Neue Herausforderungen Für Den Zivilisierten Menschen


Das neue Album von Sunno))) ist "heller und optimistischer" geraten als die Vorgänger! Wenn man mit gängigen Rockhörer-Maßstäben an deren Musik herangeht, bedeutet das freilich rein gar nichts.

Die Zivilisation hält nicht mehr viele Herausforderungen bereit. Deshalb schafft sich der Mensch immer avanciertere Anstöße zur Adrenalinausschüttung. Die einen springen am Gummiseil von Brücken, andere investieren in Hedgefonds – besonders Wagemutige besuchen ein Konzert von Sunn O))). Mitunter hat Greg Anderson, eine Hälfte des Duos aus Seattle, schon Extremsportler beobachtet, „die die Lautsprecher umarmen oder gleich den Kopf reinstecken“.

Der grobe Mann schüttelt bei dem Gedanken daran den langbehaarten Schädel. „Aber wer bin ich, Leuten vorzuschreiben, wie sie mit unserer Musik umzugehen haben?“

Tatsächlich ist die Musik von Sunn O))) (gesprochen „Sun“, das“O)))“ ist Deko-Rudiment, das vom Logo des Namenspaten der Band, des Verstärkerfabrikanten Sunn, herrührt; s. “ Instrumentenkunde“ S. 13) auch im zehnten Bandjahr weniger Musik als eher körperliche Erfahrung. Die nahezu rhythmuslosen Gitarrenriffs aus riesigen Verstärkertürmen mit über 120 Dezibel Kapazität befördern die Magengrube zum Resonanzkörper. Nicht umsonst warnten Anderson und Partner Stephen O’Malley Besucher ihrer Konzerte, zu denen die beiden meist in Mönchskutten erscheinen, schon vor „Übelkeit“, „spontaner Darmentleerung“ und ähnlichen Nebenwirkungen. „Viele Bands bauen Wände aus Lautsprechern auf, aber meist aus ästhetischen Gründen“, sagt Anderson und lächelt freundlich. „Das ist bei uns anders. Wir schmeißen für unseren physischen Sound diese ganzen Lautsprecher auch an.“

Sunn O))) gelingt es, diese Effekte auch im Studio zu reproduzieren – auch wenn ihr neues, siebtes Album MONOLITHS & DI-MENSIONS, so Anderson, „etwas heller und optimistischer geraten ist“. Das allerdings kommt, wie so vieles im Leben, auf die Sichtweise an. Und die ist bei Sunn O))) eher düster. Anderson und O’Malley, die beide aus der Metal-Wirtschaft kommen, verlangsamen wieder Black-Sabbath-Khschees bis zum Beinahe-Stillstand. Streicher und Bläser lockern das niederfrequente Gurgeln diesmal zwar bisweilen auf, aber ändern nichts an der grundsätzlichen Ausrichtung der Band, die mehr mit elektronischen Spielarten wie Trance oder Ambient zu tun hat als mit Hardrock. Sunn O))) betreiben Recherche an den extremen Rändern. Wären sie Meteorologen, würden sie eingeschneit in der Arktis überwintern. Ihre Musik bewegt sich ähnlich hektisch wie ein Gletscher. Ob Knurrgesang oder Gitarrensolo – die Klischees des Metal finden sich hier nur mehr als Schatten ihrer selbst, als gewaltig dröhnender Widerhall einer Genre-Geschichte, die schon zu extremen Spielarten wie Death, Doom und Thrash geführt hat. “ Idealerweise ist es so, dass es bei Sunn O))) nur eine Regel gibt“, erklärt Greg Anderson: „dass es keine Regeln gibt.“ Die Folge ist, dass Sunn O))) ihre Klangforschungsarbeit so extremistisch betreiben, dass ihnen das Metal-Publikum nicht mehr folgen will. Sie selbst mögen sich in einer Tradition sehen, die vom Blues über Sabbath, St. Vitus und die Melvins zu ihnen reicht – goutiert werden ihre grenzniederreißenden Bemü hu ngen eher in der Indie-Szene und von Jazzern. Längst gelten Sunn O))) als neues AvantgardeSpielzeug für Akademiker und sind eher in einer Galerie oder bei einem Kunstfestival anzutreffen als im Vorprogramm von Metallica. Doch wie bei allen radikalen Neuerungen stellt sich auch bei Sunn O))) die Frage, wohin die Reise noch wird führen können. „Wir wollten niemals die langsamste Band der Welt werden oder die lauteste, wir haben es einfach passieren lassen“, sagt Anderson. „Aber irgendwo da draußen, irgendwann muss es etwas geben, das noch extremer ist als Sunn O))). Irgendwann wird jemand kommen, der aus unseren Vorarbeitenetwas Neues macht.“ Schon allein, weil der zivilisierte Mensch neue Herausforderungen braucht. www.suiinborisallar.com