Popkolumne, Folge 111

Wer ist unlustiger? „LOL“ outet deutsche Comedy – Volkmanns Popwoche im Überblick


In unserer Popkolumne präsentiert Linus Volkmann im Wechsel mit Paula „der seltsame Wecker“ Irmschler die High- und Lowlights der Woche. Die Kalenderwoche 16/2021 erzählt von kleinen Katastrophen bei Live-Konzerten, vom Ende des Abspanns bei Netflix und von Comedians, die endlich mal offiziell niemanden zum Lachen bringen. Macht nervige Motorengeräusche mit dem Mund, der Crazy Frog und die neue Popwoche haben den Zündschlüssel rumgedreht!

LOGBUCH KALENDERWOCHE 16/2021

Was für eine Woche, Leute, oder? Früher dachte ich, als mein Bürokollege meinte, die K-Frage habe sich endlich entschieden, es gäbe gleich Koks statt Feierabend-Bier. Ihr könnt euch meine Enttäuschung kurze Zeit später im Team-Raum – schon mit dem Lampenschirm auf dem Kopf – vorstellen. Heute weiß ich es besser. Für 2021 erwartet uns bürgerliche Demokratie-Aficionados also ein Buffet aus Armin Laschet (CDU) und ACAB Baerbock (Die Grünen). Wer es an dieser Stelle überraschend realistisch findet, dass die SPD gleich schon mal gar niemanden aufstellt, der sei allerdings daran erinnert, dass es ja doch noch Olaf Scholz gibt. Kann ich auch nichts dafür!

Ganz ohne Witz, aber umso relevanter: die gerichtliche Verurteilung im Fall George Floyd. Der ehemalige Polizist Derek Chauvin wurde diese Woche in allen drei Anklagepunkten (u.a. Totschlag in einem schweren Fall) schuldig gesprochen.

FLOP DER WOCHE: „LOL – Last One Laughing“

Die Prämisse ist einigermaßen genial: Denn gerade wenn man nicht lachen darf, bricht es doch schon mal aus einem heraus – und heißt das nicht dann, wenn man wirklich nicht lachen muss, dass Torsten Sträter also doch irgendwie witzig ist? Nein.

Eines muss man der sechsteiligen Serie „LOL – Last One Laughing“, diesem Comedians-Käfig, trotzdem lassen: Die erste Staffel (Amazon Prime Video) ist auf jeden Fall besser besetzt als das letzte „Dschungelcamp“ und „Die Burg“ zusammen. Anke Engelke, Carolin Kebekus, Kurt Krömer, Mirco Nontschew, Rick Kavanian, Wigald Boning und noch so Leute halt.

Nun machen alle in einer fahrigen Nummernrevue irgendwie Faxen für die anderen – und wer lacht, fliegt raus. Und ja, das ist genauso bemüht, wie es jetzt klingt.

Allerdings ist es der oben erwähnte Reality-Show-Aspekt, der diesem Format dann doch eine Ebene gibt, bei der man dranbleiben möchte – auch wenn es nicht die von der Produktion intendierte ist.

Jeder ahnt doch, wie viel Konkurrenz in so einer Zusammenführung steckt, wie man als Comedian den anderen eigentlich eh keinen Lacher gönnt – und nun soll man sich das Lachen verkneifen und im Dschungeltelefon (oder wie die Videokammer hier heißt) dennoch ständig beteuern, wie brüllend komisch man die abgeschmierten Witze der Kolleg:innen eigentlich findet.

Also wenn man das komplette Konzept der Sendung vergisst und vor allem den abgewirtschafteten Moderator Michael „Bully“ Herwig ignoriert, dann ist da was drin. Dann kann man sich in einige unbedachte Äußerungen der „Vollblut-Comedians“ (Jagd und Hund) richtig was in deren eigentliches Denken reingeheimnissen. Man fragt sich: Was will uns die Person gerade eigentlich über zum Beispiel Wigald Bonings deprimierende Verfassung 2021 sagen? Es ist ein bisschen, als liefe nochmal die erste Staffel „Big Brother“, als wäre die Zeit zurückgedreht ins Jahr 2000.

Why not? Schließlich hätte man ohnehin lieber Percy Hoven als Moderator denn Bully und lieber Die 3. Generation mit „Leb (So wie Du Dich fühlst)“ statt die bei „LOL“ scheinbar sinnstiftenden ständigen Sirenen.

Es überrascht dennoch nicht, dass „LOL“ als großer Streaming-Erfolg verbucht wird – das ist genau so eine Serie für all die überflüssigen Medienpreise. Wir sind ja immerhin noch in Deutschland. Und so wurde gerade eine zweite Staffel angekündigt. Ich fürchte, die sehe ich auch wieder, man hat ja sowieso nix zu lachen. Hier kann man dahingehend angenehm sicher sein.

BAND DER WOCHE: Bachelor

Indierock ist nur so tot, wie man sich fühlt und bei Bachelor aus den USA scheint er lebendig wie ein Welpe und erinnert an Breeders oder Ilgen-Nur. Ziemlich fantastisch dieses Duo. Probiert’s mal aus:

HEFTCHEN DER WOCHE: „Für Spritgeld und Bier“

„Einmal fragte uns der Mischer während des Konzerts, ob er bei uns Bass spielen kann.“

Das ist nur eine der vielen vielen Anekdoten, die Andrè Lux („Egon Forever“) in seinem neuen Reader „Für Spritgeld und Bier“ zusammengetragen hat. Friends und Zufallsbekannte von Social Media wurden aufgerufen, etwas Bemerkenswertes aus dem Livekonzerte-Wahnsinn von um die Ecke zu erzählen. Ein Wahnsinn, der ja nicht nur André Lux seit Anfang letzten Jahres ziemlich abgeht. Die Miniaturen hier würden auch ohne Corona Spaß machen, aber vor dem Hintergrund, dass in all den kleinen Kellerbühnen und JuZes jetzt Funkstille herrscht, ist das hier sogar gesellschaftlich relevant. Ach so, Lux selbst hat den Geschichten auch noch ein paar Comics seiner Figur „Kilian der Backliner“ zur Seite gestellt. Wie wir Lokaljournalisten sagen würden: „Eine echt runde Sache!“

www.egonforever.de

Ein kleiner Auschnitt aus „Für Spritgeld und Bier“

DOKU DER WOCHE: „Männlich, Weiblich, Trans* – Was heißt schon Geschlecht?“

Hallo Geschlecht! Gender, das ist das ultimative Zeitgeistthema, mit dem man heute gerade auch bei den halbwegs handlungsfähigen Redaktionen des Öffentlich/Rechtlichen landen kann? Ja, klar. Aber es ist eben auch ein Thema, das großen Einfluss hat auf den Alltag von Menschen nimmt und ein immenser Nachholbedarf an Information besteht. Also sind Dokus wie „Männlich, Weiblich, Trans* – Was heißt schon Geschlecht?“ gern genommen. Sonst spielen traurige Macker-Punchlines wie „skurrile Minderheit“ oder „Gender-Leute“ (Friedrich Merz) immer noch mit in der notwendigen gesellschaftlichen Debatte. Die Doku von Constanze Grießler und Franziska Mayr-Keber leistet jedenfalls einen guten Beitrag, das aufgewühlte Topos in den Alltag zu holen. Eine interessante wie sensible Sammlung von Protagonist:innen, die sogar eine grelle Figur wie Lisa Eckhart als O-Ton-Geberin im Flow des Beitrags verstoffwechseln kann…

ABSCHIEDSBRIEF DER WOCHE: Tschüss, Netflix

Liebes Netflix, ich weiß, es klingt cheesy, aber mir doch egal, alle sollen es wissen: Ich war total verknallt in dich! Du warst auf einmal in meinem Leben und die toxische Beziehung mit Werbeunterbrechungen und Öffentlich-Rechtlichen war Schnee von gestern. Jeder wache Gedanke galt dir, deiner Vielfalt und dass man nach der Folge einer Serie gefragt wurde, ob man noch eine schauen wollte.

Nun aber trennen sich unsere Wege. Ich könnte sagen: „It’s not you, it’s me“, das könnte ich sagen, aber es wäre eine Lüge.
Denn du hast dich verändert. Ich bin wirklich kein Cineast und muss nicht bis zur letzten Zeile durch den Abspann sitzen, aber dass man gar keinen mehr gucken darf, sondern zuletzt immer gleich auf andere Filme mit bildschirmfüllenden Tafeln verwiesen wurde, ist einfach nur hässlich. Nein, du brauchst jetzt nicht weinen, jeder, jeder sieht das so!

Nun aber geht es noch einen Schritt weiter. Der Abspann wird nach wenigen Sekunden abgebrochen, ein Countdown zählt fünf Sekunden runter, hat man bis dahin nicht irgendwie den Button „Abbrechen“ erreicht, startet ein Trailer für irgendwas aus den vorderen Rängen deines Algorithmus.

Sagen wir es mal so, Netflix, wenn ich mich beim Fernsehen nicht wohl fühlen und nicht verstanden fühlen will, dann kann ich auch einfach das Nachmittags-Programm auf RTL gucken. Da ist die Demütigung wenigstens noch umsonst.

MEME DER WOCHE

GUILTY OR PLEASURE? (Nuller Edition, Pt.1)

Die Sache ist ganz einfach: Ein verhaltensauffälliger Act aus dem Kanon der 00er wird noch mal abgecheckt. Geil or fail? Urteilt selbst!

[Freue mich schon, mit dieser Rubrik hier Druck aufzubauen, um demnächst auch einen Nuller-Podcast der Musikexpress-Kollegen Soethof und Rehm hören zu können]

FOLGE 01: Crazy Frog

HERKUNFT: Schweden
GENRE: Klingelton-Migräne-Core
DISKOGRAPHIE: Zehn Singles, drei Alben
ERFOLGE: Es stehen Gold- wie auch Platin-Alben beim Crazy Frog daheim. Am eindrucksvollsten aber lässt sich sein Erfolg vielleicht in YouTube-Klicks bemessen. Sein „Axel F.“ zählt bis heute 2,7 Milliarden Views.
TRIVIA: Diese lustige wie lästige Figur wurde von zwei schwedischen Nerds erfunden, auf Umwege erreichte sie Jamba. Jenem Klingelton-Terrordome spielte sie einen geschätzten Gewinn von 15 Millionen Euro ein.

PRO
In einem Interview Mitte der Nuller Jahre äußerten sich Coldplay dahingehend über den Crazy Frog, dass sie dem Frosch am liebsten einen Schenkel abtrennen und essen würden, denn da „Axel F.“ vom Crazy Frog auf Platz Eins der Charts weilte, schaffte es Coldplays Single „Speed Of Sound“ bloß auf den zweiten Rang. Respekt für diesen Move, Frosch!

CONTRA
Ich weiß nicht, ob es schon mal jemandem aufgefallen ist, aber diese Amphibie hat eine ziemlich stressige Aura. Auch dass der Crazy Frog für nichts außer erfolgreiches Trash-Marketing steht, ist ein wenig trist. Eine durchvermarktete Vignette des aufkommenden YouTube-Zeitalters ohne jede Story. Wer das hier wirklich feiert, ist entweder nostalgisches Millenial oder ästhetisch vollkommen verwahrlost.

„Guilty Pleasure (Nuller Edition)“ erscheint in dieser Kolumne abwechselnd mit der Rubrik „Der Verhasste Klassiker“.

Tanzen, als ob niemand zusieht – weil wirklich niemand zusieht: Paulas Popkolumne über den Verlust von Pop (und DMX)

Was bisher geschah? Hier alle Popkolumnentexte im Überblick.

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