MIT ALLEM MUSIK MACHEN


Er spielt kein Instrument, dennoch ist er Musiker. Es geht ihm gut, aber in seinen Texten fängt er urbane Tristesse ein. Der Londoner Rapper-Songwriter Ghostpoet liefert ein Update zum klassischen Blues.

Solange es im Telefonhörer tutet, gibt es Hoffnung. Solange es tutet, geht aber auch niemand ran. Der Londoner Obaro Ejimiwe alias Ghostpoet hat den vertrauten Signaltönen in der Leitung einen Song auf seinem neuen Album SOME SAY I SO I SAY LIGHT gewidmet, „Dial Tones“.

Die Texte der Platte transportieren oft ein vages, aber vertrautes Großstadtgefühl: Düster und nasskalt klingen die meisten Songs. Sie erinnern an einen späten Winterabend an einem Londoner Bahnhof, wenn der nächste Zug erst in 30 Minuten kommt. Dabei müsste es dem Soulsänger gut gehen: Kurz nachdem er seinen Job bei einer Versicherung verloren hatte, wurde der BBC-Radio-DJ Gilles Peterson über Ejimiwes MySpace-Seite auf ihn aufmerksam. Peterson nahm Ejimiwe bei seinem Label Brownswood Recordings unter Vertrag. Wenig später musste Ejimiwe sich ein paar Sätze als Dankeschön zurechtlegen, da er mit seinem ersten, tieftraurigen Album PEANUT BUTTER BLUES AND MELANCHOLY JAM für den Mercury-Preis nominiert war. Den gewann dann zwar PJ Harvey, aber die Nominierung motivierte Ghostpoet zu einem neuen Anlauf.

Umso mehr fragt man sich dann bei dem zweiten Album: Warum wieder so düster? Die trostlose Stimmung in Obaros Musik beschreibt nicht nur ihn, sondern auch die Welt, in der er lebt: „Ich reflektiere mein Leben, dein Leben, das Leben von dem Typ in dem Buchladen. Und wenn das Album düster klingt, dann habe ich wohl ein düsteres Bild von diesem Alltag. Ich will, dass die Leute zu meiner Musik einen Bezug herstellen können.“ Dieser Bezug entsteht durch seine achtlose und beiläufige Art zu sprechen und dadurch, dass er mit den banalen, wie er sagt: „echten“ Dingen dieser Welt seine Bilder konstruiert. Wenn es um einen Beziehungsstreit geht, schreibt Ejimiwe nichts von gebrochenen Herzen. Er zieht Bremslichter als vergleich heran: „Slanging slamming screams just bounce round the living room /And eyes go red like break lights right.“

Dabei geht es ihm selbst sonst gut. Ejimiwe freut sich über seinen unerwarteten Erfolg: „Ich bin bestimmt kein schwermütiger Typ, der Himmel über mir ist blau!“

Obwohl das Album in einem professionellen Studio aufgenommen wurde, bleibt Ejimiwe bei seinem Do-It-Yourself-Prinzip, mit dem er als Grime-MC am College anfing: „Mit allem Musik machen.“ Ohne jemals Klavier gelernt zu haben, spielte er Teile des Albums mit dem Piano ein, das seine Vormieter in seiner neuen Wohnung zurückgelassen hatten. „Ich habe mir ein paar YouTube-Videos angeschaut und meine Finger so gelegt, wie es mir da gezeigt wurde.“

Seine lethargische Stimme klingt dazu launisch und alltäglich, manchmal sogar angetrunken, als hätte er vor den Aufnahmen schon ein, zwei Stunden in einem Pub verbracht. „Ich nehme meine Stimme meistens in einem oder maximal zwei Takes auf. Ich glaube an so etwas wie glückliche Zufälle in der Musik“, sagt Ejimiwe. Ein glücklicher Zufall ist Ejimiwes Großstadtromantik in jedem Fall.

Albumkritik ME 5/13