Moloko


Wer Trip Hop sagt, bekommt Ärger. Wer sie mit Portishead vergleicht fliegt raus: Moloko sind Moloko sind Moloko. Und sonst gar nichts. Kapiert?

Was macht der moderne Mensch, wenn er Informationen über das britische Duo Moloko benötigt? Richtig: Er füttert seinen Computer mit der Internetadresse www.moloko.com und harrt der Dinge, die sich da am Bildschirm zusammenbrauen. Wenn auf besagter Homepage froh verkündet wird, dass Moloko vom KaDeWe nach Berlin-Mitte umgezogen sind, ahnt man jedoch, dass dies wohl die falsche Baustelle ist. Molokos Mark Brydon weiß das schon langer. „Wer im Netz nach uns sucht, landet recht schnell bei einer Berliner Designfirma. Wir hätten uns die Adresse reservieren lassen sollen, doch dafür ist es nun zu spät.“ Schade aber auch. Doch informationshungrige Surfer können Moloko – die Band – dennoch erreichen: Moloko. co.uk genügt, und schon offenbart sich die Welt von Mark Brydon und Sängerin Roisin Murphy.

Seit fünf Jahren existiert das Duo aus Sheffield, und ganz am Anfang stand die Frage: „Do You Like My Tighl Sweater?“ Ort des Geschehens war eine Party, die Fragestellerin hieß Roisin Murphy, und der angesprochene Produzent namens Mark Brydon fand offenbar tatsächlich Gefallen an Miss Murphys enger Oberbekleidung. Die Geburtsstunde Molokos und des ersten Albumtitels. „Do You Like My Tighl Sweater?“ verband HipHop und Tunk, New Beat und Drum’n’Bass. Weltweit 250.000 Plattenkäufer ließen sich davon überzeugen und griffen zu. Roisin Murphy, geboren in Irland, erinnert sich daran, wie daraufhin Zeitungsleute ihre Oma in Wicklow ausfindig machten, die dann auch pflichtbewußt erzählte, dass die kleine Roisin ja schon immer zu I löherem berufen war. Und auch Papa Murphy, der „gerne zwei Flaschen Wein leerte und dann lauthals in der Badewanne sang“, fühlte sich als großer Inspirator. Moloko jedenfalls galten über Nacht als ganz großes Ding, was natürlich auch die englische Musikpresse auf den Plan rief.

Der Produzent und die Sängerin, noch dazu aus der britischen Provinz, das konnte nur eines bedeuten: Porlishead. Und da letztere unter „Trip Hop“ firmierten, gab es auch für Moloko kein Entrinnen. „Heute kann ich das gelassener sehen“, erklärt Roisin Murphy, „doch damals war ich völlig angepisst. Wer uns als Kopisten bezeichnete, hatte offenbar nicht kapiert, worum es uns ging. Schreckliche Dinge wurden über uns geschrieben.“ Näher will Frau Murphy darauf allerdings gar nicht eingehen, denn „diese Zeiten sind vorbei, mein Schatz“. Sind sie, doch zwischenzeitlich kam es für Moloko sogar noch ärger, „l’m Not A Doctor“, das zweite Album von 1998, wurde nicht zuletzt dank reichlich sarkastischer Texte „völlig missverstanden“, wie Mark Brydon berichtet: „Das klassische ‚Zweite-Album-Syndrom‘. Wir wollten neue Wege gehen, doch die Käufer erwarteten eine Fortsetzung des Debüts, und auch unsere Plattenfirma wusste nicht so recht, wie sie uns vermarkten sollte. Wir waren ziemlich desillusioniert und standen kurz vor der Auflösung, als wir zu allem Überfluss auch noch als Support Act von Garbage gebucht wurden. Das Publikum kam, um Shirlev Manson zu sehen, wir durften nur auf einer kleinen Anlage spielen und bekamen nicht mal ein vernünftiges Bühnenlicht. F.ine schreckliche Situation.“ Rettung nahte in Person von D Boris Dlouglosch, der eigenständig einen Remix des Songs „Sing 1t Back“ anfertigte, und damit im Sommer 1999 einen Discotheken-Knaller landete. Brydon und Murphy waren vom durchschlagenden Erfolg völlig überrascht: „Uns gefiel der Remix“, erinnert sich Mark Brydon, „wir dachten, dass er durchaus das Zeug dazu hätte, ein kleinerer Club-I lit zu werden. Als dann die New Yorker DJs begannen, ‚Sing It Back‘ zu spielen, wurde daraus ein richtig großer Hit. Das hatte natürlich niemand vorhersehen können.“ Vorhersehbar waren indessen die Reaktionen der Öffentlichkeit, die Mark Brydon heute mit einem herzhaften lachen quittiert: „Leute, die uns schon abgeschrieben halten, erklärten plötzlich, wie sehr sie unsere beiden Alben lieben.“ Kein Licht ohne Schatten, und der fiel auf jenes dehnbare Gebilde, das Fans und Journalisten gerne „Glaubwürdigkeit“ nennen: „Moloko und Top Of The Pops‘ passten nur bedingt zusammen“, räumt denn auch Brydon ein: „Fans der ersten Stunde kratzten sich am Kopf und fragten sich, was diese Disco-Musik mit Moloko zu tun habe. Was soll’s, trotz Disco-Kugel und all diesem Kram: Der Song brachte viele Menschen zum Lächeln und verschönte ihnen den letzten Sommer des Jahrtausends.“

Damit der erste Sommer des neuen Jahrtausends genauso schön wird, veröffentlichten Moloko im Frühjahr die Single „TheTime Is Now“. „Ein nettes, kleines Liedchen, nicht wahr?“, bestätigt Roisin Murphy, „aber nicht zwangsläufig ein Sommerhit, eher ein klassischer Popsong.“ Damit gibt sich Roisin Murphy selbst das Stichwort, denn von „Pop“ zu „populär“ ist es ja nur ein kleiner Schritt: „Wir haben schon jede Menge großartige Popsongs veröffentlicht ….. sie waren nur leider niemals populär.“ Irischen Witz darf man das wohl nennen, oder eine riesengroße Übertreibung, was ja irgendwie auch zusammenpasst. „Things To Make And Do“, das aktuelle Album, chartete in Deutschland von Null auf den beachtlichen Platz 14 ein, doch laute Sprüche und große Gesten sind Roisin Murphys Sache nicht. Gar keine Frage, die bodenständige Dame ist mit allerhand Wassern gewaschen und berichtet lieber von ihrer ersten Band And Torquoise Car Crash The, mit der sie im zarten Alier von 15 die Anarchie auf die Bühne brachte. “ Die Bandmitglieder prügelten sich auf der Bühne, während ich hinter den Liutsprecherboxen stand und komische Geräusche machte.“ Und noch eine schöne Anekdote: Als Moloko die Charts stürmten, kursierte in England die Story, Roisin Murphy habe in der Vergangenheil als Model gearbeitet. Klang gut, war aber leider gelogen: „Im ‚Sheffield Star‘ las ich eine Annonce: ‚Models für die Katalogarbeit gesucht‘. Ich marschierte hin und saß vor einem fetten, schmierigen Typen, der mich zunächst einmal fragte, ob ich auch Bademode präsentieren wolle. ‚Mhhm, vielleicht. Dann zog er das Foto einer Barbusigen in Reizwäsche aus der Schublade, und fragte, ob ich damit Probleme hätte, in Unterwäsche fotografiert zu werden. ‚Mhhm, naja.‘ Dann sagte er treuherzig: ‚Ist doch auch nur Unterwäsche, oder?‘ Ich zog mich jedenfalls zurück und kam niemals wieder. So viel zu meiner glänzenden Karriere als Fotomodell.“

Da kam die Bekanntschaft mit Mark Brydon gerade recht, der als Mitbesitzer des Fon-Studios über einen guten Draht zur Musikindustrie verfügte. Brydon und Murphy pflegen seit Beginn an jedoch nicht nur geschäftliche Verbindungen, weshalb Britanniens wie immer indiskrete Presse natürlich über wilde Knutschereien auf dem Mischpult spekulierte. Murphy wiegelt ab: „Völliger Unsinn. Wir konnten damit durchaus bis zum Feierabend warten.“ Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Und letzteres bereitet den beiden auch die gemeinsame Vorliebe für das Cricket-Spiel: „Eddie Stevens, unser neuer Keyboarder, ist ein Crickel-Fanatiker, er hat uns mit seiner Begeisterung offenbar angesteckt. Wir spielen, wo immer es gehl. Nur Cricket und Alkohol machen das Tourneeleben halbwegs erträglich“, weiß Roisin Murphy zu berichten.

Neben Tastenmann Eddie Stevens zählt auch Schlagzeuger Paul Slowley zum aktuellen Line LIp, und das nicht nur auf der Bühne, sondern auch im Studio. So ist „Things To Make And Do“ Molokos erstes Werk, das mit kompletter Band entstanden ist. „Wir sind experimentelle Musiker“, stellt Mark ßrydon fest, um vorschnelle Kategorisierungen gleich im Keim zu ersticken. „Experimentell“ kann natürlich alles bedeuten, und das ist Mark Brydon auch ganz recht. AJso gehört es zum Programm, dass auf „Things To Make And Do“ House, Funk und Balladen fröhlich nebeneinander existieren. Und mit „Indigo“ landete sogar ein Soundtrack-Beitrag auf dem Album: „Der Film heißt ‚Mystery Man'“, erklärt Mark Brydon, „ist wohl eher was für Kinder und handelt von wirklich beschissenen Superhelden. Einer nennt sich ‚Spademan‘ und benutzt tatsächlich eine Schaufel als Waffe, ein anderer wiederum wirft dauernd mit Besteck. Ziemlich dumm. Aber ‚Indigo‘ ist ja auch ein ziemlich dummes Lied.“

Sowas hört man selten, ist doch meistens von „Meilensteinen der Popgeschichte“ die Rede, wenn Künstler über ihre neuen Werke referieren. Moloko sind eben anders als andere Popbands. Und können damit allerbestem leben, wie Mark Brydon aufrichtig beteuert: „Anfangs zählte man uns zu Bristols Trip Hop-Szene, dann zum Easy Listening-l.ager. Lifestyle, Musik und Kleidung waren in den neunziger lahren ziemlich eindeutig kategorisierbar. Entweder gehörte man zu dieser oder zu jener Gruppe, Überschneidungen verwirrten da nur. Heule kommt es mir vor, als wäre das alles eine Ewigkeit her. Wir waren niemals Puristen und werden es wohl auch niemals sein. Wenn wir auf der Suche nach der einzig wahren Moloko-Musik irgendwann ans Ziel kommen sollten, ist es an der Zeit aufzuhören. Dann ist das Abenteuer nämlich vorbei.“