Miles Davis – Hamburg, CCH


Fünf Jahre lang hatten die Jünger nichts von ihrem kränkelnden Guru gehört. Bis zur kürzlichen LP THE MAN WITH THE HORN war sogar unklar, ob er jemals wieder würde spielen können. Umso erstaunlicher, daß uns Miles mit diesem Konzert wieder in gewohnter Freigiebigkeit in seine meditative und doch äußerst konzentrierte Welt eintreten läßt. Er, der oftmals sein Horn an die Lippen setzt, um dann doch nicht zu blasen, der wiederum an anderer Stelle ein abruptes Signal setzt und so diktatorisch die schönsten Stimmungen zerstört, um uns wieder in ein neu zu entdeckendes Paradies zu entführen, fordert ein hohes Maß an Konzentration. Nur wer ihm auf Schritt und Tritt folgt, bemerkt auch die kleinen Edelsteine, die längs des Weges funkeln. Miles Davis ist ein Meister der Präzision und des Minimalismus. Ein kurzer Daumenzeig – das Zeichen zum Break, ein Zunicken: Er hält ein Solo für angebracht. Miles swingt durch, ist die Ruhe selbst, ist cool. Anders Bill Evans, Saxophonist und Flötist des Sextetts. Durch konventionell aufgebaute Soli versucht er allzu offensichtlich, dem Hörer ein Staunen ob seiner Fingerfertigkeit abzuringen. Was Miles durch vibrations erreicht, versucht er durch Technik. Ähnlich Gitarrist Mike Stern, der mir – wie schon auf Platte – in seinen Soli aufdringlich und egozentrisch wirkt. Einen Stapel von Klingeln, Glocken, Rasseln und Kongas bedient Percussionist Mino Cenelu, der innerhalb des Gruppen-Sounds einen markanten Beitrag liefert. Zurückhaltend, aber nicht minder überzeugend gibt sich Bassist Marcus Miller. Er versteht es, unterschwellig das Rhythmus-Gerüst zu tragen und schlaue Akzente zu setzen, die in die konzertante Atmosphäre einen Hauch von New Yorks street-life bringen. Am Schlagzeug schließlich AL Foster, der neben Miles erfahrenste Jazzer der Band. Er spielt so präzise und bestimmt, daß einfach jedem Trommler das Herz warm werden muß.

Miles was in town. Er hat uns eine Musik gebracht, die so sanft klingt, daß man an Jungfräulichkeit denkt, eine Musik, die so klar ist, daß sie nach vielen Jahren der Irrungen einer Gehirnwäsche gleichkommt, eine Musik, die so filigran ist, daß keiner husten mag, eine Musik, die so stark berührt, daß sogar wir kühlen Nordlichter mitten in einem mitreißenden Solo von der Tribüne jauchzen, eine Musik, die so spannend ist, daß man unwillkürlich auf die äußerste Kante des Klappsitzes rutscht, eine Musik, die einfach so gelungen und in sich stimmig ist, daß ich mir zu Hause gleich einen Nachschlag vom Plattenspieler holte. Vote Miles.