Mert Matan, dein Pseudo-Outing war nicht witzig, sondern ignorant und diskriminierend


Ein offener Brief an den „Gay Prank“-YouTuber Mert Matan.

Lieber Mert,

vergangene Woche hast Du Dein „Gay Prank“-Video hochgeladen. Darin bekennst Du Dich gegenüber Deinem Vater als schwul. HAHA, was für eine lustige Idee! Damit auch keiner glauben könnte, dass Du wirklich auf Typen stehst, setzt Du bei der Ankündigung vorher das „Rolling Stone“-Cover mit einer halbnackten Megan Fox hinter Dir geschickt in Szene. Dein Erzeuger zeigt sich nach Deinem Geständnis wenig amüsiert – im Gegenteil: Er reagiert aggressiv und schlägt auch noch auf Dich ein. Geile Reaktion, gleich mal hochladen. Als Du merkst, dass Deine 800.000 Follower das irgendwie nicht so witzig finden, legst Du mit einem „Statement“-Video nach. Weder Dein Vater, noch Du hätten was gegen Homosexuelle, aber „so etwas“ gibt es bei Euch einfach nicht – weder in Euer Familie, noch in Eurer Gesellschaft, noch in Eurer Religion.

Das Internet reagierte, wie es zu erwarten war: Ein Sturm der Entrüstung traf auf eine Schar homophober Idioten.

Jetzt hast Du ein drittes „Gay Prank“-Video veröffentlicht und gibst Entwarnung: Es war doch alles nur ein soziales Experiment. Es sollte uns den Spiegel vorhalten. Alles sei inszeniert gewesen, nichts davon echt. Zunächst: Herzlichen Glückwunsch. Du kannst in Sachen Prank-Videos Bingo rufen, Du hast das Genre durchgespielt.

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Was man früher noch Streiche nannte und kleine Unannehmlichkeiten waren, die man seinen Mitmenschen zufügte, sind heute Pranks: Offenkundige Ausreden dafür, ein Arschloch zu sein – oder noch mehr: Den Menschen in seinem Umfeld ernsthaft Schaden zuzufügen. Der YouTuber Sam Pepper inszenierte einmal ein Kidnapping und ließ seinen besten Freund in einer erschreckend echten Darbietung glauben, dass Sam gerade mit einem Schuss in den Kopf vor seinen Augen hingerichtet wurde. It`s just a prank bruuh. (Das Video ist inzwischen offline.) Pranks und soziale Experimente sind in vielen Fällen ein und dasselbe – letzteres kommt nur mit einem sozialkritischen Anstrich daher.

Dein Video sollte also ein soziales Experiment darstellen? Ein unkommentiertes Video, in dem ein Vater seinen schwulen Sohn schlägt und, nach negativen Reaktionen ein unbeholfenes Zurückrudern, in dem Du mehr Toleranz gegenüber Homophobie einforderst? Wirft man einen Blick in die Kommentare zu Deinem „Gay Prank“-Video, findet man kaum tolerante Kommentare, sondern zwei unvereinbare Lager: Zuschauer, die gar nicht fassen können, dass Du so ein Video tatsächlich gedreht und hochgeladen hast, und diejenigen, die sich in ihrer homophoben Haltung bestätigt sehen.

Die ECHO-Nominierungen sind da – und an Peinlichkeit nicht zu überbieten

Du bietest mit Deinem Video eine Anlaufstelle für homophobe Arschlöcher und überlässt sämtliche Schadenbegrenzung Deinen Zuschauern. Dein „Gay Prank“-Video verharmlost Gewalt gegen Schwule, ohne aktiv Stellung zu beziehen – schlimmer noch: Die Handlungen Deines Vaters wurden im darauffolgenden Video noch gerechtfertigt. Du wirfst diese Granate in einen Raum voller junger und beeinflussbarer Menschen und ziehst die Tür hinter Dir zu – für eine komplette Woche bis zu Deinem „Statement“-Video. In dieser Woche musste man dann Kommentare von Zuschauern lesen, die sich angesichts der Reaktion Deines Vaters gegen ein Outing entscheiden – die zusätzliche Plattform, die Du schwulenfeindlichen Zuschauern in den Kommentaren gegeben hast, wird ihren Teil dazu beigetragen haben.

Ich hoffe, dass Deine Intentionen gut waren. Nur hast Du mit Deinem „Gay Prank“ genau das gemacht, was in solchen Experimenten zur Mode geworden ist: Du hast einen Witz gemacht, über den nur die zynischsten aller Arschlöcher lachen können, und das angeblich zugunsten einer Minderheit, die durch Dein Zutun mehr verloren als gewonnen hat.

Dein Thomas.