Manfred Mann weiter auf Erfolgskurs


Das erste Kapitel der Manfred Mann-Geschichte spielte außerhalb der Scheinwerfericegel und wurde vom Publikum nicht weiter beachtet. Das zweite brachte einen Sturzbach von spektakulären Erfolgen, das dritte geriet zum unverstandenen Experiment. Kapitel vier schließlich erwies sich als das fruchtbarste und beständigste: Mit nur einer einzigen Umbesetzung hat seine Hauptfigur, die Earth Band, jetzt fast sechs Jahre überdauert – länger hielt es Manfred Mann noch nie in einem Gruppengefüge, bei einem Musikstil. Aber warum sollte er auch an einem neuen, fünften Kapitel seiner Karriere feilen: Noch sind die kreativen Reserven der Earth Band nicht erschöpft, noch wächst ihr Erfolg stetig an. Vor allem in Deutschland, wo die jüngste Tournee der Gruppe Ende Januar ausläuft.

Zwischen Nordsee und Alpen war der Erden-Sound des „Space Mann“ (Melody Maker) schon immer auf besonders fruchtbaren Boden gefallen. Wie ein reinigendes Fegefeuer war eine unbekannte Formation namens Earth Band im Festival-Sommer 1973 zwischen die Parade der ausgepowerten Hard-Rocker gefahren, hatte ein nach neuen musikalischen Ideen lechzendes Publikum begeistert und die Kritiker in Verzückung geraten lassen. „Der Mann, der 80.000 von den Stühlen riss“, bilanzierte eine deutsche Rock-Zeitung, nachdem die Earth Band auch in einer Serie von Weihnachts-Festivals für den richtigen Ton gesorgt hatte – diesmal allerdings schon als Hauptattraktion.

Für viele 73er Jungfans, die bei den Sphärenklängen der Earth-Band aus ihren Festival-Schlafsäcken krochen, war das musikalische Können eines Manfred Mann eine Neuentdeckung, die unvoreingenommen genossen werden konnte. Den Bandboß selbst hingegen plagte zur gleichen Zeit der Schatten einer gar zu gloriosen Vergangenheit. „Kein Interview“, pflegte er zu schimpfen, „bei dem ich nach den Anfängen dieser Band gefragt werde. Stattdessen immer wieder die alte Leier: Wie war das noch – 1962? – Also: Wie war das noch, 1962, als Pat Boone keimfreie Hitparaden garantierte,die Beatles noch in Liverpooler Kellerlokalen durch Hundert-Watt-Anlagen schepperten und spätere Earth-Band-Freaks mit Vorliebe Tretroller fuhren?

Im Vorjahr war ein 22jähriger Südafrikaner mit urdeutschem Namen nach London gekommen: Manfred Mann, Sohn eines Johannesburger Druckers, vorbelastet durch Talent, frühen Klavierunterricht und vorrübergehendes Musikstudium. 1962 frönte er zusammen mit einem Drummer namens Mike Hugg seinem Hobby – dem Jazz. Lange indes hielt die Liebe nicht. Schon im nächsten Jahr ging das erste und unlukrativste Kapitel der Mann-Geschichte zu Ende. Nacktes Kalkül ließ aus dem „Mann-Hugg-Blues-Brothers“ genannten Quartett die Band „Manfred Mann“ entstehen – und aus zwei unbeachteten Jazzern wurden die erfolgreichsten Trittbrettfahrer der aufkeimenden Beat-Ära.

Fünfzehn Top-Ten-Hits

Keine Pop-History unserer Tage könnte die 15 Top-Ten-Hits in England und das runde Dutzend weltweiter Hiterfolge übergehen, das Manfred Mann mit einer stetig wechselnden Schar erstklassiger Musiker zwischen Februar 1964 und Mai 1969 schaffte; von „Doh Wah Diddy Diddy“ etwa bis zu „Mighty Quinn“ und „Ragamuffin Man“. Dann allerdings hatte Mann sich mit (überaus gekonnten) Kommerz-Produktionen gründlich verschlissen. Um sein musikalisches Gleichgewicht wiederzufinden, stürzte er sich kopfüber ins dritte, ins Avantgarde-Abenteuer.

„Chapter Three“, wie sich seine bis zu einem Dutzend Mitspieler umfassende neue Gruppe nannte, brach nach zwei LP-Einspielungen wieder auseinander. Zwar standen die Zeichen der Zeit auf Jazz-Rock, doch machte Mann wohl von erstem zu viel und von zweitem zu wenig – das Publikum jedenfalls brachte kaum Verständnis für seine experimentellen Versuche auf.

Mitte 1971 wurde es endgültig Zeit für einen neuen Anfang. Es war das dritte Mal, daß Manfred Mann völlig von vorn begann, und er nutzte seine Chance: Aus dem reichen Schatz musikalischer Erfahrungen und im Schnittpunkt von künstlerischem Anspruch und kommerziellem Gebot entstand die Earth Band.

Schleppender Neubeginn

Manfred Mann brauchte nicht übermäßig lange zu suchen, um eine neue Gruppe auf die Beine zu bekommen. Er fand seine Leute im Dunstkreis von „Chapter Three“. Chris Slade, ein walisischer Drummer, hatte bei der Aufnahmesession zur dritten (nie veröffentlichten) „Chapter Three“-Platte ausgeholfen. Er brachte auch Colin Pattenden mit, der zuvor von der Gitarre auf den Baß umgestiegen war. Und Mick Rodgers schließlich, der langjährige Sänger und Gitarrist der Earth Band, stand nach musikalischen Lehrjahren in Australien selbst einige Zeit auf der Kandidatenliste des „Dritten Kapitels“ Kapitel vier also konnte beginnen, doch ließ es sich reichlich schleppend an. Sowohl das im Februar 1972 veröffentlichte Debutalbum mit dem Titel } ,Manfred Mann’s Earth Band“ als auch die hastig nachgeschobenen Longplayers „Glorified Magnified“ (September ’72) und „Messin'“ (Juni ’73) fanden kaum Resonanz. Es bedurfte wieder einmal einer Single, um den Stein ins Rollen zu bringen: „Joybringer“, spätsommerlicher britischer Chart-Erfolg, lieferte den idealen Background für die ersten kontinentalen Festivalerfolge. Und das noch im November 1973 fertiggestellte Album „Solar Fire“ wurde der kommerzielle Durchbruch der Earth Band.

Bis dahin hatte – nach Manns eigener Ansicht – keine ihrer Langspielplatten die Faszinationskraft ihrer Live-Auftritte zu erreichen vermocht. Mit der „Solar Fire“ einleitenden Dylan-Nummer „Father Of Day, Father Of Night“ wurde das anders. Der machtvoll-melodische Rock der Earth Band erhielt raffinierte, bombastische Arrangements aufgesetzt, die‘ auf der Bühne nur mehr durch Tonband-Einspielungen nachzuvollziehen waren.

Unter ähnlichen Vorzeichen entstand auch der musikalisch ebenso schillernde wie faszinierende Umweltschutz-Hymnus „The Good Earth“ (Oktober 1974), zu dem die Mann-Crew mit einem bei der US-Gruppe Black Oak Arkansas abgeguckten Werbegag aufwartete: Plattenkäufer bekamen einen Anrechtsschein auf einen Quadratmeter britischen Bodens (in einer Landschaft, die allerdings so kärglich war, daß die Plattenfirma sich in folgende Beschreibung flüchtete: „Das Grün verfärbt sich im Herbst in ein bizarres Rot und im Winter ist auch der Himmel ständig ganz weiß.“) Um PR-Pointen war Manfred Mann übrigens nie verlegen: Aufgrund eines halbjährigen Lehrauftrags an der Londoner Universität rückte er allenthalben zum „Pop-Professor auf; er tat kund, er bastele an einer „vibrationsfreien Brille“ für Konzertbesucher und beging den Start des sechsten Earth-Band-Albums mit großem Luftballon-Wettbewerb.

Auf dieser LP, ,,Nightingales And Bombers“, verwertete er auch einen ersten Springsteen-Titel: „Spirit In The Night“. Eine weitere Komposition des amerikanischen Sängers und Gitarristen sollte 1976 zum bislang größten Erfolg der Gruppe in Großbritannien und auch‘ in der Bundesrepublik werden: „Blinded By The Light“ vom Album „The Roaring Silence“. Dem britischen Magazin Sounds gestand Manfred in diesem Zusammenhang: „Ich glaube, keiner von uns kann so gute Titel schreiben, wie es diese Songs sind, die wir arrangieren. Das meiste, was wir in den letzten fünf Jahren gemacht haben, war zwar unser eigenes Material – die publikumsträchtigsten Sachen hingegen stammten stets von anderen Leuten.“

Für die ungewöhnliche Aufbereitung von Fremdprodukten allerdings hat Mann schon in den sechziger Jahren einen bemerkenswerten Spürsinn gehabt, als er zahlreiche Dylan-Kompositionen zu Hits machte („If You Gotta Go, Go Now“, „Mighty Quinn“, „Just Like A Woman“). Und nicht nur dafür: noch bevor die Moody Blues das Mellotron popularisierten, wußte er es einzusetzen(1966),und an anlog war er auch der erste Mini-Moog-Mann in England. Bis heute hat er der Versuchung des Synthesizer-Overkill jedoch nicht nur erfolgreich getrotzt; er kündigte vor einiger Zeit als neue Marschroute gar ein Zurechtstutzen der Instrumentalparts zugunsten des Gesangs an.

Das geschah, nachdem Sänger und Gitarrist Rogers zurück nach Australien ging und Mann, weil eine geeignete Ersatzperson nicht zu finden war, an seiner Stelle gleich zwei Leute anheuerte: Lead-Gitarrist Dave Flett und Sänger Chirs Thompson, der auch Gitarre spielt und eigentlich Lehrer in Neuseeland werden wollte. Die Neubesetzung ließ das jüngste Album in der Tat melodischer, songbetonter ausfallen. Es war darüber hinaus auch musikalisch geschlossener als die Vorläufer.

Das Zittern der Gruppe, ob das Publikum ihre neue Besetzung akzeptieren würde, erwies sich als unbegründet. Die Earth Band schwimmt – auch in Deutschland – weiter auf Erfolgskurs.