Musik Express traf die Rolling Stones


"Die härteste Gruppe der Welt auf der härtesten Tournee des Jahres", diesen Spruch hatte sich ein Schlaukopf ausgedacht, und weil die Stones eine so unbekannte Band sind, konnte man ihn dann auch beinahe an jeder Strassenecke lesen.

Lutz Wauligmann berichtet aus München:

„See you auf der Stones-Fete in München“, soviel war mit der zuständigen Plattenfirma abgesprochen. Mich also im frühsten Morgengrauen in den nächsten Jet gepackt und ab ging die Post. Nachmittags kam mir die Welt bereits reichlich verrückt vor. Alles was einem vor die Flinte kam, redete von den Stones. München im Stones-Taumel. Stoned again!

SHOWBUSINESS-HAMMER!

Abends war die Fete angesagt. In einer Waldschänke‘, in der der Zauber stattfand, konnte man die letzten Reste bayrischer Wirtshausgemütlichkeit hinter einer dicken Schicht von Stones-Plakaten und anderem Klimbim nur noch erahnen. Der Showbusiness-Hammer hatte voll zugeschlagen. Und nicht zu knapp! Ging da nämlich irgendwann mitten im Trubel ein Vorhang zur Seite und erschienen zwei barbusige Schönheiten im Stones-Tour-Poster-Look und verteilten Konservendosen mit ‚Goat’s Head Soup‘. Wahnsinn.

STONES-FETE

Unterdessen waren auch die zwei Micks, Keith, Charlie und Bill eingetroffen und versuchten in dem Durcheinander klarzukommen. Bill Wyman verschanzte sich gleich in einer abgelegenen Ecke und genehmigte sich in aller Ruhe nen paar einschlägige Sachen von der Speisekarte. Damit stand für ihn das Feten-Programm schon einmal fest, Keith Richard kreuzte irgendwann am Tresen auf. Er schaute aus der Wäsche, als wäre dies seine zehnmillionste Presse-Party. Mick Taylor hatte ebenfalls die Ruhe weg. Er schlenderte lässig in Jeans und in einem höchst normal aussehenden Jacket durch die Menschentrauben. Zwar machte er einen gelangweilten Eindruck, aber wenn man ihn anquatschte, konnte man ihm kaum mehr als drei Worte entlocken. Charlie Watts entdeckte seinen Traumplatz hinter einem riesigen Mass Bier und Mick Jagger… der war erstmal garnicht aufzutreiben. Schliesslich stöberte ich ihn hinter einer Wand von Fotografen in einem Nebenraum auf. Dort erledigte er brav ein paar Rundfunk-Interviews, bevor er sich zum Speisen hinter einen Tisch klemmte. Neben ihm natürlich sein Leibwächter.

LEIBWÄCHTER AUSTRICKSEN

Mick mimte an diesem Abend den modebewussten Twen. In einem gestreiften Anzug und mit einer poppigen Krawatte verbreitete er den Eindruck eines vielbeschäftigten Reisenden in Sachen Rock ’n’Roll. Er beschränkte sich in seiner Kommunikation zur Aussenwelt so ziemlich auf minutenlanges Grinsen, während die Fotografen blitzten, was das Zeug hielt. Einmal konnte ich den Leibwächter kurz austricksen und Jagger fragen, ob er eventuell daran denkt, mit seinem Freund Bowie einen gemeisamen Film zu drehen. Die Antwort konnte alles Mögliche bedeuten. Bevor die Stimmung im Saal insgesamt etwas relaxter werden konnte, war der Spuk auch schon wieder vorbei.

LICHT-KANONEN

Ungefähr zwölftausend Leute strömten am folgenden Abend in jede der beiden Vorstellungen, die der Rolling Stones-Zirkus in München vom Stapel liess. Nachdem Billy Preston (Siehe auch Seite 2) mit seiner Band die Halle erstaunlich gut in Fahrt gebracht hatte, fuhr hinter der Bühne das knappe Dutzent Licht-Kanonen auf, die ihre Strahlen über den sicher in die Rock-Show Geschichte eingehenden 2 x 12 Meter grossen Spiegel auf die Bühne zurückwarfen. Schliesslich rückt die Stunde der Wahrheit heran. Die härteste Rock-Gruppe der Welt? Wir werden sehen.

YEAH THE STORM IS BACK

Charlie knallt sich hinter seine Schiessbude, Billy Preston schmeisst den Riemen auf die Orgel, die Drei-Mann-Bläserverstärkung holt noch einmal tief Luft.

Keith, Bill und Mick Taylor sind startklar. Stürmischer Applaus setzt ein. In dieser Sekunde beginnt der Show-Countdown eines gewissen Mick Jagger. Zack! Und schon steht er auf der Bühne Mordslärm auf allen Rängen. Auf den meisten Gesichtern die Es-gibt-ihn-also-wirklichMine. Natürlich. Und Jagger zeigt gleich, was er drauf hat. ‚Brown Sugar‘, die ganze Halle steht wie auf Kommando. ‚Gimme Shelter‘ beginnt Mick mit einem übertrieben kräftigen ‚Yeah the storm is back…‘ – damit ist der Staub der letzten Jahre, den diese Hits inzwischen angesetzt hatten, wie von einem Wahnsinns-Wirbelwind weggefegt worden. In ‚Happy‘ gibt sich Super-Mick ganz als Alleinunterhalter mit Stil. Er schleppt Keith Richard ans Mikro und hilft ihm auch gleich auf die Sprünge: „Vielleicht können wir Keith dazu bringen, einen Song zum Besten zu geben.“

MIDNIGHT RAMBLER

Mick Jagger kämpft sich erstaunlich frisch durch einige weitere Oldies, bevor er ‚Songs von unserem neuen Album‘ ankündigt. ‚Angie‘ kommt tierisch an, doch zwei, drei andere neue Titel werden ein wenig reserviert vom Publikum aufgenommen. Trotzdem ist es unglaublich, wie sehr sich Mick Taylor an diesem Abend ins Zeug legt. Der folgende Titel wird erst garnicht angekündigt. Als Jaggers Mundharmonika durch die Boxen tönt, ahnen die zwölftausend ‚folks‘ in der Halle noch nicht, dass Mick erst jetzt seine Trickkiste voll auspacken wird. Während er wie ein clownhafter Pantomime über die Bretter hoppst, legt sich ein Nebelteppich über die Bühne. Die Stones in den Wolken. Mick talkin‘ ‚bout the midnight rambler. Oh yeah! Um’s auf die Spitze zu treiben, legt er sich der Länge nach in den weissen Dampf und führt diese einschlägigen Bewegungen vor, die unter besonders einschlägigen Bezeichnungen mittlerweile auch dem jüngsten Teenager ein fester Begriff sind. Präzise am Ende des Songs ist der Wolkenteppich wieder verschwunden. Mr. Jagger erlaubt sich fünf Sekunden Verschnaufpause, lehnt sich über eine Box und motzt spielerisch frech das Publikum an. Noch hat er sein Pensum nicht ganz geschafft. ‚Honky Tonk Women‘, ein Eimer Wasser über Micks Kopf, ein anderer plätschert ins Publikum. ‚Street Fighting Man‘ – the show is over! Keine Zugabe. Kein Aufruhr in der Halle. Der härteste Gig war es sicher nicht, aber mit Abstand das aufregenste Rock-Konzert in Deutschland seit Jimi Hendrix auf Fehmarn.