Let’s talk about art, baby!


Documenta, Rülpsen, Klassik, Rotz und die Literatur: Die drastische texanische Emo-Band ...And You Will Know Us By The Trail Of Dead sucht nach Ausdrucksformen jenseits des Rock'n'Roll.

Rülpsen ist eklig. So eklig, dass bei der bloßen Erwähnung ein ganzer Satz eklig wird. Im schlimmsten Falle – und es handelt sich bei dem Aufstoßen von Conrad Keely um nichts anderes – auch der ganzen Absatz. Verliert man sich zudem in detaillierten Beschreibungen des Schnarchgeräusches, mit dem der bestechend intelligente Schriftsteller, Sänger und Multiinstrumentalist offenmundig alle zwei Minuten seinen Nasenschleim unter die Stirnhöle saugt, ist die ganze Seite versaut. Und so begnügen wir uns mit der Feststellung, dass die Missachtung des westlichen Manierenkonsenses zu den Privilegien der Kunst schaffenden Elite gehört, um diesen jungen und durchaus freundlichen Burschen einfach zu Wort kommen zu lassen. Als philosophisches Mastermind von… And You Will Know Us By The Trail Of Dead hat er viel dazu beigetragen, seine Band von einer zerstörungswütigen texanischen Indierock-Kapelle zu einem Art-Act zu machen, der als offizieller Programmpunkt der Documenta11 in Kassel den Ritterschlag der internationalen Kunstgelehrten empfangen hat. Wie Conrad Keely aus lauter Vorfreude auf einen ernsthaften Diskurs zum Thema Rock’n’Roll bereit ist, über die Nichtbeachtung seiner fröhlich proklamierten Bestellungen – „Marihuana, Haschisch oder nackte, tanzende Frauen für unser Entertainment“ – hinwegzusehen, so wollen auch wir ein leichtes Befremden über sein Benehmen in zwei Flaschen Corona ertränken, um mit Keely auf einer speckigen Couchgarnitur in seiner zweistöckigen Hotelsuite am Sunset Strip in L.A. ein paar Fragen zu diskutieren, die dem ME seit langem auf den Nägeln brennen:

ME: Ein Trail Of Dead-Auftritt war Teil der Documenta11 in Kassel. Wird Rock’n’Roll diesem Kontext überhaupt gerecht?

C.K.: Man muss schon ein recht altbackener Affe sein, um nicht einzusehen, dass Rock eine ernst zu nehmende Kunstform ist. Es ist die pure Redundanz, diesen Gedanken überhaupt in Worte zu fassen. Rock, elektronische Musik und HipHop haben sich als Ausdrucksformen der Popkultur voll etabliert. Das sind klassische Formen der Musik. Eines Tages werden sie von Menschen analysiert werden, die dann mit den Mitteln der Wissenschaft einen strengen Regelkatalog erstellen. Aber noch sind wir Schaffenden ganz und gar frei.

Apropos frei: „Counting Off The Days“ auf der neuen EP folgt keiner nachvollziehbaren Metrik…

Ich hab die Gitarre aufgenommen, als ich sehr hohes Fieber hatte. Eine Bronchitis hat mich ins totale Delirium geschickt. Später musste ich alles genau auszählen, um die anderen Instrumente dazuspielen zu können. Das sind glückliche Zufälle…

… die trotzdem als hohe Kunst gelten müssen?

Das verdient kritische Analyse! Wir betrachten Rock immer von einem akademischen Standpunkt aus. Wir verstehen uns in diesem Feld als Schüler. Als Schüler und als Professoren, wenn du so willst.

(lächelt versonnen)

Der erste Song auf der EP heißt „Mach Schau“. Ist hohe Kunst und Entertainment ein Widerspruch?

Nie! Wir sind Entertainer, Musik ist eine Form von Entertainment. Was nicht heißt, dass das eine niedere Kunstform wäre, ein Wegwerf-Erzeugnis. Entertainment ist eine fantastische Erfindung des Homo sapiens. Wir unterhalten uns gegenseitig und schaffen Dinge, die Ausdruck der Gesellschaft sind, in der wir leben. Das Kabarett der Weimarer Republik war ein Spiegel der Zeit, wie auch die Kunst, die wir jetzt produzieren, ein Spiegel des frühen 21. Jahrhunderts ist. Einer einzigartigen Zeit, die sich nie wiederholen wird.

Einer Zeit, die sich in Bildern der Gewalt erzählt.

Ja, aber der Krieg und Terror beschäftigt uns nicht sehr. Auf lange Sicht ist wichtig, dass wir als Künstler tätig sind, denn Kunst ist eine Ausdrucksform, die der Politik übergeordnet ist. Politik hat keinen Bestand. Die griechische Demokratie hat ebenso wenig gehalten wie das Römische Reich. Regierungen verändern sich laufend und verschwinden, Kunst bleibt. Wenn wir an die Ägypter denken, fällt uns nicht ihre Staatsform ein, sondern die Pyramiden; in Rom schauen wir Statuen und Tempel an. Mit Kunstwerken leistet eine Gesellschaft ihren Beitrag zur Geschichte. Also muss ich über die Politik hinaus denken. Du kannst darüber reden, aber im Endeffekt wird man nur deiner Kunst gedenken.

Sind Protest-Aktionen wie David Byrnes „Musicians United To Win Without War“ sinnlos?

Ich glaube nicht, dass die Kämpfe, die gerade ausgetragen werden, durch Demonstrationen oder die Aufklärung der Leute verhindert werden können. Es sind Konflikte unserer Zeit, die wahrscheinlich sowieso stattgefunden hätten. Uns bleibt nur, den Ereignissen mit Mut zu begegnen. Und mit einer Moral, die intakt ist.

Beunruhigt dich, was du siehst?

Wir stehen geschichtlich an einem Punkt, an dem sich die Ereignisse überschlagen. Allein die rasende technische Entwicklung… Das muss einen Höhepunkt erreichen, der hoffentlich nicht das Ende der Menschheit bedeutet. Wir streben nach einer utopischeren Zukunft. Aber um Erkenntnis zu erlangen, müssen wir den Schmerz der Geburt erleben. Und hoffentlich hält der nicht zu lange an. Jedenfalls … unser Statement ist nicht wirklich ein politisches.

Stattdessen treibt dich der Ehrgeiz, Kunst zu schaffen, die dein eigenes Leben überdauert?

Jeder Künstler sollte das wollen! Jeder, der wirklich an das glaubt, was er tut, der die Langlebigkeit von Kunst verstanden hat. Du kannst dir die Venus von Milo ansehen und noch immer so inspiriert davon sein wie es ihr Verehrer war, als er sie geformt hat. Meine musikalischen Einflüsse sind nicht auf die letzen 50 Jahre Rockmusik beschränkt. Ich habe Klavier gelernt – einige meiner wichtigsten Inspirationsquellen sind die Musiker aus Barock und Romantik.

Fließen diese Einflüsse in Trail Of Dead-LPs ein?

Absolut! Rock hätte ja auch nie diesen Punkt erreicht, wenn es nicht den Jazz gegeben hätte. Ohne Jazz hätte man keinen Grund gehabt, ein Schlagzeug zu bauen. Und ohne Schlagzeug würde einer der fundamentalsten Bausteine des Rock fehlen. Du kannst das nicht mit einem Haufen Percussionspieler ersetzen, von denen einer auf die Bassdrum haut und der andere auf die Snare – wie in

einem Orchester.

Im Internet finden sich ein paar recht gelungene Kurzgeschichten von dir.

Ich schreibe gerne über unsere Erlebnisse auf Tour. Das Reisen eröffnet mir immer neue Aspekte. Manche machen mich wütend auf unsere Gesellschaft, andere machen mich, was die amerikanische Kultur angeht, sehr optimistisch. Es gibt Gut und Böse in jeder Kultur. Ich glaube nicht, dass irgendjemand eine Antwort auf alles weiß. Ich verurteile niemanden dafür, es zu versuchen. Als Menschen haben wir ein gottgegebenes Recht, es zu versuchen.

Ist Rock’n’Roll ein zu begrenztes Feld, um deine künstlerischen Ideen umzusetzen?

Das empfinde ich erst seit kurzem so, ich weiß nicht warum. Vielleicht weil ich einen musikalischen Reifungsprozess durchschritten habe, der mich heute vieles in Frage stellen lässt. Ich bin manchmal so enttäuscht, wie andere ihren Ausdrucksbereich selbst einschränken. Das ist traurig, denn Künstler wollen Gleichgesinnte, wollen einer Gruppe angehören.

Wie Van Gogh, der trotz aller Eigenbrötlerei von einer Künstlergemeinschaft mit Gauguin träumte?

Große Bewegungen waren immer Künstlergruppen – die Impressionisten, die Dadaisten, der Mersey-Sound und der Punk. Deshalb suchst du nach Gleichgesinnten in einem Meer von andersdenkenden Individuen. Aber je mehr du als Künstler reifst, desto schwieriger wird das. Weil sich Menschen in verschiedene Richtungen entwickeln. Und was den Rock angeht – den wollten wir schon immer weitertreiben. Wir wollen uns nicht zurückentwickeln, sondern Musik für das 21. Jahrhundert machen. Das ist das Ziel.

So ein hoher Anspruch kann zur Last werden.

Glaub mir, es ist nicht leicht. Es ist überhaupt nicht leicht. Aber niemand hat gesagt, dass der Schaffensprozess ein Kinderspiel ist. Frag mal eine Mutter! (lacht). >>> www.trailofdead.com