Interview

LOT und David Friedrich im Interview: „Attila Hildmann hat zu einem Blitzkrieg gegen uns aufgerufen“


Um Deutsch-Rapper LOT wurde es seit 2015 immer stiller, David Friedrich kennt man eher aus dem Poetry-Slam. Für ihre Satire über Attila Hildmann schauten sie sich in seiner Telegram-Gruppe um. Ob sie Schäden von der Lektüre abstruser Verschwörungstheorien davon trugen, und worüber sie sich wirklich Sorgen machen, erzählen die Zwei im Interview.

Verschwörungstheoretiker*innen sah man zu Beginn des Abstiegs von Attila Hildmann manchmal vielleicht nur als schräge Vögel an. Sie rieben sich mit ihren Äußerungen am Meinungsbild der breiten Masse. Mit der steigenden Unzufriedenheit über die Corona-Maßnahmen poppen jedoch immer mehr Verschwörungstheoretiker*innen auf, zu denen auch  Impfgegner*innen und so genannte „besorgte Bürger*innen“ zählen. Deutsch-Rapper LOT beschäftigt sich schon seit 2015 mit solchen „Kritikern des Systems“. Am Anfang konnte er ihren abschätzigen Blick entgegen dem EU-Parlament oder dem Kapitalismus noch teilweise nachvollziehen. „Doch ab einem bestimmten Punkt bewegt sich deren Kritik in einen Raum der Absurdität hinein“, sagt der studierte Historiker.

Auch Poetry-Slammer David Friedrich sieht bedenkliche Entwicklungen innerhalb der Gesellschaft, ebenso in seiner eigenen Familie. Angetrieben von Abscheu und Verärgerung gegenüber dem rechtslastigen Vegankoch-Attila Hildmann produzierten sie ein Best-Of seiner Eskapaden. Wie die Reaktionen darauf auffielen, und was das Ganze mit Helene Fischer zu tun hat, erzählen sie im Interview.

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„Hass auf die Juden, Hass auf den Drosten, Hass auf das ganze System“ heißt es im Song „Attila Attila“. Aus welcher Emotion heraus ist Euer gemeinsamer Track entstanden? 

David Friedrich: Es ist einfach eine Tatsache, dass Corona-Leugner und Verschwörungstheoretiker diesen Hass in enormer Weise und extrem pauschalisiert ausstrahlen. Man muss diese Emotion einfach weitergeben, um zu zeigen, dass besagte Menschen andere Menschen beispielsweise hinrichten wollen. Ich selbst habe beim Produzieren des Songs kaum mehr gefühlt als Abscheu. Dennoch haben wir uns davor zurückgehalten, die Thematik direkt zu kommentieren. Wir haben Attila Hildmann nicht angegriffen, sondern nur reproduziert.

LOT: In dieser Zeit telefonierten wir viel miteinander. Wir waren uns irgendwann einig, dass wir für den Song Zitate von Attila sammeln wollen. Wir tauchten in seine Telegram-Gruppe ab. „Hass auf die Juden“ – das sind nicht unsere Worte. Das Einzige, was uns anzurechnen ist, ist, dass wir versucht haben, jene Aussagen in Reimform zu bringen. Ich persönliche habe beim Schreiben keinen Hass gefühlt, eher eine gewisse Verärgerung. Was mich besonders ärgert: Wenn man nicht ihrer Meinung ist, dann wird man rigoros als „Schlafschaf“ bezeichnet. Ich beschäftige mich seit 2015 mit diesen Menschen. Am Anfang war die Kritik am System vom EU-Parlament und über den Kapitalismus noch irgendwo legitim. Doch ab einem bestimmten Punkt entfernt sie sich von der Realität und bewegt sich in einen Raum der Absurdität hinein.

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Mit dem Song habt Ihr Attila Hildmann und dessen Anhängerschaft auf den Plan gerufen – sie drohen und verbreiten Hass. Wie geht Ihr damit um?

LOT: 1700 Kommentare bei der Anzahl an Aufrufen steht in keinem Verhältnis. Attila hat dreimal zu einem Blitzkrieg gegen uns aufgerufen. Viele Kommentare unter dem Video sind jedoch von Fans, die sich über die paar Hansel aus seiner Anhängerschaft lustig machen. Die Meinungen, die mich persönlich erreichen, mischen sich zusammen aus Aussagen wie „macht weiter so“ und „ich wäre an deiner Stelle vorsichtig, mit welchen Leuten du dich einlässt“.

David Friedrich: Ich war schon fast ein bisschen enttäuscht. Ich hatte es in meiner Vergangenheit schon so oft mit Internet-Trollen oder Personen zu tun, die mir Angst machen wollten, die mich wirklich eingeschüchtert haben. Solche Ausmaße hat der „Blitzkrieg“ nicht genommen. So aggressiv seine Anhänger bei Demonstrationen mittlerweile auffallen, war ihr Auftreten gegenüber uns relativ harmlos. Und das sage ich solange, bis irgendwas passiert.

„All diese Aussagen führen zu einer grundsätzlichen Unsicherheit“, sagt LOT über den Einfluss von Verschwörungstheoretiker*innen wie Attila Hildmann.

Gab es andere, womöglich gehaltvollere, kritische Stimmen zu Eurem Song?

LOT: Ich habe in letzter Zeit öfters Gespräche mit Musikerkollegen geführt, die mich fragten, warum wir denn noch einmal auf den armen Attila eintreten müssten, der läge doch schon am Boden. Ich finde, er sollte Verantwortung übernehmen. Attila Hildmann schaltet jeden Tag den Rechner an und postet hundertmal etwas Dummes, und auch, weil er sich in einer Mission sieht.

David Friedrich: Ich denke nicht, dass er eine Mission verfolgt. Ich würde das eher digitales Marketing nennen. Er versucht, seine Produkte zu verkaufen und seinen Laden am Laufen zu halten. Das ist niemand, der auf dem Boden liegt, sondern jemand, der aufrecht steht und aus voller Brust seine ausgeklügelten Überzeugungen in die Welt brüllt.

Rutschen Meinungen wie die von Attila Hildmann über Impfzwang und Polizeigewalt auf Querdenker-Demos mit der anhaltenden Corona-Pandemie immer mehr in den Mainstream? 

David Friedrich: Das sollte die Headline dieses Interviews sein, oder eher, dass der Mainstream mehr in Richtung seiner politischen Haltung rutscht. Er ist keine Reichsflagge im Wind mehr.

LOT: Manche Menschen vertreten die Meinung, dass einiges, was er von sich gäbe, gar nicht so falsch sei. Und da musste ich ehrlich sagen, wenn er mir sagt, nach dem Toilettengang Klopapier zu benutzen wäre ratsam, dann stimmt das. Aber man darf nicht aus den Augen verlieren, was der Herr sonst noch von sich gibt. All diese Aussagen führen zu einer grundsätzlichen Unsicherheit der Gesamtsituation gegenüber. Wenn sich die Lage bis März oder April kommenden Jahres nicht verbessert, werden immer mehr Menschen dazu geneigt sein, denjenigen zu glauben, die schon vor Monaten mit Inbrunst Schwachsinn in der Öffentlichkeit verbreiteten.

„Die Menschen neigen dazu, in jeder Lebenslage abzustreiten, dass sie eventuell selbst rassistische Züge an sich haben“,  offenbart David Friedrich.

Inwiefern sollten vor allem Künstler*innen in diesen unsicheren Zeiten ein Vorbild sein?

LOT: Je mehr Leute sich in die Öffentlichkeit stellen und sagen „mein Name ist Michael Wendler und die Regierung betrügt uns“, desto mehr Menschen werden sich im Nachhinein denken, vielleicht war der Wendler da doch an etwas dran. Was ist, wenn die Verunsicherung mit der Zeit so groß geworden ist, dass sich niemand mehr impfen lässt, wenn es soweit ist? Viele Menschen äußern sich, weil sie die Nacht mit polarisierenden YouTube Videos zugebracht haben, am Morgen danach prompt in den sozialen Medien. Da fehlt die kritische Distanz.

David Friedrich: Ich kenne wenige Künstler, die ihre Berühmtheit dazu missbrauchen, nun endlich Politik zu machen. Viel zu wenige sind bereit, sich auf einer Basis von haltbaren Argumenten politisch zu positionieren. Wenn nun aber Deutschrapper mit ihrer riesigen Followerschaft anfangen würden, krude Theorien unabhängig von irgendwelchen Hassbotschaften zu verbreiten, dann würde ich mir Sorgen machen. Das Problem sehen ich jedoch eher in meiner eigenen Familie. Meine Tante ist jetzt schon davon überzeugt, dass Impfungen Bill Gates dazu ermächtigen, dir mit 5G-Strahlung das Hirn wegzupusten. Wenn Helene Fischer an solchen Schwachsinn glauben würde, dann würden ihr 80 Prozent der Deutschen zustimmen.

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Im Song „Allein“ singst Du, LOT: „Wie will ich hoffen, dass das Land sich mal verträgt, wenn das nicht mal in Familien geht?“ Müssen Themen wie Diskriminierung und Ausländerfeindlichkeit erst im persönlichen Umfeld überwunde werden, bevor es auf nationaler Ebene voran geht? 

LOT: Mein Vater ist deutscher Katholik, meine Mutter türkische Muslimin. In meiner Familie gibt es diese Grenze, die man auch zu spüren bekommt. Innerhalb der Hälften meiner Familien kommt es zu Streitereien, aber miteinander können sie schon gar nicht. Über die Jahre habe ich gemerkt, dass es die Meinungen meiner Familienmitglieder parallel zum ganzen Land laufen, das geht von Rassismus über Antisemitismus hinzu einem sehr veralteten Rollenbild und der Kritik am Gendern. Wenn wir nicht einmal in der Familie zusammenkommen können, wie wollen wir das dann als Land meistern? Jeder Mensch muss für sich herausfinden, was er ist, was er sein will und für was er steht. Das ist super anstrengend, kompliziert, aber auch notwendig.

David Friedrich: Man muss die Dinge selbst erst wirklich verstehen und auch hinterfragen. Wenn man sowas wie strukturellen Rassismus bei sich erst erkannt hat, ist man in der Lage, etwas in seinem Umfeld zu verändern. Man muss an einen sehr unbequemen Ort, raus aus der Komfortzone gehen und sich selbst fragen, was man am eigenen Verhalten ändern kann. Die Menschen neigen dazu, in jeder Lebenslage abzustreiten, dass sie eventuell selbst rassistische Züge an sich haben.

LOT: Ich stelle oft zähneknirschend fest, dass es noch sehr viel über mich selbst zu lernen gibt. Die Frage, was können wir tun, damit sich etwas verändert, ist eigentlich eine sehr anstrengende, die jeder für und mit sich selbst beantworten muss.

„Wir sind auch nichts weiter als Kinder unsere Zeit“, so LOT zum Thema Autotune und Synthesizer.

Von 2017 auf 2019 hast Du deinen Sound, polemisch gesagt, um 180 Grad gedreht. Von Phillip Poisel auf Synthesizer. Warum? 

LOT: Das 2017er Album habe ich zusammen mit Maik Zimmermann und Daniel Fiedler produziert. Beide waren damals sehr auf diesem Singer-Songwriter-Holzinstrumente-Trip. Beim Album zuvor ritten wir sehr auf der Indie-Welle mit. Ich mag es, mit Leuten zusammen Musik zu machen. Ich will mich dabei nicht in die Rolle eines Künstlers drängen, nach dessen Nase alle tanzen müssen. Zusammenarbeit motiviert Menschen. Wenn alle das Gefühl haben, was sagen zu können, dann fällt es ihnen auch leichter, enger miteinander zu arbeiten. Bei der neuen Platte mit GOREX war es wie in 2015. Wir waren alle auf einem Level. Wir hatten viel Spaß und mehr Songs geschrieben, als wir letztlich veröffentlichten. Die Motivation dahinter war nicht, ein Album herauszubringen, das auf der Mainstream-Schiene fährt. Es ist weitaus weniger Autotune auf der Platte, als sich der Herr Produzent gewünscht hatte. Wir sind aber auch nichts weiter als Kinder unsere Zeit.

Vom Poetry-Slam in den Deutschrap – wie bist Du, David Friedrich, da hineingerutscht?

David Friedrich: Ich bin nicht in den Deutschrap ‚reingerutscht, ich war da immer drin. Als ich mit 15 Jahren angefangen habe, bei Poetry-Slams aufzutreten, wollte ich auch nur meine Rap-Texte ausprobieren. Ich bin dankbar, beim Poetry-Slam hängengeblieben zu sein, denn das hat mir vieles ermöglicht. Trotzdem habe ich nie damit gerechnet, nach 14 Jahren immer noch in derselben Branche mitzumachen. Als ich LOT vor einem Jahr beim Slam kennenlernte, bat ich ihn zu mir auf die Bühne zu kommen und gemeinsam einen Song zu performen. Ich wusste, dass ich mich damit disqualifizieren würde – ich wollte es so. Gegen die Finalistin konnte ich eh nicht gewinnen. Es geht mir schon seit ein paar Jahren so, dass ich Dinge aufbrechen und endlich was neues anfangen möchte.

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„Kritik nicht gefällig oder witzig genug gibt beim Slam keinen Sieg“ heißt es in deinem jüngsten Text – lässt Du dich von dieser Erkenntnis entmutigen? 

David Friedrich: Unterkriegen lassen sich Leute aus dem Poetry-Slam sowieso gar nicht. Ich habe das Spiel jahrelang mitgespielt, kann solche Meta-Texte schreiben und muss auch einfach über den Dingen stehen. Ich habe es mir fast schon erarbeitet, dass ich in meinen Texten nicht mehr gefällig sein muss. Das kann mir alles scheißegal sein. Ich muss nicht dafür sorgen, dass meine Texte witzig genug sind, denn mittlerweile gibt es viele, die mich kennen. Ich verliere die Zuhörer*innen nicht mehr, nur weil ich fünf Minuten lang keinen einzigen Gag bringe.

„Irgendwas wird passieren. Vielleicht aber auch nicht, weil wir an Corona sterben oder von Attila Hildmann umgebracht werden“, sagt David Friedrich über weitere gemeinsame Projekte.

Ein paar Zeilen weiter stellst Du die Zuhörer*innen an den Pranger: „Manche wollen es relatable.“ Ist es nicht genau das, was Ihr den Menschen mit „Attila Attila“ gegeben habt – etwas, woran sie anknüpfen können, etwas, das sie, wenn auch unfreiwillig, kennen? 

David Friedrich: Wir wollten die Menschen dazu bringen, hinzuschauen und zu realisieren, was Attila Hildmann wirklich den lieben langen Tag von sich gibt. Wir wollten mit diesem Song Bildungsarbeit leisten und irgendwo auch aufklärerisch agieren. Natürlich reiten wir irgendwo auch auf der Verschwörungs-Aluhut-Welle mit, indem wir einen Song darüber schreiben.

LOT: Ich zum Beispiel kannte Attila Hildmann gar nicht. Er ist wie ein Autounfall auf der Autobahn, bei dem man nicht hinsehen darf, aber es dennoch tut. In dem Punkt, dass wir uns jemanden ausgesucht haben, den man in der Öffentlichkeit wieder erkennt, kann man uns vielleicht Gefälligkeit vorwerfen. Aber wir haben nicht wie andere Musiker, die sich über seine vegane Ernährung einen abschätzigen Reim machen, so einen Schulhof-Humor betrieben.

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Habt Ihr nach „Attila Attila“ nun noch mehr gemeinsame Songs geplant? 

LOT: Kurz in eigener Sache – ich werde noch in diesem Jahr ein Videospiel zur AfD und Aluhut-Trägern veröffentlichen, woran ich seit März arbeite. Im nächsten Frühjahr wird es neue Songs geben, wobei ich mit noch nicht sicher bin, ob es ein Album wird. Vielleicht auch mit David, darüber würde ich mich sehr freuen.

David Friedrich: Wir werden auch in Zukunft Projekte gemeinsam in die Tat umsetzen. Und ich habe mir vorgenommen, meine Songs ins Radio zu bringen. Irgendwas wird passieren. Vielleicht aber auch nicht, weil wir an Corona sterben oder von Attila Hildmann umgebracht werden.