Marek Lieberberg


Seit nunmehr 25 Jahren bestimmt er mit, wer und was auf deutsche Bühnen kommt. Der Wettenbummler aus Mainhattan läßt „ein Leben am Rande des Nervenzusammenbruchs" Revue passieren - Bekenntnisse eines Mannes, der das Chaos kennt

Den ersten Vertrag besiegelte ein Fettfleck. Auf einer schlichten Serviette. In einem Frankfurter Gartenlokal. Damals rang ausgerechnet ein „Nobody“ im Geschäft dem Manager der Rock-Gruppe Deep Purple, John Colletta, die Unterschrift für die erste Tournee der Band in Deutschland ab. Der Name des Newcomers: Marek Lieberberg, heute 49 lahre alt und einer der größten und einflußreichsten Konzertagenten Deutschlands. Trotz des provisorischen Auftakts: Lieberberg feierte mit der Tournee „Deep Purple In Rock“ gigantische Erfolge. Viele Superstars folgten: Von den Bee Gees bis Billy Joel, von den Dire Straits bis U2. Jüngster Mega-Hit des Show-Giganten: Rock im Park mit Bon )ovi & Co., das Open Air-Highlight des Sommers ’95.

Exakt 25 Jahre ist Lieberberg jetzt im Busineß. Ein Vierteljahrhundert, das, mit seinen eigenen Worten gesprochen, „ein Leben am Rande des Nervenzusammenbruchs, ein Balanceakt auf dem schmalen Grat zwischen unendlichem Erwartungshorizont und finanziellem Risiko“ bedeutete. Aber schließlich sei er da nicht irgendwie hin verschlagen worden, resümiert der eloquente Dandy-Typ nachdenklich, der im dunkelblauen Anzug mit Weste und Siegelring eher an einen Banker als an einen Show-Veranstalter erinnert. „Ich bin jemand, bei dem es in einem chaotischen Leben ein organisches Wachstum hin zum Konzertveranstalter gegeben hat.“

Dabei ist dem Mann, der an einem Vierteljahrhundert Rock- und Pop-Geschichte kräftig mitgeschrieben hat, sogar selbst einmal der „Durchbruch“ auf der Bühne gelungen – allerdings mitten hinein in einen Schweinestall! Das war Anfang der 60er, als Lieberberg noch (der augenzeuge)

mit seiner eigenen Band Mike Lee & The Rangers durch die Lande tingelte und gnadenlos Beatles- und Hollies-Titel kupferte. Lieberberg: „Eines Tages spielten wir in einem Provinzstädtchen im Taunus. Bei einem der Sprünge, die damals so in waren, ist es dann passiert: Die Bühne krachte zusammen, und ich konnte mich gerade noch mit den Armen abstützen.“ Die Schweine grunzten, das Publikum tobte vor Vergnügen.

Dabei waren Mike Lee & The Rangers gar nicht mal so schlecht. Sie gewannen Beat-Wettbewerbe (Lieberberg: „Produzent Curti Cress spielte auch mit. Aber der war unter ferner liefen.“), traten im legendären Hamburger ‚Star-Club‘ im Vorprogramm von den Remo 4 und King Size Taylor auf, lernten Fats Domino und Little Richard kennen – und kamen alsbald mit dem Gesetz in Konflikt. Ihr Recht nämlich sahen die Anwälte der englischen Tremeloes verletzt, als Mike Lee & The Rangers deren Hit ‚Here Comes My Baby‘ in einer Nachzieher-Version auf den Markt brachten – und sich kurzerhand auch noch in ‚Trembles‘ umbenannten. Das Ende vom Lied: eine einstweilige Verfügung und ein Aufdruck auf dem Plattencover. Um die Verwechslungsgefahr mit den Tremeloes auszuschließen, durfte die Single nur unter dem Etikett „namenlos“ erscheinen. Nicht genug damit, daß dieses Ereignis Sänger Mike Lee alias Marek Lieberberg in seiner Entscheidung, einen ordentlichen Beruf zu ergreifen, bestärkte. Es läßt den gelernten Journalisten auch heute noch selbstkritisch urteilen: „Ich bin bestimmt ein bedeutend besserer Konzertveranstalter als Sänger einer Band.“

Seine Leidenschaft Musik holte ihn dennoch schnell wieder ein. Bei der Nachrichtenagentur ‚associated press‘ schrieb Lieberberg Features, formulierte News und berichtete nebenbei aus der Londoner Royal Albert Hall über die Stars der Stunde: „Led Zeppelin, Crosby, Stills, Nash & Young, Yes, das war die Musik, das waren die Inhalte, an die wir glaubten.“ 1970 gründete er gemeinsam mit Marcel Avram seine erste Agentur.

„Was der Papa kann, das kann die Mama schon lange“, lautete Lieberbergs Slogan, der zum einen Deutschlands Musikszene zum Schmunzeln brachte, und zum anderen die Agentur über Nacht bekannt machte. Der Grund: ‚Mama Concerts‘ kombinierte nicht nur pfiffig die Vornamen der beiden Geschäftspartner Ma(rek) und Ma(rcel), sondern galt darüber hinaus als gelungene Spitze gegen den Branchen-Konkurrenten Fritz ‚Papa‘ Rau. Das war noch vor jenem denkwürdigen Vertragsabschluß mit Deep Purple in Frankfurt…

Das darauffolgende Gastspiel der Band in der Schützenhalle von Lüdenscheid wird Lieberberg wohl nie vergessen: „Erst bekam Ritchie Blackmore eine Blinddarmentzündung und flog mit der erstbesten Maschine zurück nach England. Dann packte auch noch lan Gillan schweres Fieber. Doch lan, John Lord, lan Paice und Roger Glover gingen trotzdem auf die Bühne. Bei ‚Child In Time‘ war es soweit, lan ging ins Falsett und kam nie wieder runter. Er brachte einfach keinen Ton mehr heraus, lan ging von der Bühne, die Band spielte noch zwei Instrumentals und ergriff panikartig die Flucht. Der DiscJockey sagte: ‚Wunderbar, das war der erste Teil‘. Doch die Roadies bauten bereits ab. Da realisierte das Publikum schlagartig, was Sache war, machte sich über die Anlage her und begann zu randalieren, lan Gillan schleppte ich durchs Toilettenfenster zu mir nach Frankfurt, weil auch das Hotel schon belagert war. Er schlief zwischen mir und meiner Frau im Ehebett – todkrank. Wir sind Freunde fürs Leben geblieben.“ In dieser Zeit hat Marek Lieberberg „geschuftet wie später nie wieder. Ich habe Plakate entworfen und geklebt, bis die Hosen steif vom Leim waren, Karten gedruckt und abgerissen, Anlagen auf- und abgebaut.“ Getrieben von Enthusiasmus und Perfektionismus, aber ahnunglos in Sachen Künstlerund Mehrwertsteuer, GEMA und anderen Bürokratismen. Nach zwei bis drei Jahren drohte nach einer Sinatra-Tour das finanzielle „Aus“. Lieberberg: „Wir hatten noch 800 Mark auf dem Konto. Ich habe die Gläubiger beruhigt. Mein Partner ist in den Urlaub gefahren.“ Marcel Avram, dessen Name Lieberberg nicht nennt, ist später nach München gegangen. Bis zur endgültigen Trennung im Jahr 1986 „haben wir beide als unabhängige Einheiten gewirkt.“ Über die Zusammenarbeit sagt Lieberberg: „Es war unmöglich, menschlich, intellektuell, persönlich, emotional. Ich arbeite filigran, andere wollen lieber mit dem Holzhammer arbeiten. Aber die Axt ist nicht mein Instrument.“

Lieberberg liebt Stil und Etikette. Ein Kunstkenner und Gourmet, ganz weltmännischer Gentleman. Und ausgerechnet dieser Mensch verdient sein Geld in einer Szene, in der das pralle Leben tobt? Feierte seine größten Erfolge in einer Zeit, in der Orgien, zertrümmerte Hotelzimmer und Drogenexzesse zum guten Ton eines Rockmusikers gehörten? Wie geht das zusammen? „Ich war nie bereit, an Zerstörung mitzuwirken, bin nie dem Heroin oder Kokain verfallen, aber mit der Szene konnte ich trotzdem wunderbar auskommen“, sagt Lieberberg. „Meine Stärke war das Entertainment für die Bands. Ja, ich habe mich zum Narren gemacht. Ich war das Chamäleon, ich habe auf Tischen getanzt, ich habe an Gelagen teilgenommen, ich habe die Mädchen über die Dächer reingeholt. Ich habe ihnen auch die Slips runtergezogen, und ich hatte sexuell durchaus Appetit. Aber Drogen? Ich war doch auch so schon verrückt genug…“

Bekenntnisse eines Mannes, der lebt – und andere leben läßt. Der sich nicht als Zensor aufspielen will. Auch nicht,

wenn es um Musik geht, die ihm selbst nicht gefällt. „Als ich die erste Mary & Gordy-Tour veranstaltet habe, schämte ich mich irrsinnig“, gesteht Lieberberg. „Diese Art Altherrenwitze von Mary hat mir schlichtweg Pickel verursacht.“ Auch mit Peter Hofmanns Musik mag er sich nicht identifizieren und hat mit dem Tenor dennoch gute Erfahrungen gemacht. „Wir haben noch nie einen Vertrag abgeschlossen, immer per Handschlag gearbeitet. Wenn er auch unverbesserlich ist in seiner Auffassung, was Musik angeht, so ist er doch ein großer Künstler und wunderbarer Freund.“

Es waren stets die schwierigen Menschen, die widersprüchlichen Charaktere, die ambivalenten Künstler, die Lieberberg am meisten gereizt haben. Beispiel Bono von U2: „Einmal kam er in Köln an, jenseits von Gut und Böse, und fing vor dem Hotel Continental plötzlich an zu singen und seinen Hut aufzuhalten. Ich habe versucht, ihn wegzuschleppen, wir machten die Nacht zum Tage, das Gelage dauerte zwei Tage und zwei Nächte, und wir fragten uns, ob wir ihn für das Konzert jemals wieder herstellen können. Aber es ist immer spannend, mit Bono zu sprechen, ihn zu erleben.“

Mehr als jeder andere Künstler aber beeinflußte und prägte wohl Deutschlands meistgescholtener Star den Impresario: Ute Lemper. Keine wurde wie sie erst hochgejubelt und später niedergemacht. Schon als er sie „als ziemlich freche Göre zum ersten Mal in einem Fernsehinterview“ gesehen hatte, war Lieberberg fasziniert. Als der Moderator nach ihren Plänen fragte, und sie antwortete, sie würde am liebsten eine eigene Show machen, da sagte er im Stillen: ‚Baby, du hast sie.‘ „Mit meiner kleinen Hilfe ist sie weltweit bekannt geworden. Ich habe versucht, sie mit den besten Choreographen, den besten Musical-Direktoren der Welt zusammenzubringen. Es war eine aufregende Zeit. Unter Gorbatschow bin ich einmal mit einer Kiste voller Delikatessen zu ihr nach Moskau gefahren, um sie zu versorgen. Sie hat ja einen gesunden Appetit. Aber die Kiste war so schwer, daß sie durch den Kofferraum des Taxis knallte. Ich brachte sie dann mit einem Lkw zu den Studios. Es waren schon fantastische Momente. Momente, die mich mein Leben lang nicht verlassen werden, bei denen ich immer noch erschauere, wenn ich an sie denke. Ich habe Ute sehr verehrt und geliebt. Ich stehe tausendprozentig dazu und sehe keinen Grund, warum man sie hier so schäbig behandelt hat.“ Das Business und seine Opfer.

Was ihn besonders schmerzt: „Die Wandlung von Cat Stevens. Er war immer ein Suchender, ein schwieriger, sensibler Mensch, auf eine gewisse Weise skurril. Das habe ich daran gemerkt, daß er mit meinem Bruder zu Beethoven tanzte. Meine Frau hat für ihn vegetarisch gekocht. Er war Pazifist. Heute ist er militanter Moslem. Er hat alles der islamischen Organisation vermacht, hat aufgegeben, wofür er stand. Er ist selbst zum ‚Moonshadow‘ geworden, den er einst besang.“

Was ihn bestürzt: „Das Schicksal von Peter Frampton, der in einer Verbindung zu einer Frau stand, ähnlich wie Kurt Cobain zu Courtney Love. So zwanghaft, daß sie ihren Tribut forderte, die ganze Tournee belastete und bis an den Rand des Bruchs führte. Vom einst größten Plattenverkäufer der Welt ist nicht viel geblieben.“

Was ihn nachdenklich stimmt: „Künstler, die von Managern, Agenten und Anwälten falsch beraten wurden und ihr Vermögen verloren. Wie Billy Joel, dessen Manager sich auf riskante Deals einließ und zweistellige Millionen-Dollarbeträge verlor.“

Worüber er heute noch lacht: „Die Europatournee mit Leonard Cohen. Wir haben damals meinen Bruder David in Griechenland als Pfand zurückgelassen, weil wir die Hotels nicht bezahlen konnten. Nach zwei Wochen rief er an und fragte empört, ob wir ihn nicht langsam mal auslösen wollten.“

Was ihn glücklich macht: „‚Heute die, morgen du‘, die große Aktion deutscher Rock-Musiker gegen Rechtsradikalismus. In wahnsinnig kurzer Zeit realisiert, von der Industrie ignoriert. Eine Viertelmillion Menschen live, Millionen vor den Fernsehern mit einer gemeinsamen Aussage in einem Land in einer prekären Situation.“

Wen er einen echten Freund nennt: „Mark Knopfler von den Dire Straits, mit dem ich Tennis spiele und einfach gut kommuniziere. Als wir in Berlin waren, fiel ihm vor dem Hotel Kempinski eine skurrile und eher unangenehme Fan-Gruppe um einen Mann mit Kehlkopfmikrofon und Scheitel wie aus den soern auf, der sich immer maßlos viele Autogramme geben ließ. Mark schrieb ein Lied über ihn und spielte es mir vor. Ich glaube, wir sind Freunde, weil ich immer auf seinen Ruf warte, weil ich ihm Raum gebe und keine Luft nehme. Wir können gut miteinander schweigen.“

Was ihn schockiert: „Die völlige Verhohlung durch Techno. Die Stimulierung einer totalen Tablettensucht, die dann auch noch intellektuell verbrämt wird. Das finde ich beschissen. Hier werden Menschen zu Reflektoren von Beats gemacht. Eine entsetzliche Verrohung und Verarmung. Diese Parades haben etwas, was schlimmstenfalls an die deutsche Geschichte erinnert. Das Stampfen hat etwas von der inhaltslosen Monumentalität des Faschismus. Ich glaube, daß Techno gerade in Deutschland so gut funktioniert, hat ursächlich damit zu tun, daß man hier solchem Monumentalismus gegenüber besonders empfänglich ist.“

Was ihn für die Zukunft beschäftigt: „Die Frage, wie lange sich Gipsys, wie wir es sind, noch halten können. Ob der Impresario morgen noch gefragt ist. Das festzustellen, wird die Aufgabe für die kommenden Jahre sein.“