wind die Ohren trocken. Zur Jahreswende erklimmen die kräftigen Männer den Gipfel, um sich das alte Jahr von der Seele zu schreien.

Laibach erklettern den Glockenraum einer alten Kirche aus dem 14. Jahrhundert. Sie präsentieren sich in voller Jägermontur. Laibachs Sänger Milan hat sich seine rote Batschkapp aufgesetzt, auf der Stirn glänzt ein Edelweißzeichen. Hier in dieser Umgebung erhält die zunächst so reaktionär wirkende Aufmachung ihre eigentliche Bedeutung: Sie soll die Verbundenheit mit ihrer Heimat und der Tradition deutlich machen. Laibach als Drehscheibe zwischen Ost und West, zwischen Natur und Technik. Oder auf deutsch gesagt: Laibach als Mischung aus Ernst Mosch und Kraftwerk.

In der Gebirgshütte reicht man uns Slibowitz und Zimttee, flauschiges Weißbrot und deftige Gemüsesuppe. Ich betrachte mir die Hirschgeweihe an den Wänden. Auch sie sind Teil von Laibachs wuchtiger Performance. „Für uns bedeuten sie auch Freiheit – und sexuelle Kraft. Andere Gruppen protzen mit Plastikpenissen und anderen Phallussymbolen, unsere Teile sind immerhin natürliches Material. Mit jeder Schallplatte wachsen unseren Geweihen neue Hörner. Mit Faschismus hat das überhaupt nichts zu tun. Wenn sich irgendjemand provoziert fühlt, soll er die Zusammenhänge genauer studieren. Laibach, auch als Ideologie, hat mit Stalinismus und Faschismus absolut nichts am Hut.“ Vom Slibowitz aufgelockert verlassen wir röhrend die Berge. Dem letzten Tag gehört die Stadt. Laibach posieren vor den Symbolen ihrer Wahlheimat, wollen die Verbundenheit mit ihren Künstlern und Kunstwerken darstellen. Es ist immer dieselbe Pose, vor der FriedhofskapeUe, an den Säulen im Park, die für bedeutende Persönlichkeiten aufgerichtet wurden, vor dem Schweizer Haus im Tivoli Park, das einst als Zentrale der Partisanen fungierte, vor dem Denkmal, das den Widerstand gegen die Deutschen dokumentiert, vor dem Hintergrund des Stadtpanoramas…

Ein Nachtleben hat Ljubljana natürlich auch. Wir besuchen ein Konzert von Dinosaur Jr. und Rapeman. Die Szene ist gemischt. Zu solch einem Konzert kommen alle. Als Rapeman eine Version von „Sympathy For The Devil“ auskotzen, enteilen wir erschrocken in eine Discothek.

Donnerstag ist progressiver Tag. Sämtliche Stile werden durchgeheizt. House, HipHop, Heavy Metal und Noise, hier kennen sie alles. Ljubljana ist europäisch offen.

Laibach werden erkannt, sind aber zu ernsthaft, um einen Groupie-Schleim hinter sich herzuziehen. Außerdem taucht ab und zu die eine oder andere Freundin eines Laibachs auf, um dann gleich wieder im Hintergrund zu verschwinden. Nachts um zwei ist alles vorbei. Die Jugo-Viererbande marschiert geschlossen ab ins Bett, schließlich haben sich für morgen englische Journalisten angesagt. Ein Küßchen vom Kollektiv, dann möchte ich noch wissen, wie es für mich als Neu-Slowenen möglich ist, Mitglied der NSK zu werden?

Das wäre kein Problem, meinen Laibach, ich müsse nur einen anständigen Artikel schreiben…