Lasst uns tanzen -und dichten!


Am Anfang steht das Wort. Nicht nur beim lieben Gott. Auch für eine angestrengt konzeptionell arbeitende Band wie Mia. ist das eine wichtige Sache. Das Wort heißt "Zukunft", und die liegt auf dem Dancefloor.

Als darüber gesprochen wurde, wie das neue Album der Berliner Elektropopband Mia. klingen sollte, „da ist das Wort ,Zukunft‘ gefallen“. Sagt Ingo Puls. Der Gitarrist und Keyboarder ist jemand, der sonst eher wenig sagt. Und für gewöhnlich sagt Bassist Robert Schütze, genannt „Bob“, auch nicht viel. Doch der erzählt nun weiter: Diese „Zukunft“ suchte die Band vor allem auf dem Dancefloor: „Oberstes Thema war Tanzbarkeit.“ Nächster Schritt: „Was würden wir selbst gerne im Club hören? Was bringt einen zum Bewegen?“ Nun, da geklärt war, worum es konzeptionell beim vierten Album von Mia. gehen sollte, musste die Strategie umgesetzt werden. Dazu klebte erst einmal jemand einen Zettel an die Studiowand, auf dem stand: „Lasst uns tanzen!“ Der Rest kam wie von selbst, sagen sie. Oder mit, wie Ingo Puls das formuliert, „purer Leidenschaft und Hingabe“.

Das Ergebnis von Soviel Hingabe trägt den Titel Willkommen im Club. Es klingt so, als hätten Mia. die Antworten auf ihre Fragen vor allem an einem Ort gefunden, an dem Tanzen einst eine neue gesellschaftliche Dimension erfuhr: die Disco der 70er-Jahre. An diese (in den vergangenen Monaten auch andernorts, z. B. bei Hercules And Love Affair, wiederbelebte) Ära erinnern viele Sounds, die nun auch Mia. einsetzen. Im Instrumentalstück „Verfolger“ knarzt ein bis zur Grimasse verzerrter Bass, und durch „Kapitän“ wabert ein vorsintflutlicher Tangerine-Dream-Sequenzer. Überhaupt ist willkommen im club im Vergleich zum Vorgänger zirkus wieder sehr viel elektronischer. Mit viel Gespür fürs Detail wurde an Sequenzern und Rhythmen geschraubt. „Deinetwegen“ kreist um eine raffiniert groovende Bassline. Und als liebevolle Erinnerung an die glorreichen Tage der Maxi-Single (siehe Kasten „Länger und bäss er“) darf die Tatsache verstanden werden, dass die erste Single „Mein Freund“ in vier Remixen an einem Stück als 22,5 Minuten langer Tanzbodenfeger abspielbar ist.

Grundsätzlich haben Mia. ihren Stil nicht aufgegeben. Auch die neuen Songs sind eindeutig Mia.-Songs, wieder erkennbar vor allem durch die Melodieführung, die assoziativen bis kryptischen Texte und nicht zuletzt durch Miezes Stimme, die glockenhellen Ausdruck mit leichter Quäkigkeit verknüpft. Aber in diesem Grundgerüst scheint sie immer wieder auf, die Idee von der Disco als Sehnsuchtsort. Als geschützter Raum, in dem Geschlecht, Alter, Hautfarbe, sexuelle Orientierung und sozialer Status nicht zählen. Wo alles eins wird im Tanz. Dass diese Idee, die Disco in den 7oern feierte, in linken Kreisen nicht wahrgenommen wurde, dass Disco als oberflächlich und kommerziell abgelehnt wurde, ist bis heute eines der großen Missverständnisse der Popgeschichte. Die Disco war in den späten 7oern vielleicht der einzige wirkliche Ort für politische und gesellschaftliche Utopien. Im Pop. willkommen im club ist, so könnte man es sehen, eine Reminiszenz an diesen Ort, so wie Mia. vor zwei Jahren den zirkus feierten als Ort der Fantasie und Selbsterfindung. Doch die Band macht, konfrontiert mit dieser Idee, vor allem große Augen. So intensiv habe sie sich dann auch wieder nicht beschäftigt mit der Geschichte von Disco, man habe schlicht nach interessanten Sounds gesucht. „Wir wollten die Leute einfach zum Tanzen bringen“, sagt Schlagzeuger Gunnar Spies.

An dieser Stelle offenbart sich das grundsätzliche Mia.-Dilemma. Diese Band will stets hoch hinaus, aber macht meist schon am ersten Anstieg schlapp. Musikalisch ist alles fein ziseliert, professionell arrangiert und gespielt und schlussendlich so schmissig und eingängig, dass Mia. zu Recht eine der kommerziell erfolgreichsten deutschen Popbands geworden sind. Aber all die Intellektualisierung des Pop, fast jede inhaltliche Aufladung ihrer Musik entpuppt sich schnell als vorgeblich, das Gerede von Konzepten als Methode, sich interessant zu machen. Die allerdings bisweilen auch nach hinten losgehen kann. So hängt der Band heute noch die Kontroverse um „Was es ist“ nach. Dass es in dem Lied von 2003 darum ging, wie es ist, „neues, deutsches Land“ zu betreten, dass im dazugehörigen Video die Band nicht ohne Absicht in Schwarz, Rot und Gelb gekleidet auftrat, löste eine hitzige Debatte aus.

Texterin Mieze und ihren Kollegen ging es wie Zauberlehrlingen. Nun hatte die Band zwar jede Menge Werbung, aber die Sache wuchs ihr über den Kopf. Angesichts der Fahnenschwenkerei während der Europameisterschaft findet Mieze heute noch, dass „die Frage der Identitätssuche und wie das mit Fußball zusammenhängt, erst am Anfang steht“. Ansonsten umgeht die Band das Thema sorgsam und wähnt die Kontroverse für abgeschlossen. „Deutungsmüde“ sei er, stellt Gunnar Spies fest.

Wohl als Konsequenz aus dem Schlamassel verzichten Mia. seitdem und auch auf willkommen im club darauf, in ihren Songs allzu ausdrücklich politisch zu werden. Eine Abkehr von früheren Tagen. Heute findet zumindest Gitarrist Andy Penn, dass „auch Sounds politisch sein können“, erntet aber dafür Widerspruch bei den Kollegen. Stattdessen ergeht sich Texterin Mieze auf willkommen im club vor allem wieder in Befindlichkeitslyrik. Gleich im ersten Song „Kapitän“ umreißt sie ihre Botschaft aus dem Gefühlshaushalt: „Verlass dich nur auf mein Gefühl und deine Sinne.“

Mieze, mittlerweile 29 Jahre alt, versteht ihre Texte als Poesie. Als Kunst, die über anderen steht:

„Dichten ist nicht vergleichbar mit irgendetwas anderem.“ Die sie aber auch nach Eigeneinschätzung immer besser beherrscht: „Ich bewege mich so frei zwischen den Worten wie nie. Manche Zeilen perlen, andere kommen nicht so einfach.“ Wohl jene Kritiker, die meinen, dass meistens eher Letzteres zu konstatieren sei, haben sie dazu gebracht, mit „Mausen“ eine Rechtfertigung zu schreiben. „Du sagst zu mir: Puppe, lass das Denken sein.“ Ausgerechnet das aber will sie nicht. >» www.miarockt.de >» ALBUMKRITIK S. 85 «- Musikexpress präsentiert:

„Mia. willkommen im club Release-Partys .Freitag, 5. September: Magdeburg, Factory,22 Uhr; Bielefeld, Ringlokschuppen, 22 Uhr; Oberhausen, Zentrum Altenberg, 21 Uhr; Berlin, Dunker, 23 Uhr; Nürnberg, Nachtpalais, 23 Uhr:

Länger und Bässer

Mia. und die Maxi

Mit einer Gesamtspielzeitvon 22,5 Minuten (in vier Mixes) ist „Mein Freund“, die erste Auskopplung aus dem neuen Mia.-Album, ein Tribut an die besseren Tage der Maxi-Single. Diese Bezeichnung stand zuerst allerdings für ein Bonus-7-lnch-Vinyl mit einem Stück auf der A-und zweien auf der B-Seite. Erste 12-lnch-Maxi-Singles, wie sie für DJs bis heute eine wichtige Rolle spielen, wurden in den Anfangstagen von Disco, Mitte der 70er,gepresst-für den Clubeinsatz. Denn die 30-Zentimeter-Scheiben, die sich mit 45 oder 33 U/min abspielen ließen, hatten eindeutige klangliche Vorteile. Durch die breitere und tiefere Rille war ein umfangreicheres Dynamikspektrum möglich: tiefere Bässe und klarere Höhen. Diese „Super Sound Singles“ (siehe Bild) konnten lauter gedreht werden, ohne dass das Rauschen im gleichen Maß zunahm. Da Singles gerade in der Discomusik immer länger wurden, wurde die Maxi-Single aber auch zur kommerziellen Option. Die erste richtige Maxi, die es in den Handel schaffte, war 1976 „Ten Percent“ von Double Exposure. In den 8oem gehörte es auch im Pop und Rock zum guten Ton, „Extended“ und „Club Mixes“ auf Maxis zu veröffentlichen (die sich samt B-Seiten-Zugaben manchmal zu kleinen EPs auswuchsen). Doch oft waren dies nur durch monotone Instrumentalparts verlängerte und mehr „Bumms“ aufgepeppte Versionen. Der neuen Entwicklung aufgeschlossene Acts wie Depeche Mode und Madonna nutzten die Möglichkeit aber auch für komplexere Bearbeitungen der Originale: Der bereits Ende der 60er in der Dancehall-Kultur Jamaicas entstandene Remix trat bald schon seinen Siegeszug durch die Popmusik an.