Ministry


Dieses Konzert ist ein Alptraum. Nicht, daß es schlecht wäre, aber es ist beklemmend, es macht Angst, es verursacht Ekel und Übelkeit, mit einem Wort: Es ist ein Höllentrip. Das fängt schon bei meiner Ankunft an. Die Plattenfirma hat mir Tickets und V.I.P.-Paß doppelt geschickt. Ich höre schon das verlockende Knistern einiger Scheine, die mir zu ein paar Bieren während des Konzertes und einem dezenten Abendessen danach verhelfen sollten. Doch der Bürgersteig vor der Halle ist wie leergefegt – bis auf einen fettleibigen Schwarzen, der allein im Regen steht und leise „Tickets for sale?“ zischt, als ich an ihm vorbeigehe. Ich ernte nicht mehr als ein müdes Lächeln, als ich ihm den Nennwert von 25 Dollar vorschlage. Er bietet mir einen Zehner pro Karte. Kann er sich in den Arsch stecken. Da explodiert er auf einmal: Es würde mir sonst eh keiner mehr die Tickets abnehmen, und überhaupt! Was ist denn in den gefahren? Überrascht von seinem Ausbruch willige ich ein – wenigstens zwei Biere gesichert. Drinnen treibt sich allerlei wildes Volk herum. Tattoos, Piercings, wilde Haare, verschlissene Klamotten. Schwarz dominiert. Marihuanaschwaden hängen schwer in der Luft. Ich sehe ein T-Shirt mit der Aufschrift „Say you love Satan“. Hier bin ich richtig. Das gleiche Bild in der völlig überfüllten V.I.P.-Lounge. Kein Sitzplatz mehr. Halbbenebelt halte ich mich am ersten Bier fest. Der eigentliche Alptraum beginnt, als die Band auf die Bühne kommt: Geblendet von gleißenden weißen Spots und hektischem Stroboskop-Flackern, betäubt von infernalischer Lautstärke, trete ich erschrocken einen Schritt zurück. All die intellektuellen Klimmzüge ist es Trashmetal, ist es Industrial, ist es Avantgarde? – werden innerhalb weniger Takte zu Makulatur. Die Schallwellen lassen mein Hemd und meine Hose flattern. Helles Klingeln in meinen Ohren verhindert jede genauere Identifikation der Songs. Wie ärgerlich, denke ich, denn die letzte Platte ‚Filthpig‘ ist im Vergleich zum Vorgänger ‚Psalm 69‘ zugänglicher, allein schon, weil mit Rey Washam ein neuer Drummer dabei ist, der gar nicht erst die Ambition hat, die Präzision einer Drum-Machine zu übertreffen oder neue Geschwindigkeitsrekorde zu erzielen. Stattdessen hypnotisierten mich auf Konserve stampfende Rhythmen mit ihrer Monotonie, wie z.B. im Titelsong und dito schwere Riffs, wie z.B. in ‚Lava‘. Die eigentliche Sensation aber ist die Coverversion des Bob Dylan-Songs ‚Lay Lady Lay‘ —- für Ministry-Verhätnisse ein ungewöhnlich melodisches Stück. Der Lärm heute Abend ebnet all das gleichmäßig ein. Nur vereinzelt mache ich im heiseren Gebrüll Al Jourgensens Wortfetzen aus: Da ist dann deftig von Masturbation und Abspritzen die Rede. Mir ist nicht gut. Dazu die ekelerregenden Filmprojektionen auf der gigantischen Leinwand hinter der Bühne. Meistens ist mir nicht der inhaltliche Zusammenhang klar, doch eins fühle ich zwingend: Mir wird immer schlechter. Den Auftakt macht eine gallertartige Masse zu ‚Scarecrow‘. Bei ‚Deity‘ erlebe ich in Großaufnahme und in Farbe, wie mit OP-Scheren an einem menschlichen Auge rumgeschnippelt wird. Zu ‚Just One Fix‘ flimmern behaarte Milben in mikroskopischer Vergrößerung über die Leinwand. Ich schwächele zusehends. Nervosität und Herzrasen kommen zur Übelkeit hinzu. Den Gedanken an ein Abendessen habe ich längst aufgegeben. Die Hardcore-Fans ganz vorne hingegen gebärden sich wie wild und feiern Al Jourgensen, den Priester dieses Teufelsdienstes, wie einen Heilsverkünder. Doch im hinteren Teil der Halle macht sich Unruhe breit. Die bis ins letzte Detail inszenierte und durchkalkulierte Show findet durchaus Anerkennung, löst aber keine Begeisterung aus. Viele treten ungeduldig von einem Bein aufs andere – so wie ich. Meine inständige Bitte um Erlösung wird erhört: Nach einstündiger Zeremonie werde ich abrupt aus diesem Alptraum gerissen, als unmittelbar nach dem Schlußakkord das Hallenlicht angeht und sanfte Jazzmusik vom Band läuft. Benommen , verabschiede ich mich und steige aus den unterirdischen Katakomben wieder nach oben. Der Türsteher wuchtet die Eisentür auf. Draußen regnet es immer noch. Das Verließ entläßt mich. Es gibt ein Entrinnen aus der Hölle. Gott sei Dank!