Marshall-Plan – Jan Wigger revisitiert den Cat-Power-Katalog


Dear Sir (1995) Zwischen Vincent Callo und der jungen Chan Marshall war wohl mal was, und natürlich bestätigte das karge „Mr. Callo“ auf dem Cat-Power-Debüt den notorischen Größenwahn des Filmemachers: „That good looking Cat Power chick. Chan Marshall, wrote some nasty words. What could she do? She loved me.“ Die ersten Marshall-Stücke sind eine zwar noch recht spröde, aber lohnenswerte Angelegenheit. Im vergleichsweise vehementen „Itchyhead“ macht Chan den Hörer schon mal mit künftigen Topoi vertraut: Babys, Messer, abgeschnittene Köpfe. (3,5)

Myra Lee (1996) Ein erstes Beispiel von Marshalls Cover-Kunst findet sich auf der zweiten, noch am gleichen Tag wie Dear sir eingespielten LP, die so heißt wie Chans Mutter: Myra Lee. Mit schon hier immer leicht angstbebender Stimme gewinnt Marshall „Still In Love“ von Hank Williams eine neue Dimension ab. Blues, Folk.Country und was vom Punkrock übrig blieb geistern durch die Zwischenräume, Sonic-Youth-Drummer Steve Shelley hält das Album zusammen, Tim Foljahn von Two Dollar Cuitar spielt zweite Gitarre. „We All Die“ bleibt ein steter Quell der Freude: „Marriage and kids and drug addiction/All the lies aside/ I believe I am the luckiest person alive.“(4)

What Would The Community Think (1996) Tja, was sollen bloß die Leute denken? Im Zweifelsfall würden „die Leute“ nicht einmal im Traum auf die Idee kommen, sich dieses schwarze Loch von einer Platte freiwillig anzuhören, what would the community think ist die bis dahin mit Abstand beste Cat-Power-Platte und beginnt standesgemäßen this hole that me have fixed/We get further and’further and further/From what Ive mustdo.’Das noch immer rätselhafte, phantastische „Nude As The News“ zeigt Marshall nun im Besitz einer „flamegun for the cute ones“, das Peter Jefferies-Cover „Fate Of The Human Carbine“ und Chans exzellente Version des Smog-Runterziehers „Bathysphere“ ziehen die Schlinge etwas fester um den Hals: „When I was seven /My father said to me: /Butyou can ‚t swim ‚/And l’ve neuer dreamed of the sea again. „(5,5)

Moon Pix (1998) „11 Songs Australia 1998“ steht auf der Rückseite von moon pix und eine sachlichere Beschreibung für das einsame Meisterwerk der Musikerin Chan Marshall ist kaum denkbar. Der Wolkenbruch, der verdammte, heilende Regen, der in die schönste aller Cat-Power-Kompositionen („Say“)gleich zu Beginn hereinbricht, hat den Asphalt nun schon zehn Jahre lang voller Tränen gemalt:“I hope all is well withyou/l wish the best for you/When no one is around, love will always love you.“ Bis heute unbegreiflich, dass ein nicht geringer Teil der MOON Pix-Songs Folge eines Alpdrucks gewesen sein soll, nach dem Marshall das Bett verließ und somnambulierend anfing zu schreiben. Blütenträume im Haar, Alkohol in den Venen und das lebensmüde „shoop shoopeh doop“aus „American Flag“: Heute mag Chan diese Platte nicht mehr hören. (6)

The Covers Record (2000) Chan Marshall covert sich selbst sowie Velvet Underground, Bob Dylan, Nina Simone oder auch Moby Grape. Wieder mit dabei ist ein Smog-Cover („Red Apples“), denn zwischen Chan Marshall und dem mittlerweile zu Joanna Newsom transferierten Bill Callahan war ja auch mal was. Die tägliche Mordsgaudi in der Marshall-Callahan-WG muss man sich mal vorstellen! Vom bis auf die Knochen gehäuteten, refrainbefreiten „(I Can’t Get No) Satisfaction“ über die Verführung „Salty Dog“ bis hin zum fabelhaftinterpretierten Phil-Phillips-Cover „Sea Of Love“ eine perfekte Platte und Exempel für die suggestive Kraft von akustischer Gitarre und Piano. Die gespenstisch stille Interpretation von Michael Hurleys „Twee Dee Dee“lässt erahnen: Chan Marshall geht es nicht so gut. (5,5)

You Are Free (2003) Erst im Jahr 2003 kehrte Chan Marshall mit einem neuen „richtigen“ Studioalbum zurück, und im Nachhinein muss man sagen: You are free wurde weder über- noch unterschätzt. Ein gutes bis sehr gutes, durchaus typisches, im Ton etwas helleres Album mit den unerwarteten Gästen Eddie Vedder (als Gastvokalist auf „Good Woman“) und Dave Grohl. Auch Warren Ellis von Dirty Three ist beteiligt, und zumindest drei, vier Songs ließen diverse Rezensenten zum äußerst fragwürdigen Urteil kommen, dass dies dann ja wohl Chan Marshalls „Rock“-Album sein müsse. (4)

The Greatest (2006) Von der verhuschten Chan Marshall,die 2004 auf der DVD speaking for trees zwei endlose Stunden lang mit Gitarre durch den Wald spazierte, ist auf the greatest nichts mehr übrig geblieben. Keine abgebrochenen Konzerte, keine Rauschmittel mehr, dafür der seidenmatt glänzende Klang dieses in der „Stax“-Heimat Memphis,Tennessee, aufgenommenen Albums, mit dem Marshall plötzlich und unerwartet zur „Soul-Diva“ wird. Man hört sowohl Dylan als auch Mary J. Blige heraus, AI Greens Backing-Band brilliert, das Album wird ein massiver Hit. Musikalisch exquisit, doch ins Herz sticht The Greatest nicht mehr. Die Cat Power-Platte, die man seinen nicht depressiven Freunden und Bekannten als erstes empfehlen würde. (4)

Jukebox (2008) Mehr Gediegenes ist auf dem zweiten, folgerichtig weit weniger desperaten Teil von THE COVERS RECORD ZU hören: Sinatras „New York, New York“ wird komplett Anti-Harald-Juhnke-mäßig zu einem Geister-Soul umgedeutet, aus Hank Williams'“Ramblin’Man“ macht Marshall ein lebhafteres „Ramblin'(Wo)man“, und „Song To Bobby“ ist ihre Huldigung an den ewigen Bob (Dylan). Die neue Version des moon Pix-Songs „Metal Heart“ klingt auf jukebox leider nicht mehr nach wahrer Empfindung, sondern nach Starbucks. Doch Zynismus wäre hier fehl am Platz: Wenn es eine Musikerin gibt, der man in den letzten Jahren persönliches Wohlbefinden und Busladungen voller Fans wünschte, dann doch Chan, der Göttlichen. (3,5) (Alle Alben bei Matador /Beggars Group/Indigo]