Popkolumne, Folge 221

Ich bin ein hübsches Mädchen: Paulas Popwoche im Überblick


… über Benjamin von Stuckrad-Barre, „Sam – Ein Sachse“, Blond, Lesbian Visibility, QUEENS OF THE STONE AGE, BILLY TALENT, MUSE, PLACEBO UND DIE ÄRZTE! (Spaß)

Buch der Woche: Benjamin von Stuckrad-Barre – „Noch wach?“

Bringen wir es hinter uns. Es ist natürlich das Buch der Woche, allein, weil man keine Zeit hatte, ein anderes zu lesen, wenn man mitreden wollte. Nebenbei musste man noch auf Twitter, Facebook, Instagram mitlesen, wenn man die aktuell dominierende Meinung mitbekommen wollte, es gab also viel zu tun. Erst zu spät begriff ich, dass man es natürlich nicht gelesen haben muss. Im Gegenteil: Viel cooler waren die Bekundungen von Leuten, dass sie es nicht gelesen haben und warum. Überbewertet, antifeministisch, kann gar nicht schreiben, der Typ, das mit dem Koks damals, das Getue, haha! Versteht mich nicht falsch, ich gehöre nicht zu den Leuten, die was gegen Vorverurteilungen per se haben, ich kann es richtig gut verstehen, die Alarmglocken klingeln hier nicht falsch, ich tu‘ mir auch oft Sachen nicht rein, wenn mir allein der sogenannte Vibe, der von der Künstlerperson ausgeht, nicht passt.

ME.Gespräch mit Thees Uhlmann und Benjamin von Stuckrad-Barre: „Es brennt grundsätzlich hinter uns.“

Ich will also niemanden überzeugen oder so. Nur mir gefiel der Vibe von Stuckrad-Barre, als ich ihn damals entdeckte, erst Ende der Nuller war das, ziemlich gut. Damals interessierte ich mich gerade seltsamerweise sehr für Männer und Männergeschichten, fand Frauen eher mittel, furchtbare Phase, ich kannte aber auch nicht so viel, was außerhalb der Glotze lief. Aber ich mochte eben, dass da jemand so schrieb, dass ich es verstand und mochte, jaaa, Popliteratur war so geil, endlich hatte ich mein Ding gefunden. Ich kannte zwar dann auch nur ihn und Hornby, aber immerhin! Un ich mochte, dass Stucki auch so ein Bescheidwisser von der Seitenlinie war, wie ich es aus Einsamkeitsgründen wenigstens auch gern sein wollte, Anfang meiner Zwanziger halt. Man muss keine Leute kennenlernen, wenn man eh alles schon gecheckt hat, und wer so was sagt, mag bestimmt auch das, hahaha, sind die alle doof und durchschaubar. Ende der 20er hatte sich diese Distinktionsphase dann bei mir erledigt, ich fand viel mehr Freude daran, Menschen zu mögen, mich für sie zu interessieren und verstand recht schnell, dass meine Draufsicht so gut wie immer absoluter Bullshit war und dass der Kampf und die Häme sich womöglich gegen Strukturen und deren Vertreter richten sollten, die Menschen in Korsetts zwingen und nicht gegen die, die da halt nicht mehr herausfinden.

Musik, die zu Literatur wird: Was Autoren hören, wenn sie schreiben

Nun gut, diese ganze Rantkultur, die nur zu den Seiten tritt, hat Stuckrad-Barre nicht erfunden und das Internet hat sie dann tot geritten, aber er tut es immer noch, dementsprechend augenverdrehend las ich auch in seinem neuen Buch (Thema ist #metoo, das Compliance-Verfahren gegen Julian Reichelt und im Zuge dessen Stuckis Ende der Freundschaft zu Mathias Döpfner, falls ihr es nicht mitbekommen habt) seine so kultigen Wortschöpfungen, mit denen wieder ganze Biographien verstanden werden wollen. Schlimmer noch, er lässt auch die weibliche Nebenfigur Sophia so reden wie ihn, was viel zu leicht zu durchschauen ist. Dazu diese Obsession mit jungen Frauen, die er schon auf Instagram seit Jahren inszeniert, dieses one of the girls sein wollen, aber dabei natürlich auch immer noch mit den mächtigen Männern mitgehen, das war alles immer ziemlich sus. Und ich kotzte 150 Seiten lang oder so immer mal wieder, auch wenn ich es zwischendurch auch durchaus spannend fand und dann am Ende sogar richtig gut.

Denn, bei allem Verständnis für die Kritik daran, dass sich ein Mann und ausgerechnet er, jetzt mit einem #metoo-Buch profiliert, und den Vorwurf muss man ihm machen, ich will das trotzdem sehen: Männer, die sich mit ihrer Mittäterschaft beschäftigen, die ihre Kumpels konfrontieren und outcallen, die sich verändern, die ihre Widersprüche offenlegen, und ja, die auch an der Seite oder sogar an der Stelle für Frauen kämpfen, wo diese nicht können. Mich nervt schon, dass sich Typen alldem allzu gern entziehen. Was er dabei natürlich immer verschweigt, ist das liebe Geld und überhaupt, wie sehr „das lyrische Ich“ profitiert hat von der Freundschaft zum mächtigen Chef. Am Ende finde ich es aber, zumindest literarisch, GUT GELÖST, wie klar das Ganze dann doch gegen die Strukturen angeschrieben ist, wie ernüchternd die Ergebnisse dieser feministischen Kämpfe oft sind, wie wenig also Stucki dann also überhaupt Held sein KANN, wie er klarmacht, wie sehr er selbst die Augen verschlossen hat, bis in die jüngste Vergangenheit, bis in sein geliebtes L.A.-Paradies. Ich habe das Buch dann am Ende also doch MIT GEWINN gelesen. Deshalb meine Empfehlung: Entweder ihr lest es ganz oder gar nicht, sonst funktioniert es halt nicht.

Was ihr euch auch oder stattdessen geben könnt, ist der ebenfalls erst kürzlich erschienene Podcast „Boys Club“, der sich mit den Strukturen hinter den ganzen Schlagzeilen um Machtmissbrauch der letzten Zeit beschäftigt:

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Außerdem möchte ich euch die letzte Folge vom Podcast „Lakonisch Elegant“ ans Herz legen, indem die aktuellsten Veröffentlichungen (SMS-Leaks von Döpfner in der „Zeit“, der Podcast „Boys Club“ und das Stuckrad-Barre-Buch) und dieses ganze zufällige (?) Nebenher, eingeordnet und analysiert werden:

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Und zu guter Letzt kann man sich auch noch mal den Film „Bombshell“ aus dem Jahre 2019 reintun, der ganz ähnlich wie bei Stuckrad-Barre, behandelt, wie sich Frauen zusammengetan haben, in diesem Fall war es gegen den übergriffigen CEO bei Fox News.

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Boys Club der Woche: Hurricane / Southside

Mittlerweile kann man es fast schon als „stabil“ bezeichnen. Also stabil im Sinne von komplett hängengeblieben halt. Während eigentlich alle Leute schon seit Jahren sehr viel Musik von Frauen hören, es noch und nöcher Bands mit weiblicher Beteiligung gibt, FLINTA* die Charts stürmen, beim besten Punk und originellsten Indie-Songs schon länger kaum noch Männer mit im Spiel sind, setzen die großen deutschen Festivals weiterhin auf Langeweile mit Altbekannten.

Es wurden also auch 2023 wieder die gleichen Acts wie 2008 gebucht, ab und an darf an den Rändern mal jemand Exotisches ran, es gab beim Hurricane / Southside sogar einen, „ACHTUNG!, FLINTA*“-Bandcontest, um das „game“ zu „changen“. Damit man FLINTA* nicht vernünftig bezahlen oder zum großen Festivalklima beitragen lassen muss – so ein ulkiger Wettbewerb halt, bei dem sie sich beweisen müssen, während all die mittelmäßigen Männeracts einfach so auf die Bühne dürfen.

Apropos: Als letzter Headliner wurde dann diese Woche Marteria angekündigt. Viele hatten auf jemanden gehofft, der vielleicht ein bisschen unstaubiger wäre oder zumindest jemanden, der nicht kürzlich erst in den USA verhaftet wurde, weil er mutmaßlich gewalttätig seiner Freundin gegenüber war. Man wird ja wohl noch träumen dürfen. Aber dass große Festivalorte in Deutschland Räume für FLINTA* werden, das bleibt halt ein Traum. Und es stimmt natürlich nicht, dass Nichtmännerbands nicht gut genug wären, nicht genug vorhanden wären, nicht erfolgreich genug wären, die Verkaufszahlen von Platten und Konzerten sind längst eindeutig. Aber man will das Klima der Festivals nicht verändern. Männeracts ziehen Männerleute. Man will, dass es eine Männerparty bleibt, man will die Stimmung nicht versauen und sie nicht durch eine andere ersetzen, bei der sich FLINTA* halt auch wohlfühlen könnten. Das verdammte Game seid ihr, liebe Veranstalter. Changed es selbst. Obwohl: Egal. Lasst es halt einfach. FLINTA* sind längst weitergezogen und haben längst die geileren Partys. Sollen diese elenden Männerfestivals endlich alle gemeinsam im Schlamm untergehen, wir scheißen nochmal drauf.

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City Slang feiert 33. Geburtstag im Festsaal Kreuzberg

Lied der Woche: Blond feat. Power Plush: „Ich sage Ja“

Passend zum Thema, passend zu allen Themen, mein Song der Woche. Über Blond hatte Linus vergangene Woche schon geschrieben, man kann ihnen aber nicht genug huldigen. Sie haben all unsere Liebe verdient. Sie sind das, was wir damals gebraucht hätten, nicht nur aus feministischen Gründen, sondern auch was die Wut und den Humor betrifft. Auf dem neuen Album „Perlen“ verbirgt sich dahingehend ein richtiger Superhit, ein Evergreen, eine angehende Hymne. Eine Nummer, die bleiben wird, an die wir uns noch lange erinnern werden und spätere Generationen wiederentdecken. This goes out an alle CEOs.

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„Wenn Typen cool sind, schnallen sie das auch“: Das längste Blond-Interview EVER

Serie der Woche: „Sam – Ein Sachse“

Als ich mal im Club an der Kasse gearbeitet habe, ich glaube, es war zu irgendeinem Konzert, hatten wir mal wieder einen neuen Security da, den ich noch nicht kannte. Das kam öfter vor und es war immer interessant, weil man sich so gut unterhalten konnte. Dieser Neue hat ganz schön viel erzählt, vor allem, nachdem ich erwähnte, dass ich aus Dresden komme. Er nämlich auch. Er wäre in Sachsen Polizist gewesen, später dann aber im Knast. Und so weiter und so fort, ich dachte, er übertreibt, labert halt. Nun ja, der Typ war Samuel Meffire und Vorbild für eine nun erschienene Serie auf Disney+. Alles, was er erzählt hat, war also wahr und offenbar war es noch viel Krasser:

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Es ist die erste deutsche Disney+-Produktion und ich habe direkt alles weggebingt, weil sie sehr spannend ist. Action, Drama, Krimi, Nachwendegeschichte, Rassismus im Osten, politischer Aktivismus, Schwarzsein in Deutschland, alles ist da drin und noch viel mehr. Unbedingt gucken!

Neu auf Disney+: Die Highlights im März 2024

Woche der Woche: Lesbian Visibility Week

Wir haben gerade Lesbian Visibility Week und immer noch fällt es einem ja irgendwie auf, wenn lesbische Liebe sichtbar ist, weil sie auch in der Popkultur noch so rar gesät ist, und deswegen gibt es diese Woche eben. In Serien wurde es in den vergangenen Jahren stetig besser. Natürlich gab es früher schon „The L Word“, aber davon ab war es eher eine Seltenheit, mal ein Experiment unter College Girls oder die Geschichte einer verrückten Tante oder so. Ich weiß noch, wie toll es war, als Willow und Tara in „Buffy“ ein Paar wurden und dann war es doch glücklicherweise überhaupt nicht so spektakulär, weil ihre Geschichte eben nicht als die eines exotischen Pärchens aus dem male gaze erzählt wurden.

Die 10 besten Serien der 90er Jahre

Hier sprachen sie vor ein paar Jahren darüber:

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Mittlerweile ist lesbische Liebe viel öfter Thema oder selbstverständlich in Serien, so zum Beispiel in „Orange Is The New Black“, „Yellowjackets“, „Gentleman Jack“, „Twenties“, „A Leage Of Their Own“, „Feel Good“, „Harlem“ oder, aus Deutschland, „Loving Her“. Allerdings geht der Trend nun wohl wieder abwärts und Diversity wird eventuell wieder abgefrühstückt. In US-Serien sinkt der Anteil der LGBTQ-Charaktere wieder, vor allem lesbische und queere Charaktere werden weniger, wie die Medienorganisation GLAAD herausfand. Im ersten halben Jahr von 2023 gibt es 6,4 Prozent weniger Repräsentation als in der Saison davor. Bitte dem wieder entgegensteuern. In der Musik läuft’s hingegen stetig besser, so mein Eindruck. Paar meiner liebsten lesbian love tunes:

girl in red – „girls“

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Kehlani – „Honey“

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Lush – „I Wanna Be Your Girlfriend“

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Ratwyfe – „Why Didn’t I Kiss Her (The Useless Lesbian Song)“

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Childbirth – „Since When Are You Gay“

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