Marina Diamandis über die USA


Wenn der Vater sagt: "Mach das nicht!", macht man es natürlich erst recht. Die Waliserin Marina Diamandis, die sich als Marina & The Diamonds einen guten Namen im Pop gemacht hat, wirft sich deshalb mit Anlauf in die Arme des Glamours und der ganz großen Hit-Produzenten. Und sie flirtet mit Amerika.

Dein bekanntester Satz lautet: „I’m obsessed with the mess that’s America.“ Bist du tatsächlich vom Land der unbegrenzten Möglichkeiten besessen?

Ja und nein. Ich bin von einem Vater großgezogen worden, der gegen das Establishment und die Konsumgesellschaft eingestellt ist. Er sagte immer, dass man diesen ganzen Tand nicht brauche. Keine Markenware, keine Schminke, keine gefärbten Haare. Dafür bin ich ihm durchaus dankbar. Aber es gibt auch diesen Impuls in mir, der mich in die genau entgegengesetzte Richtung treibt. Mein ganzes bisheriges Leben war ich darauf bedacht, ich selbst zu sein. Wäre es da nicht ganz schön, zur Abwechslung mal in eine andere Rolle zu schlüpfen? Ich bin jetzt 26, also muss ich das Wagnis jetzt eingehen. Später sähe es bloß nach einer Midlife-Crisis aus. (lacht)

Dein Imagewandel ist in der Tat auffällig. Du hast dir die Haare blond gefärbt und kleidest dich beinahe wie eine Barbie-Puppe. Fast hat man das Gefühl, als wolltest du in die Zeit von Marilyn Monroe zurück. Warum?

Ja, ich sehe jetzt wie ein blondes Dummchen aus. Ich mache auf Glamour-Girl. Wird sich dadurch die öffentliche Meinung über mich ändern? Mir gefällt es, wenn ich Leute zum Nachdenken bringen kann. Pop ist ein gigantischer Spielplatz, da kann man ruhig einmal etwas ausprobieren und sehen, wie eine bestimmte Entscheidung, die ich treffe, die Wahrnehmung des Publikums beeinflusst. Marilyn Monroe ist in der Tat eines meiner Vorbilder. Ich bin jetzt eine Art Cyber-Marilyn. Oder eine Cyber-Madonna. Die hat sich ihre ganze Karriere über immer verändert.

Wie bewertest du rückblickend den Erfolg deines ersten Albums The Family Jewels?

Zuerst war ich schon etwas enttäuscht darüber, dass ich damit nicht groß herausgekommen bin. Aber dann wurde mir bald klar, wie viel ich erreicht hatte. Ich bin keine Kompromisse eingegangen und habe alles bei mir zu Hause im Schlafzimmer entwickelt, das ist bei Popsängerinnen ja nun wirklich nicht die Norm. Es war meine Plattform, von der aus ich der Welt zeigen konnte, dass ich eine gute Songschreiberin bin. Ich habe danach Angebote von Leuten in Amerika erhalten, die ich immer bewundert habe; von Rick Nowels zum Beispiel, der seit den Achtzigern und den Erfolgen mit Belinda Carlisle zu den großen amerikanischen Songschreibern und Produzenten gehört (er arbeitete u.a. auch für und mit Madonna, Lana Del Rey, Santigold, Santana – Anm. d. Red.). Ohne meine Songs „I Am Not A Robot“ oder „Hollywood“ wäre es nie zu dieser Zusammenarbeit gekommen.Man sucht auch deshalb die Unterstützung amerikanischer Produzenten, weil sie wissen, wie man einen weltweiten Hit landet. War das der Grund, warum du mit Nowels oder Dr. Luke zusammenarbeiten wolltest?

Ich sehe mich grundsätzlich als Indie-Musikerin und nicht als Frau, die verzweifelt darauf hinarbeitet, Popstar zu werden. Ich würde mir keinen Gefallen tun, wenn ich nur mit dem Gedanken im Hinterkopf zu Dr. Luke fahren würde, dass ich mit seiner Hilfe bestimmt bald einen Hit haben werde. Darum geht es nicht. Es ist für mich immer eine künstlerisch orientierte Arbeitsbeziehung. Es geht um Inspiration. Mir ging es darum, herauszufinden, ob ich mit so einem Profi einen guten Song schreiben kann. Er hat für meine Heldin Britney Spears und auch für Katy Perry und Kesha gearbeitet. Da ist es schon interessant, mal herauszufinden, wie so einer tickt. Am Anfang war ich wählerischer. Aber jetzt sage ich mir: Was für einen Sinn hat es, wenn man sich selbst einengt?

Du hast im Vorprogramm von Katy Perry gespielt und kennst US-Bühnen auch sonst ganz gut. Sind Tourneen durch dieses Land tatsächlich so ein Albtraum, wie immer behauptet wird?

Es gibt wirklich bessere Sachen. Man lebt nur für die Shows und verbringt den Rest der Zeit im Bus. Menschen sind einfach nicht dafür geschaffen, in einem Bus zu leben. Man bewegt sich nicht und ist schnell deprimiert. Ich kompensiere das, indem ich Schokoladenriegel in mich hineinstopfe. Dadurch bin ich beim letzten Mal ganz schön fett geworden. Was irgendwie gut zu Amerika gepasst hat.

Thomas Weiland Albumkritik S. 86

Marina Diamandis (26), Tochter eines griechischen Vaters und einer walisischen Mutter, stammt aus Abergavenny in der Grafschaft Monmouthshire. Das Label Warner entdeckte sie im Vorprogramm von Gotye. Ihr Debüt, The Family Jewels, erschien 2010 und überzeugte mit einer Mischung aus Pop und New Wave. Auf ihrem zweiten Album, Electra Heart, wagt sie nun einen Flirt mit amerikanisch orientiertem Mainstream-Pop.