Morrissey: Years Of Refusal


YEARS OF REFUSAL von Morrissey ist unsere Platte des Monats. Weil Meinungsvielfalt eine feine Sache ist, soll hier aber auch ein ME-Leser zu Wort kommen, bei dem das neue Mozzer-Album eher ambivalente Gefühle hinterlässt.

Dass Morrissey weder inhaltlich noch stilistisch jemand war und ist, der großen Wagemut erkennen lässt, wenn es um die Erschließung neuer musikalischer Horizonte geht, steht außer Zweifel, doch gelingt es ihm, die bereits gefestigte Komfortzone zu erweitern. Mit Album Nummer drei nach dem überwiegend grandiosen Comeback YOU ARE THE QUARRY von 2004 verstört er gleich zu Beginn mit einem Rockbrett. „Something Is Squeezing My Skull” atmet Punk-Spirit und darf als der wohl radikalste Opener bezeichnet werden, der jemals auf einer Morrisseyplatte zu finden war.Das rockende Element zieht sich wie ein roter Faden durch YEARS OF REFUSAL und der Rezipient weiß nicht so recht, was er davon halten soll. Einerseits zeugt es von Konsequenz und Mut, sich mit fast 50 noch einmal mit einer weiteren Facette zu positionieren, doch fällt auf, dass die größten Momente auf YEARS OF REFUSAL nicht dort zu finden sind, wo der Rock in Großbuchstaben regiert, sondern in den gefühligen Pop- kompositionen, wie es die atypische Vorab-Single „I’m Throwing My Arms Around Paris“ sehr deutlich zeigt. Da findet sie sich wieder, die luftig-melodramische Popaffinität aus Smiths-Zeiten unterlegt mit einem Text, der Morrissey wieder in der Rolle des ewig verzweileft Suchenden zeigt, der keine Abnahme für sein Ideal von Liebe findet: „Nobody wants my love, nobody needs my love“. Diese resignative Konsequenz findet sich oft auf YEARS OF REFUSAL.Morrissey gelang es schon auf dem Vorgänger RINGLEADER OF THE TORMENTORS, dem hässlichen Attribut der Gleichförmigkeit, welche ihm von Kritikern seit geraumer Zeit vorgeworfen wird, weitestgehend zu entgehen, indem er die ähnliche Grundtendenz seiner Songs durch sinnvolle Details ergänzte (Morricone- Streicher, Chöre, Orientalismen). Dies gelingt ihm auch hier. Einen regelrechten Tabubruch begeht er mit „When I Last Spoke To Carol“, einem epischen Exkurs, gebaut auf Wüstensand, unterlegt mit mexikanischen Infusionen. Grandios. Die anrührenste Zeile gelingt Morrissey zu Beginn von „It’s Not Your Birthday Anymore“. Getragen von einer subtilen Synthiefläche singt er: „Your voice might say no, but your heart has a will of its own“. Dann verdunkelt sich alles. Die Gitarren türmen sich auf, und Morrissey geht die verbitterte Zeile „It’s not your birthday anymore, there is no need to be kind to you“ über die Lippen. Das folgende “You Were Good At Your Time” glänzt durch Bar-Lounge-Ästhetik. Den Weg nach draußen findet YEARS OF REFUSAL mit „I’m Ok By Myself“, ähnlich wie der Opener ein verstörend-hartes Stück, was abermals dokumentiert, dass das krachend laute Element nicht so recht passen mag.Sicher hinderlich ist dabei auch die Produktion von Jerry Finn, der seine Vergangenheit als Metalproduzent, wie auch schon auf YOU ARE THE QUARRY, nicht verbergen kann, was dazu führt, dass der Musik teilweise die nötige Wärme und Atmosphäre entzogen wird.Dies sorgt im Gesamteindruck für ein ambivalentes Gefühl. Von einer zwiespältigen Platte zu sprechen wäre zu hoch gegriffen, da Morrissey auch auf YEARS OF REFUSAL mit einigen schlichtweg großartigen Songs aufwartet, die über einige ärgerliche Nuancen hinwegtrösten.

Kai Wichelmann – 19.02.2009