Lenny Kravitz


Bereits sein 89er Debüt LET LOVE RULE überraschte mit handgemachtem Retro-Rock. JungHippie Kravitz bleibt sich auch Anno '93 treu.

Er bleibt spannend und kompromißlos. Pfadfinder Lenny befindet sich mit seinem dritten Album einmal mehr auf sorgfältiger Spurensuche. Das vielleicht vielschichtigste Album des Multiinstrumentalisten Kravitz strotzt von Zitaten, blendet aber keinesfalls mit stumpfem Kupfer, sondern mit glänzend poliertem Gold. Nicht nur in der seelenvollen Kehle: Behender und zupackender hätte auch Jimi Hendrix »Are You Gonna Go My Way* kaum fragen können, und mit so zehrend orchestralem Edel-Schmelz wie bei .Believe* gibt der schlitzohrige Stil-Jongleur Kravitz den Verzweifelten glatt den Glauben wieder: an den großen, alle versöhnenden Song. Wagemutig und selbstbewußt setzt er ohne Unterlaß zu diesen abenteuerlichen Genre-Sprüngen an, flüstert und falsettiert erotisch bei .Black Girl* und .Heaven Help*, mal mit charmantem Piano, mal mit akustischer Gitarre, als ob eKs in Sachen Unberechenbarkeit auch dem Kollegen Prince mal zeigen möchte. Genau wie dieser hat er sich diesmal wohlweislich für kompetente Mitstreiter entschieden und parierte damit überaus erfolgreich den schleichenden Gefahren des monomanischen Soloprinzips. Bei der Hälfte der Tracks spielen Tony Breit (b) und Craig Ross (g) ihrem Chef kraftvoll die musikalischen Bälle zu, und das lockerte Lenny Kravitz spürbar auf. Trotz des einmal mehr dichten, archaischen Club-Sounds klingt sein neues Werk leichter, entspannter und lässiger als der Vorgänger MAMA SAID. So hatte er den Kopf frei für neue Ideen: In den Komposittonen deckt Lenny Kravitz dadurch ein fast noch breiteres Spektrum als bisher ab. Zwischen Soul, Folk, Reggae oder Rock buchstabiert der weltoffene New Yorker seine eigene Song-Sprache, deren Grenzen mit ARE YOU GONNA GO MY WAY noch lange nicht endgültig gezogen sind. .Ich liebe das Studio, die Kunst der perfekten Aufnahme ebenso wie Musikmachen“

sagt Lenny Kravitz. Sein Ideal des „menschlichen* Sounds gegenüber musikalischer Gen-Technologie lebt: Mit MY WAY hat er seinen Weg klar definiert, (wtj

Lenny Lover: immer nett im Duett

Dieser Mann ist entweder ein Genie, oder er braucht keinen Schlaf. Anders ist Lennys Output kaum zu erklären. Und schon gar nicht die süperbe Qualität. Drei Solo-CDs hat er bisher veröffentlicht, und das Wörtchen solo ist dabei dick zu unterstreichen: Lenny hat alles fast im Alleingang geschrieben, getextet, eingespielt und produziert. Und sich so ganz nebenbei zu einem der beliebtesten Produzenten, Songwriter und Duett-Partner entwickelt.

Für Madonna hat er Justify My Love“ geschrieben, was ihm reichlich Tantiemen, aber auch jede Menge Ärger eingebracht hat: Nacheinander behaupteten eine Bockground-Sängerin Madonnas und anschließend Public Enemy, der Skandal-Song sei abgekupfert. „Ich spiele 20 verschiedene Instrumente — worum zum Teufel sollte ich einen Song klauen?‘ — Dieser Argumentation konnte sich selbst das Gericht nicht entziehen: Freispruch.

Als Schwartzkopf in Kuwait einmarschierte, holte Lenny Musiker wie AI Jarreau und LL Cool J. zum gemeinsamen „Give Peace A Chance“-Singen ins Studio. Und anschließend Vanessa Paradis- Für die Pariser Piepsmaus hat er gleich eine komplette Platte geschrieben — und deren ursprünglichen Nullachtfünfzehn-Pop damit so veredelt, daß ihr Album heute sogar in Kritiker-Plattenschränken steht.

Was noch? Ein Duett auf Jaggers neuem Album, „Use Me“, ein alter Bill Whithers-Titel. Einen Song für die kommende „Aerosmith‘-LP. Und, unter der Hand verraten, eine Handvoll Arrangements für den legendären .California Boy Choir“, in dem Lenny gesungen hat, als er noch klein war. Wie gesagt: Entweder ist er sowas wie ein Genie, oder er braucht keinen Schlaf. Oder beides. Inik)

Meister der Wiederaufbereitung

Irgendwer hat ihn mal eine „One-Man Musical Antique Road Show* genannt — was Lenny Kravitz gefreut haben dürfte wie George Bush das jüngste Wahlergebnis. Obwohl seine Musik samt und sonders so klingt, als sei sie 1968 auf dem Rücksitz eines Caddys irgendwo zwischen New York und San Francisco komponiert worden, reagiert Sound-Schamane Kravitz allergisch auf jeden, der den Wind der späten 60er in seinen Songs zu wehen verspürt.

Zwar sei er von Curtis Mayfield, AI Green und Jimi Hendrix inspiriert worden, aber letzten Endes sei das alles seine Musik. Natürlich verehre er die Beatles — aber daß er in Interviews gerne offenbart, die gleiche Konfektions-Größe wie John Lennon zu haben, sei Spaß und habe nichts mit seinem Verhältnis zur Musik der 60er zu tun.

Stattdessen verweist er auf seine Kindheit: Aufgewachsen in der vornehmen Upper East Side New Yorks und an Wochenenden bei der Großmutter im Ghetto-Stadtteil Bed Stuyvesont, pendelte der kleine Lenny zwischen den musikalischen Welten der reichen Weißen und armen Schwarzen. Daddy war Jazz-Promoter, Mami Schauspielerin, die Vorfohren kamen von den Westindischen Inseln und aus der jüdischen Diaspora Osteuropas. Als die Familie dann gen Westen zog und Lenny im California Boy Choir eine klassische Ausbildung genoß, war das kulturelle Chaos in seinem Kopf komplett: ,lch bin total verrückt und schizophren. Hob einfach zu viele kulturelle Einflüsse mitbekommen — und oll die vermischen sich in meiner Musik.“