Lambchop: Cowboyfreie Zone


Mit gleich zwei neuen Alben setzen sich Kurt Wagner und seine Nashville-Bigband Lambchop ein Stück weiter vom Country-Klischee ab. "Ich würde gern so eine Art Speedmetal-Bluegrass machen..."

Lastet ein Fluch auf Lambchop? Jedenfalls scheint Kurt Wagner, Songwriter und Zentrum der Band aus Nashville, Tennessee, ein unglückliches Händchen für Soulsänger zu haben. Auf dem vierten Lambchop-Album What Another Man Spills von 1998 sang der bis dahin als honigweicher Bariton-Crooner geläufige Wagner in wackeligem Falsett ein Covervon Curtis Mayfields „Give Me Your Love“ – wenig später starb der Soul-Hero nach langer Krankheit. Auf einigen Songs der zwei(!) neuen Alben Awcmon und Noyoucmon, die am 9. Februar erscheinen werden, geht Wagner so brummbärig tief wie noch nie – von Mayfield zu Barry White? White erlag im Juli diesen Jahres einem Nierenversagen. „Ja. sie sind mir beide gestorben!“, lacht Wagner, die oblitagorische Baseballkappe mit Tierfutterwerbung auf dem Kopf. Hornbrille auf der Nase und schiefe Zähne im Mund, die seinem Lächeln etwas Linkisches verleihen, das in einnehmendem Kontrast mit seiner sonoren Stimme steht. „Wirklich etwas unheimlich. Ich sollte aufhören damit. Ich werde mich jetzt nur noch an Tote ranmachen.“ Falsettgesang hat man seit zwei Alben nicht mehr von ihm gehört. „Nein, kein Falsett mehr. Das hab ich verloren. Wohl auch wegen der Dinger hier“, sagt Wagner und zündet sich noch eine Zigarrette an. Vagrant, obskure Marke. „Ja, wenn man mal bei hängen geblieben ist…“ Raucht er die schon immer? „Auf jeden Fall schon lange… 1976?“

Nein, ein junger Heißsporn ist er nicht mehr. Kurt Wagner, geboren 1958 in Bethesda, Maryland, has come a long way. Als Kind in den 60ern schicken ihn die Eltern zum Cello-Unterricht, zu Hause spielt er das sperrige Gerät zu Bubblegum-Popsongs im Radio. „Irgendwann hob ich das Ding auf den Schoß genommen und es gezupft. Ich wollte eine Gitarre. „Wagners Eltern ziehen mehrmals um, er lebt einige Jahre in der Soul-Hauptstadt Memphis, später unter anderem in Chicago, wo er die Urständ‘ von HipHop hautnah mitbekommt. Anfang der 80er zieht er nach Nashville. Wagner hat die Kunstakademie besucht und arbeitet als Maler, heuert aber zur Absicherung von sich und seiner Frau Mary 1985 bei einer Firma als Fußbodenleger an – ein Job, den er 14 Jahre lang behalten wird. „Ich hatte mein Leben lang in Bands gespielt“, brummt Wagner. „Punk, Indie, wüste Rockabilly-Sachen. Zuletzt war ich sechs Monate in einer Techno-Industrial-Band. Wir hießen Dessau, ich spielte Steel Ouitar, verzerrt, ein Höllenlärm. Am Ende war mir klar, doss ich keine Lust mehr hatte, die Sachen von anderen Leuten zu spielen. „1986 gründet er mit zwei Freunden seine eigene Band Posterchild. 1992 benennen sie sich nach Einspruch der Punkpopper The Poster Children in Lambchop um, 1994 – Wagner ist 36 – veröffentlichen sie ihr unerklärterweise zweifach betiteltes Debüt I HOPE YOURE SITTING DOWN / JACKS TULIPS. Album und Band sorgen gleichermaßen für ein Aufmerken in Indie-Zirkeln. Zum einen ist eine Indieband aus Nashville, dem Mekka des Mainstream-Country an sich schon ein Kuriosum. Und dann sind Lambchop auch nicht einfach eine Band: Das Ensemble ist über die Jahre zu einem zehnköpfigen Orchester aus Profi- und Hobbymusikern angewachsen, das Wagners Kompositionen und verschrobene, schwarzhumorig/melancholische Texte in ausgedehnten Jamsessions (die bis heute im engen Keller von Wagners Haus stattfinden] in Arrangements kleidet, die mit Bläsern, Streichern, Orgeln, Piano, Schrumm- und Twang-Gitarren sämige Nashville-Harimonik und Country-Strukturen mit der Wärme und dem Esprit von Soul und Jazz verquicken.

Das zweite Album How I Quit Smoking (nein, er habe damals nicht wirklich mit dem Rauchen aufgehört, räumt Wagner ein), eine spukig-betörende, mit samtenen Streicher- und Bläserarrangements ausgekleidete Elegie, etabliert Lambchop 1996 endgültig als stilbildende, originäre Indie-Institution und Wagner ais einen der feinsten Songwriter seiner Gilde. Die Tour zum Album führt die Band in fast kompletter Besetzung – ein Luxus, den sie sich erst viel später wieder würden leisten können – auch zum ersten Mal nach Deutschland. Die Bühne im klitzekleinen Münchener „Aluminium“-Club reicht im Herbst gerade so aus für Mann, Maus und Instrumente, hastig bewegen darf sich niemand. Vor dem Gewurle thront Kurt Wagner (aufgrund von ihn seit langem plagenden Rückenbeschwerden ist er von jeher ein Sitz-Frontmann), noch ein paar Pfunde mehr als heute um die Rippen, und preist – das Glas beim Spielen neben dem Stuhl geparkt – zwischen den Songs in leisen, aber immer blumiger werdenden Elogen die Vorzüge des Münchener Weizenbiers.

Es folgen im November 1997 Thriller mit ersten ungewohnt poppigen Songs und 1998 What Another Man Spills. auf dem Wagners Liebe zum Soul deutlich wie nie im Vordergrund steht, bevor sie auf dem famosen Nixon (2000) wieder in das zweite Glied einer homogeneren, funkelnden Melange zurücktritt. Diesem bis dato vor allem in Europa, wo Lambchop vergleichbar mit Kollegen wie Calexico, mehr gelten als in der Heimat – mit am meisten Aufmerksamkeit bedachten Werk folgt 2002 das Meisterstück Is A Woman. Das Album, ein klassischer Grower, fokussiert den ambienten Aspekt des Lambchop-Sounds; bei den hinreißenden Konzerten der ausgedehnten Tour steht die Frage im Raum, wie so viele Menschen so wenig Lärm machen können.

Jetzt also die Alben Nummer sieben und acht (Wagner wollte sie ursprünglich einzeln veröffentlichen, den Zahn hat ihm die Plattenfirma aber wohl aus finanzkalkulatorischen Gründen gezogen, jetzt erscheinen „zwei separate Alben in einer Verpackung, so wie Outkast das gerade gemacht haben). Wagner ist allein auf Interviewtour in Europa. Er spricht mit sanfter, unaufgeregter Stimme, ist freundlich, zuvorkommend, versprüht schalkhaften Witz und lacht viel, wirkt aber dennoch nicht so gemütlich ausgeglichen, wie man ihn sich vorgestellt hätte. Leicht gekrümmt sitzt er auf seinem Stuhl im Interviewraum bei Labels in Berlin und macht gute Miene zu einem altbekannten bösen Spiel: Sein Rücken hat sich in den zurückliegenden Reisetagen wieder böse krank gemeldet. Wohl nicht zuletzt ein Vermächtnis der Bodenlegerei, die er vor vier Jahren endgültig an den Nagel gehängt hat. „Vier Jahre ist das schon wieder her?“ lacht Wagner.

„Ich habe den Job damals unter anderem wegen des Rückens aufgegeben, ungern eigentlich. Ich hatte eine Heidenangst, ohne ihn finanziell nicht über die Runden zu kommen.“ Als Lohn der Angst winkten aber doch mehr Freiheit und Zeit? „Naja. Das habe ich erst auch erwartet: Jetzt habe ich alle Zeit der Welt!’Aber das war ein großes Missverständnis.“ Das Ende des day Jobs markierte den Einzug der zeitfressenden Mechanismen des Musikgeschäftes in Wagners beschauliches Leben.

„Früher hatte ich einfach nicht so viele Verpflichtungen in Sachen Musik, weil ich arbeiten musste. Ich konnte nicht viel touren und rumreisen, weil ich keinen Urlaub hatte, Punkt. Dafür war ich zu Hause und hatte Muße, Songs zu schreiben. Manchmal war man kaputter nach einem Arbeitstag, manchmal weniger, dos ging gut. Abends mit dem Laptop auf der Hausbank… „Wagner sagt, er kämpfe immer noch mit dem berühmten „cycle“ – Plattenproduktion, Promo, Tournee, Geschäftskram – und hat für seinen Geschmack entschieden zu wenig Zeit zu Hause, „für meine Frau. Für die Hunde.“ Die Hunde, in Lambchop-Artikeln oft angeführte Illustrationen des Wagner’schen Heimidylls. Wie viele hat er denn? „Als ich vor einer Woche wegfuhr, waren es noch drei“, lacht Wagner. „Jetzt sind es offenbar vier geworden. Meine Frau hat auf einer Müllkippe einen verwahrlosten Hund aufgelesen und päppelt ihn bei uns auf.“ Ein bisschen wirkt er wie Inspektor Columbo, wenn der von seiner besseren Hälfte erzählt. „Aber das geht eigentlich nicht. Für vier Hunde sind das Haus und der Garten wirklich zu klein.“ Eine Prise Heimweh flirrt durch den Raum.

Wagner erkannte, dass er sich die zeit für Kreativität von jetzt an aktiv sichern musste und erlegte sich eine „exercise“ auf. Immer wieder in den letzten anderthalb Jahren schaufelte er sich Zeiträume von mal drei, mal acht Wochen frei, die er exklusiv dem Songwriting widmete. Die Methode: One song a day, „wenn der Tag vorbei war, war auch der Song fertig, ob er wirklich fertig war oder nicht. „Unzählige Stücke, Skizzen, Texte. Demos entstanden in diesen Sitzungen, die Wagner mit einer Büro-Routine vergleicht. Die anschließende Arbeit mit der Band (von der zwischenzeitlich auf 13 Mitglieder gewachsenen Gesamtbesetzung arbeitet ein Kern von sechs bis acht Musikern an allen Songs, der Rest wird je nach verfügbarer Zeit hinzugezogen] zeitigte zunächst einen Katalog von Stücken, mit denen Lambchop bei Performances F.W. Murnaus Stummfilmklassiker „Sunrise“ (1927) vertonten. Zur Hälfte machen Songs aus diesem Projekt jetzt die beiden neuen Platten aus.

Die sind stilistisch wieder breitbandiger ausgefallen als das exzessiv elegische Is A Woman, Yoyoucmon enthält mit „Nothing Adventurous Please“ gar den vielleicht lärmigstrockenden Lambchop-Song aller Zeiten. Wagner sieht Awcmon/Noyoucmon als Essenz der Stimmungen der letzten drei Alben. Auffällig ist eine Häufung von Instrumentals. „Und die sind auch gar nicht alle aus dem ‚Sunrise-Soundtrack‘, betont Wagner. „Ich wollte diesmal einfach mehr die Band in den Mittelpunkt rücken, nicht nur so sehr meinen Gesang und die Texte.“ Besonders hebt er Gitarrist William Tyler hervor. „William ist seit vier Jahren dabei, ein junger, hungriger Gitarrist. So wie aufis a woman das Piano dominant war, ist es auf den neuen Platten sehr stark Williams Gitarre.“

Ja, eine Tour wird es geben, im Frühjahr, mit großer Besetzung. Aber jetzt freut sich Kurt Wagner sichtlich erstmal auf zu Hause und seine Ruhe, um schon wieder neue Sachen auszuhecken. „Was ich ja gern nochmal machen würde“, sagt er und zündet sich die fünfte Vagrant in dieser Dreiviertelstunde an, „wäre eine Art Speedmetal-Bluegrass-Ding. Bluegrass ist ja rasend schnell gespielte Musik. Und das nochmal schneller und richtig laut. Dazu musste ich holt die richtigen Leute finden. Ich weiß auch nicht, ob ich es noch fertig brächte, so hart zu rocken. Aber interessant wär’s.“ Und das ist wohl die Hauptsache.