Monster Magnet: Wieder jung und frisch


Dave Wyndorf hat die entrückte Schwester Psychedelia längst in seine Nebenprojekte verbannt. Sein oberster "Bullengott" Monster Magnet verteilt dafür umso herzhafter Ohrfeigen.

Wer im Lexikon unter „Rockviech“ nachschlägt, der müsste dort eigentlich ein Bild von Dave Wyndorf finden: Eingepackt in krachend schwarzes Leder, das schwarz gefärbte Langhaar in der Mitte gescheitelt, das Monjou-Vollbärtchen akkurat gestutzt, so sitzt der Chef von Monster Magnet dem Musikexpress Rede und Antwort. Mit einem Gesicht, in dem sich die Zornesfalten auf der Stirn tiefer eingegraben haben als die Lachfältchen um die Mundwinkel. Wenn er sich langweilt, wandert sein Blick hinüber zum stummen Fernseher, wo ein alter Kriegsfilm läuft. Tatsächlich wirkt der Mann in seinem ordentlichen Londoner Hotelzimmer so fremd wie ein russischer Panzer auf einem Behindertenparkplatz.

Doch vielleicht täuscht der Eindruck auch. Womöglich haben wir ihn zu oft auf der Bühne gesehen. 1998, als er im legendären CBGB’s in Manhattan betrunken in die Verstärker stolperte. Oder gestern, als er in einem Club in Camden Town das neue Album MONOLITHIC BABY! vorstellte. Im Schweiße seines Angesichts, versteht sich. Vor einem Publikum, das nicht aus Fans, sondern aus skeptischen Musikjournalisten bestand. Kelly Osbourne war auch da. Es flogen die Haare, es rissen die Saiten, und am Ende, als im dicht gedrängten Publikum bereits in Plastikbecher gepinkelt wurde, zertrümmerte Wyndorf noch eine billige Gitarre. Da war Kelly aber schon weg. Vielleicht, weil sie solche Rock-Riten von ihrem Papa hinlänglich kennt.

Black Sabbath„, sagt Wyndorf und zündet sich die erste von viel zu vielen Marlboro Light an, „Black Sabbath sind der Urknall. Ohne Ozzy kein Monster Magnet, so einfach ist das“. Musikalisch gilt das vor allem für die frühen Platten mit ihren psychedelisch siedenden Gitarrenströmen. 1992 war das, als Monster Magnet Alben veröffentlichten wie IT’S A SATANIC DRUG THING, YOU WON’T UNDERSTAND, nur auf Vinyl, streng limitiert auf – logisch – 666 Exemplare. Wyndorf entwirft das Artwork bis heute selbst und so prangt immer noch der stattlich gehörnte „Bullengott“ im Logo, züngeln Flammen, steht nacktes Fleisch zur Schau. „Hier in Europa wird das natürlich als Koketterie empfunden“, erklärt Wyndorf, „aber drüben in den USA kann man damit noch provozieren.“

Die Geschichte der Band beginnt Mitte der achtziger Jahre mit einer Reihe von Fehlzündungen. Shrapnel nannten sich die Rocker aus New Jersey, als sie noch keinen Plattenvertrag hatten, dann Dog Of Mystery, manchmal auch Airport 75 – meistens aber verwendeten sie alle drei Namen parallel, nachdem sie als Pinque Phloid von einer britischen Band mit einem ähnlich klingenden Namen verklagt worden waren. Die einzigen Geräusche, die es aus dieser wilden Zeit in die Gegenwart geschafft haben, sind ein paar Vierspurversuche von Wyndorf, die 2001 als Bootleg auf den Markt kamen. Zunächst war Wyndorf nicht einmal Sänger, sondern nur Manager: „Weil ich die richtige Musik mochte und die anderen Jungs an Dave Brock von Hawkwind erinnerte.“

Eine alberne Legende will, dass der selbst ernannte „Space Lord Motherfucker“ Wyndorf 1989 von Außerirdischen entführt wurde, um ein Jahr später mit dem Konzept von Monster Magnet zurückzukehren. „Die Wahrheit ist“, meint Wyndorf mit erhobenem Zeigefinger, „dass wir damals im Vorprogramm von Jane’s Addiction auftraten und merkten, dass wir uns langsam mal auf einen vernünftigen Namen einigen sollten.“

FORGET ABOUT LIFE, I’M HIGH ON DOPE – so der programmatische Titel der ersten, selbst produzierten EP von Monster Magnet machte erstmals Plattenfirmen hellhörig. Kurioserweise nicht in N.Y. oder L.A., sondern in der beschaulichen deutschen Provinz. 1990 veröffentlichte das ehrenwerte Label Glitterhouse, ansässig im Weserbergland, die erste EP mon-STER Magnet. Von einem Durchbruch konnte indes noch keine Rede sein: „Damals war halt Grunge angesagt“, seufzt Wyndorf und dehnt das Wort „Grunge“ mit verächtlich geschürzten Lippen, als handele es sich dabei um ein billiges Kinderspielzeug aus Plastik.

Von larmoyantem Herzeleid a la Seattle waren Monster Magnet tatsächlich Lichtjahre entfernt. Statt dessen veranstaltete die Band mit Platten wie 25…TAB oder SPINE OF GOD infernalische Exkursionen in entlegene Ecken des musikalischen Universums. Wobei sich, bei zahlreichen Umbesetzungen, Dave Wyndorf immer mehr als Captain Kirk auf der Brücke etablierte. Und einen kompromisslosen Kurs vorgab, der irgendwann auch in den USA honoriert wurde: 1993 wechselte die Band zu A & M Records, zwei Jahre später landete sie mit DAOPES TO INFINITY und der stürmischen Single „Look To Your Orb For A Warning“ endlich den Hit, der sich beim besten Willen nicht mehr überhören ließ. Mit einer druckvollen Mischung aus Hawkwind, Black Sabbath, Motörhead und LSD hatten Monster Magnet endlich ihren Platz gefunden.

Wyndorfs Mimik aber verrät die Magenschmerzen, die ihm die Erinnerung an diese Zeit heute noch bereitet: „Je größer die Plattenfirma, desto mehr kreative Kontrolle musstdu abgeben!“ Kontrolle war etwas, woran Wyndorf Geschmack gefunden hatte – und Kreativität ist ein Ding, das sich nicht in Marketing-Schablonen pressen lässt: „Was tun diese Leute? Sie verhökern Bands an die Computerspiel-, Film- und Werbeindustrie – das ist alles. Sie können es gar nicht riskieren, abseitige Musik zu fördern, weil es ums Geld geht“, seufzt er und lehnt sich zurück, runzelt die Stirn, schnellt wieder nach vorne und sagt: „Wir werden derzeit Zeuge des größten Zusammenbruchs einer Industrie, den diese Welt jemals gesehen hat. Niemals zuvor hat eine so gigantische Branche so viele Fehler in Serie gemacht, jeder, dem an unabhängiger Musik oder Rock’n’Roll gelegen ist, sollte sich darüber den Arsch ablachen. Die Industrie bekommt jetzt, was sie verdient!“ Wyndorf streift die Asche seiner Zigarette ab, verfolgt für ein paar Momente die Seeschlacht auf dem Fernseher und fügt dann hinzu: „GOD SAYS NO hätten wir niemals machen sollen. Die Luft war raus, in jeder Hinsicht“. Der Captain, angeödet von Routine, feuerte seine komplette Rhythmusgruppe, „weil es diesen Arschlöchern an Respekt fehlte. Es geht nicht, dass ich die ganze Arbeit erledige, und diese Typen kommen irgendwann ins Studio geschlendert, um mit herabhängenden Mundwinkeln ihr Zeug einzuspielen.“

Mit frischem Blut in der Band und heimgekehrt zu einer deutschen Plattenfirma (SPV aus Hannover) scheint er sich die Leidenschaft zurückerobert zu haben: „Es ist, als wären Monster Magnet wieder jung und frisch.“ Aufgenommen wurde MONOLITHIC BABY! im legendären „Sound City“-Studio in Los Angeles, wo schon Neil Young die Gitarre zupfte. Was Wyndorf aber weit weniger inspiriert zu haben scheint als die Tatsache, dass sich dort auch der irre Satanist Charles Manson einmal als Musiker versucht hat: „Ich produziere, mische und arrangiere alles selbst. Und heuere nur deshalb einen Toningenieur an, damit er mich stoppt, wenn ich über die Stränge schlage. Ich drehe einfach zu leicht ab.“

Stolz ist er nicht aufbestimmte Alben oder Songs, sondern auf sein Werk insgesamt: „Solange sich ein Musiker weiter entwickelt, ist es okay. Ich mag keine Leute, die irgendwann die Gitarre beiseite legen und sagen: Das war jetzt die beste Platte, die ich machen konnte, Feierabend! Immer wieder höre ich von Fans, die sagen: Oh, ab diesem oder jenem Album ging es nur noch bergab. Sollen sie. Mir egal!“

Wirklich? Wir machen die Probe aufs Exempel und äußern den vorsichtigen Verdacht, dass es seit DOPES TO INFINITY nur noch bergab gegangen ist – weil die psychedelischen Elemente immer mehr zu Spurenelementen verkümmerten. Da lacht er, der Wyndorf, und winkt ab: „Ehrlich, ich liebe Psychedelia. Aber soll ich deswegen immer wieder dieselbe Platte aufnehmen? Ich würde mich doch zu Tode langweilen. Und weißt du, wer sich zusammen mit mir zu Tode langweilen würde? Leute wie du, die immer nach Psychedelia krähen!“, sagt er und stößt zur Bekräftigung zwei, drei psychedelische Rauchkringel aus.

Er versinkt in ein kurzes Brüten und sagt, mehr zu sich selbst oder zum Fernseher: „Alles, was ich mache, wird sich immer nach mir anhören. Weil meine Fähigkeiten als Musiker begrenzt sind. Ich mag es zu rocken. Und ich mag es, wenn es experimentell wird.“ Und auf der neuen Platte? Da habe er versucht, seine Vorlieben miteinander zu versöhnen: „Die psychedelischen Elemente auf MONOLITHIC BABY! orientieren sich diesmal an Sixties-Garagenrock – da hast du Dreck und Eleganz gleichzeitig. Aber wenn’s dich tröstet: Ich habe tonnenweise Psycho-Stoff aufgenommen, Spaghetti-Western-Zeug und Sachen, die wie Pink Floyd klingen. Und diesen Krempel werde ich in der Zukunft irgendwann veröffentlichen. Vielleicht nicht unter dem Namen Monster Magnet, sondern als eigenes Projekt. Ich habe da ein Side-Projekt namens Coma, da suche ich noch nach einer Sängerin. Das muss von jemandem gesungen werden, der schön singen kann – nicht von mir.“

Bei so viel Entspannung und Ironie stellt sich natürlich die Frage, was einen Dave Wyndorf eigentlich antreibt. „Seit ich ein Kind war, bin ich völlig verrückt nach allem, was mit Popkultur zu tun hat“, sagt er, während er in seinem Koffer nach einer neuen Schachtel Zigaretten wühlt. „Zeug, Bücher, Comics, Magazine, Fernsehen, Kino. Alles, was nur dafür da ist, dich irgendwie glücklich zu machen. Es ist wie ein konstanter Strom, der deine Stimmungen widerspiegelt.“ Und Rock’n’Roll? Gehört der nicht dazu? „Früher war Rock ein dominantes Mittel, ein gewisses Lebensgefühl zu repräsentieren. Heute ist es die Technologie – die Poesie, die in jeder Popkultur schlummert, muss dagegen auf dem Rücksitz Platz nehmen. Und das kotzt mich an. Okay, das Internet ist cool und so, aber ehrlich: In ein paar Jahrzehnten werden wir auf diese Epoche zurückblicken und feststellen, dass es die ödeste und verarmteste Ära in der Geschichte der Menschheit war.“

Jetzt hat er sich unversehens in Fahrt geredet, jetzt steht er sozusagen plötzlich am vorderen Rand der Bühne – von wo aus er seine Feinde ins Auge fassen kann. „Wenn man die Kids von heute fragen wird, was sie damals getrieben haben, werden sie sagen: ,Oh, ich habe Limp Bizkit gehört und Korn‚, diese ganze so genannte Nu-Metal-Scheiße. Oder, schlimmer noch, Britney Spears…“, er spuckt ihn förmlich aus, diesen Namen, nur um heiter fortzufahren: „Aber so sieht’s heute aus, ich muss es ja nicht mögen! Wir wissen doch alle, dass Kapitalisten böse Menschen sind. Aber was zum Teufel ist in junge Menschen gefahren, die diese Scheiße mit Genuss fressen? Die sollten mal ein verdammtes Buch lesen, diese debilen Arschlöcher! Was diese Leute brauchen, das sind Ohrfeigen, rechts und links…“, ruft er und schlägt mit flacher Hand in die Luft, bis viele kleine Tornados durch seinen Zigarrettenqualm fahren. Das ist es, was Monster Magnet sein will: eine Ohrfeige.

Auf dem Bildschirm regnet es jetzt Konfetti. Irgendjemand hat irgendeinen Krieg gewonnen. Dave Wyndorf greift beiläufig zur Fernbedienung und schaltet ab.