Meister der Zeremonie: Willy DeVille auf Ego-Trip in schwindelnde Höhen


MÜNCHEN. Letzte Ausfahrt München/Riem: Aus dumpfen Nebelschwaden taucht neben der Autobahn das Flughafengebäude auf. Hell erleuchtet am frühen Abend, nicht nur von den Autoschlangen, die sich zu neuen Gefilden der alten Luftverkehrszentrale vordrangein. Die Hauptreisezeil ist hier vorbei, die großen Vögel sind mit Sack und Pack ins Erdinger Moos umgezogen. In Riem, Münchens neuer Trabantenstadt für Trubel und lautes Trara, fliegen in zwei Konzerthallen ab sofort allenfalls Bierbecher.

Und die Massen strömen an diesem Eröffnungsabend, um die gelungene Enteignung gebührend zu feiern.

Dort, wo früher verwirrte Neckermänner nach dem passenden Schalter suchten, wartet ein euphorisiertes Konzertvolk, das auch das bodenständig gelungene Vorprogramm der Brandos wohlwollend zu Kenntnis nimmt, auf die musikalische Attraktion des Abends. Denn schließlich war man nicht aekommen. um über vergangene Zeiten von Lufthansa und Hapaa-Lloyd zu plaudern, sondern um den Zeremonienmeister der Feier zu sehen: Willy DeVille.

Die Nase gerümpft, die Arme ausgebreitet und die Oberlippe zu einem Lächeln verzogen — so steht der große, gerade Kerl schließlich im Scheinwerferkegel. „Ihr licht mich, ja?“, zischt er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, wirft den Kopf lasziv nach hinten und näselt wegwerfend:“.Das kann ich verstehen.“

Ein Verrückter und ein Original. Der Fehler ist nur: Er weiß das. Die Bühne betritt er nicht, er erscheint wi ihr, angetan mit einem kreischend roten Anzug und bewaffnet mit einer Mineralwasserflasche als Rhythmusinstrument.

Und mit einem Mal wird die ausgezeichnete Mink-Band zum bloßen Instrument. DeVille beginnt süffisant grienend mit einer Rückschau. Ausufernde Versionen von“.Cadillac Walk“ und „She’s So Tough“ katapultieren das begeisterte Publikum ins Jahr 1 977. Damals steckte man Willy, den papageienhaften Propheten neuer Soul-Seligkeit, noch in die Punk-Schublade, in die er nie gehörte. Willy DeVille sah sich selber immer eher als Klangkünstler in der Tradition von Sam Cooke oder Ben E. King. Im Konzert zitiert er seine Vorbilder denn auch ausgiebig, jedoch nicht, ohne ursprünglich ernstgemeinte Balladen mit zynischen Ansagen zu konlerkarieren und heilige Hymnen wie den Hendrix-Hammer“.Hey Joe“‚ in ein neues, aberwitzig südländisches Gewand zu zwängen. Eigene Stücke wie“.Even While I Sleep“ oder das singletaugliche „Lonelv Hunter“ sehen den arroganten Aufschneider mit dem arroganten Lachen als flüsterndes schreiendes Energiebündel, als ein auf den Saiten seiner handgravierlen goldenen Gitarre derilierendes Ungeheuer, das seine Texte ausschwitzt und an seinen Refrains gelegentlich sogar zu verbluten scheint. Die Botschaft, die Willy DeVille mil der beharrlichen Bosheit eines kranken Boxers transponiert, ist immer wieder dieselbe: „Ich hin der Beste.“ Und Teufel nochmal — wo er Recht hal, hal er Recht.