Live-Review von Flying Lotus im Gretchen, Berlin


Setlist mitschreiben: unmöglich. Zu einer bewusstseinsverändernden Lichtshow feuert Steven Ellison zwei Tracks pro Minute aus seinen Maschinen.

Das Gretchen im Berliner Stadtteil Kreuzberg versteht es in der Regel, die cleversten Beatschrauber aus aller Welt anzulachen. Für Steven Ellison alias Flying Lotus, den Chefbastler ungerader Beats, wäre allerdings eine größere Location angebrachter gewesen. Ein Platz zum Tanzen ist im ausverkauften Club ein kostbares Gut und muss mit Ellenbogen verteidigt werden. Und wenn die Köpfe, die auf die kleine Bühne gerichtet sind, alle etwas höher angebracht sind als der eigene, bleiben nur die Ohren, um aufzusaugen, was der gute Mann aus Los Angeles an diesem Abend präsentiert. Zwar befinden wir uns offiziell immer noch auf einem Konzert, wo eigentlich der Ton die Musik macht, allerdings verlangt das Update seiner Live-Show auch den Einsatz aufmerksamer Augen. Die opulente 3D-Licht-Show „Layer 3“, die Flying Lotus gemeinsam mit den Visual Artists Strangeloop und Timeboy auf die Leinwände bringt, ist ein beeindruckendes Schaulaufen abstrakter Visionen mit dem Beat pulsierender Gebilde, durch den Raum gleitender Formen und zuckender Lichter. Ellison selbst steht zwischen den beiden Leinwänden, die für den 3D-Effekt sorgen, ist mehr Schatten und Schema und stellt sich, zumindest optisch, in den Hintergrund, verschmilzt mit den aufwendig gestalteten Visuals, gibt aber weiterhin den Ton an. Und der ist nicht nur aufgrund des guten Sounds im Club bemerkenswert und laut, sondern auch besonders wechselhaft. Fleißige Setlist-ins-Telefon-Tipper haben hier keine Chance. Flying Lotus präsentiert seine jazzigen instrumentalen HipHop- und Elektro-Beats im Minutentakt, baut aberwitzige Übergänge, reißt Tracks kurz an und lässt sie live mutieren. Wer sich freut, seinen Lieblingssong erkannt zu haben, muss damit rechnen, in wenigen Sekunden zu etwas völlig anderem zu tanzen. Nahezu alle Stücke aus seinem neuen Album Until The Quiet Comes dürfen sich, wenn auch nur kurz, zeigen. Die im Vergleich zu seinen letzten Alben eher ruhiger gehaltene Platte besteht den Live-Test ohne Probleme. Was ein bisschen Extra-Bass nicht so alles anrichten kann. Knapp 90 Minuten dauert die Show und selbst für einen umtriebigen Mann wie Flying Lotus sind irgendwann die Ressourcen des eigenen Materials ausgeschöpft und ein paar Gasttracks mischen sich in sein Set. So beginnt aus heiterem Himmel unter anderem Kendrick Lamar mit „Backseat Freestyle“, der, wenn nichts Größeres mehr schiefgeht, das HipHop-Album des Jahres vorgelegt hat. Piano-Stücke von Aphex Twin werden mit krachigen Beats unterlegt, und auch die Warp-Labelkollegen von TNGHT müssen herhalten. Eine eigene Rap-Karriere scheint für Steven Ellison nicht mehr weit hergeholt, als er in einem besonders mutigen Moment zum Mikrofon greift und minutenlang ins Mikrofon bellt. Wie bei der nicht notierbaren Setlist gilt: Von allem etwas und man kann froh sein, dass Flying Lotus nicht zu der Art von Künstlern zählt, bei denen sich der Plattenkonsum auf dem heimischen Sofa vom Live-Besuch kaum unterscheidet.

Abgefangen

Loriane, 19

„Ein Freund hat mir immer und immer wieder Musik von Flying Lotus vorgespielt, bis er mich überzeugt hat, ihn mal live zu sehen. Der Club könnte allerdings etwas größer sein. So viele Menschen hier – es gab kaum Platz zum Tanzen.“

Lisa, 23

„Unter Kopfhörern finde ich die Musik wohl besser, auch wenn der Bass im Gretchen richtig geknallt hat! Über jeden erkannten Track habe ich mich zwar gefreut, fand es aber schade, dass er sie immer so schnell ein- und ausgeblendet hat.“