Nicky Wire über Freundschaft


Seit bald zehn Jahren sind sie nur noch ein Trio - und eine der erfolgreichsten Bands der Welt. Aber obwohl die Manie Street Preachers älter, milder und entspannter geworden sind, bleiben sie einigen Idealen aus ihrer Kindheit treu, text arno frank

Unrasiert, aber aufgeweckt sitzt Nicky Wire alias Nick Jones in seiner Lederjacke auf dem Ledersofa der Hotelsuite. Für eine Weile ist nur das Knarzen von Leder auf Leder und knisterndes Papier zu hören. Der Thirtysomething blättert durch den musikexpress und kommentiert dabei halblaut “ Ohja, den American Music Club gibt es wieder, das ist ja fein.“ Und, ganz beiläufig: „Tja, Nick Cave bekommt immer noch gute Bewertungen in Deutschland… liegt wahrscheinlich an Blixa Bargeld.“

Er kennt sogar dessen Band, die mit dem komischen Lärm und dem noch komischeren Namen, „Collapsing New Buildings“ oder „Anstussenden Noibaudan“ oder … nein, leider fehlt uns für einen Sprachkurs die Zeit. Auch um die neue Platte, lifeblood, soll es nur am Rande gehen – oder aber über Bande. Worüber spricht man mit dem (Text-) Chef einer Band, der im Februar 1995 mit Gitarrist und Texter Richey Edwards die Identifikationsfigur abhanden kam, die trotzdem als Trio weitermachte und ihre größten Erfolge feierte? Vielleicht über den Unterschied zwischen Leidenschaft und Geschäft, zwischen Partnerschaft und… genau: Freundschaft. NICKY wire: Nach unserem Best-Of-Album waren wir ein ganzes )ahr lang auf Tournee, von Helsinki bis Tokio. Und wenn man so lange und intensiv miteinander zu tun hat wie die Herren Sean Moore, James Dean Bradfield und ich, dann muss man seine Freunde schon sehr gut kennen. Und auch seine Feinde, versteht sich.

Warum Feinde?

Wir waren selbst unschlüssig, was wir nach dem Best-Of-Album machen sollten. Also setzten wir uns hin und machten einfach. Das geht nur, wenn die Chemie stimmt, wenn man miteinander vertraut ist.

Muss ja sehr lustig zugegangen sein: lifeblood ist ein erstaunlich heiteres, unbeschwertes Album.

Wir sind immer auf der Suche nach dem elegischen Popsong. Nach Musik, die melancholisch ist und trotzdem erhebend. Die Musik sollte meiner Mutter genauso gefallen wie einem zehnjährigen Mädchen. Aber eine wirklich sonnige Band werden wir wohl nie werden.

Die Single „The Love Of Richard Nixon handelt von einem sehr unglücklichen, äh, US-Präsidenten.

Richard Nixon hat viele Facetten, die niemand kennt. Er ist kein Freak wie George W. Bush, auch kein echter Idiot. Er war kein besonders intelligenter Mensch, tief verunsichert, aber ein brillanter Politiker.

Die Leute vergessen gerne, dass er als erster US-Präsident ins kommunistische China gefahren ist.

Aber sie erinnern sich an Watergate. Sein Leben lang wurde er von diesem Skandal verfolgt, so wie wir wohl ein Leben lang von Richeys Verschwinden verfolgt werden. Ich empfinde ein tiefes Mitgefühl für ihn, weil er keine strahlende Gestalt war. Ich glaube, wenn Radiohead John F. Kennedy sind, dann sind die Manics Richard Nixon.

Gewagter vergleich.

Warum? Kennedy war der Sohn einer traditionsreichen Familie aus Boston, Nixon kam aus der tiefen Provinz. Sean, James und ich kommen aus Wales, wo es keinerlei musikalisches Erbe gibt, das wir hätten antreten können. Wenn du in Manchester groß wirst, sieht das schon ganz anders aus. Es ist einfach ungerecht, ein ganzes Leben an einem Ereignis festzumachen – und dabei völlig zu vergessen, was für einen weiten Weg jemand zurückgelegt hat.

Nixon hatte ja auch nicht sonderlich viele Freunde, sieht man mal von seinem Verteidigungsminister ab.

Das ist ein sehr guter Punkt! Die Manie Street Preachers sind nämlich auch eine Band, die nicht viele Freunde hat.

Wie bitte? Eine der populärsten Gruppen des vergangenen Jahrzehnts soll keine Freunde haben ?

Das kommt auf die Perspektive an. Wir haben Fans, aber keine Freunde. Und Fans können extrem fordernd sein. Nach this is mytruth tell me yours waren wir plötzlich so erfolgreich, dass uns viele alte Fans unterstellten, wir seien nicht mehr authentisch, hätten unsere Ideale verraten. Statt dessen waren wir auf einmal die neue Lieblingsband einer völlig neuen Gruppe von Hörern. Ich war genauso, als an meiner Schule Leute, die ich nicht leiden konnte, plötzlich mit Echo-&-The-Bunnymen-T-Shirts rumliefen und ich dachte: Hey, Moment mal, das ist meine Band!

Ich erinnere mich, dass ihr nach dem Festival in Glastonbury mit Hohn überschüttet wurdet, weil ihr eines dieser mobilen Toilettenhäuschen für euch alleine haben wolltet. Es hief), die Manics seien arrogant…

Also bitte, jeder von uns kennt doch diese entsetzlichen Toiletten! Der Witz ist, dass die Dinger in Glastonbury auch backstage kein Stück sauberer sind als dort, wo die Fans campen. Was sagt uns das über den britischen Pop?

Und dann hast du diesen Zettel an der Tür einer halbwegs erträglichen Toilette angebracht: „Reserviert für die Manie Street Preachers „?

Ja. Es war ein Witz. Und niemand hatihn verstanden. Wenn ich umgekehrt etwas ernst meine, halten es die Leute für einen Scherz.

Was denn zum Beispiel 7 Lass mich nachdenken … ja, ich finde whiteflag von Dido ist eine großartige Platte. Keiner glaubt mir.

Vielleicht haben die Leute falsche Vorstellungen von den Manics?

Sehr wahrscheinlich sogar. Und was wir von den Menschen halten, das unterscheidet sich davon, wie sie wirklich sind, wie ein Foto von einer Karikatur. Wenn du dir die Mühe machst, jemanden wirklich kennenzulernen, dann ist er in der Regel wesentlich freundlicher als gedacht. Mit Bono von U2 ist mir das so gegangen. Das Problem ist, dass wir ständig über Leute urteilen, die wir nicht kennen – das ist meine Erfahrung.

Eine gute oder eine schlechte Erfahrung?

Stell dir vor, einer deiner besten Freunde verschwindet spurlos, und niemand kennt den Grund. Du fühlst dich deswegen ohnehin schon mies und unsicher. Und jetzt treten die Fans von Richey auf den Plan, die meinen, ihn besser gekannt zu haben als wir: Der NME zeigte in seiner Rezension unserer Greatest-Hits-Platte mit einer lustigen Tortengrafik, wie kaltherzig wir mit Richey und seinem Erbe umgegangen seien. Das war eine schlechte Erfahrung.

Ein Prominenter sollte doch damit umgehen können!

Prominent? Na ja. Ich glaube, ein Michael Stipe wird überall auf der Welt sofort erkannt. Bei uns ist das anders, da ist sogar James – das Gesicht der Band – immer noch „der Typ von den Manic Street Preachers . Habt ihr es schon mal mit Stalkern zu tun bekommen ?

Hm, ich weiß nicht. Da war dieses Mädchen aus Tokio, das mir drei Jahre lang jeden Tag einen Brief geschrieben hat. Jeden Tag! Das war schon bedrückend. Fans neigen dazu, von einer Begegnung mit ihren Stars zu träumen…

Werden diese Träume erfüllt?

Eher nicht. Das bringt ja auch nichts. Was wir für diese Leute sind, das sind ja nicht wir, sondern das steckt alles in der Musik. Klar lernen wir unsere Fans kennen, aber eher auf einer oberflächlichen Ebene. Engere Kontakte sind da schnell mal enttäuschend, für beide Seiten.

Seid ihr in der Gruppe noch echte Freunde? Oder -Hand aufs Herz – Geschäftspartner, die höflich miteinander umgehen?

ich glaube, was uns verbindet, das geht über Freundschaft hinaus. Es ist ein bisschen wie Telepathie, weißt du? Es gibt da einen Grundton von Verständnis, weshalb es zwischen uns auch nicht mehr viele Worte braucht. James beispielsweise kenne ich, seit ich fünf Jahre alt war. Es gibt wirklich nichts, was wir nicht voneinander wüssten. Es stehen keine Ego-Probleme zwischen uns.

Ist so etwas überhaupt möglich ?

Nur mit der Zeit. Wenn wir Konflikte haben, dann sind die meistens intellektueller, nie substantieller Natur. Was vielleicht daran liegt, tja, dass wir eben Freunde sind.

Und die Manic Street Preachers eine Art Organismus ?

Das würde ich nicht sagen. Es ist wichtig, Privatleben und Bandleben zu trennen. Ich bin seit elf Jahren verheiratet, ich habe eine kleine Tochter. Das ist für mich wie ein Organismus, ein Wesen von eigener Geltung: meine Familie. Die Gruppe ist da eher ein fundamentaler Freundeskreis. Wir können uns aufeinander verlassen, wenn wir zusammen sind. Aber wir gehen nicht jeden Abend zusammen in die Kneipe, schon deshalb nicht, weil wir so weit entfernt voneinander wohnen.

Kann denn künstlerische Zusammenarbeit ohne klare Hierarchien funktionieren?

Aber ja. Unter Freunden braucht es das nicht, da braucht es Arbeitsteilung. So war es auch, als ich es übernommen habe, die Texte zu schreiben. Es ist ja eine besondere Situation für jeden Sänger, wenn er seine Texte nicht selbst schreibt, sondern die Worte eines anderen interpretiert.

Das wäre früher nicht gegangen ?

Nein, wir sind alle ein wenig milder geworden. Mit everything must GO ging es los, dass wir alle irgendwie zufrieden waren.

Warum ? Genug Geld?

Vielleicht. Schau, wir hatten bis dahin zehn Jahrelang ohne Unterbrechung und wirklich hart gearbeitet. Wenn du’s in zehn Jahren nicht geschafft hast, dann schaffst du es gar nicht mehr. Wir waren immer ziemlich schlecht gelaunte, depressive Typen – vielleicht nicht persönlich, aber als Band. Und irgendwann wurde uns klar, dass wir uns entspannen können. Deshalb ist LIFEBLOOD auch nicht mehr so melancholisch, wie wir früher vielleicht klangen: Es gibt für keinen von uns mehr einen echten Grund, sauer auf die Welt zu sein.

Was ist der Unterschied zwischen Zufriedenheit und Selbstzufriedenheit?

Sag du smir!

Selbstzufriedenheit macht satt.

Genau das ist es, was du seit einiger Zeit in England beobachten kannst. Und schlimmer noch: Selbst neue Bands sind viel mehr daran interessiert, möglichst viruos ihre Instrumente zu beherrschen, als interessante Statements zu machen. Da gibt es Gomez ganz schrecklich, wie Schuljungs, die zeigen müssen, wie toll sie Bass spielen können. Oder zum Beispiel Radiohead, die irgendwo im Akademischen verlorengegangen sind. Ich meine, Pop sollte doch populär sein!

Gibt es Lichtblicke?

Oh ja, zum Beispiel die Super Furry Animals! Gruff ist ein großartiger Texter. Er ist jemand, der jung und zornig genug ist, um uns mit Texten über seine Zufriedenheit zu verschonen. Deshalb bewundere ich Primal Scream, weil sie prinzipiell wütend wirken. Weil sie überhaupt etwas sagen.

Gilt das auch privat ?

Bei manchen Leuten musst du unterscheiden zwischen der Bühnenpersönlichkeit und dem Typ, den du anschließend hinter der Bühne triffst. Liam Gallagher von Oasis beispielsweise ist ein toller Künstler, wie ich auf einer gemeinsamen US-Tournee erfahren durfte. Aber als Mensch? Na ja, du darfst eben nicht zu kumpelig werden mit den Kollegen…

Ich glaube, dein Handy klingelt!

Oh, danke! (wühlt in seiner Tasche nach dem summenden Gerät) Hallo? Hallo? Ach, mein Herz, du bist s … nein … nein, ich stecke nur in einem Interview … macht nichts … ich dich auch, bis später! (steckt das Telefon wieder weg) Das war meine Frau. Es ist Zeit, das Baby ins Bett zu bringen. Sorry für die Störung.

Im Gegenteil, das bringt uns mit unserem Thema weiter.

Wieso?

Naja… Frauen beidseitiges Gelächter. Im Ernst: Gibt es das, Freundschaft mit dem anderen Geschlecht?

Nein. Nein, daran glaube ich nicht. Ich kenne meine Frau, seit ich 15 war. Sie ist mein bester Freund, aber sie ist eben auch meine Frau. Hm. Nein, ich brauche keine Frauenfreundschaften. Ich schließe sie sogar kategorisch aus.

Hast du dich mit James jemals um Frauen gestritten ?

Hm, häufiger mit Richey. Aber mit James? Nein. Wir wurden beide ziemlich häufig von Frauen sitzengelassen, das verbindet eher. Obwohl, wenn ich darüber nachdenke … James war mal mit dieser merkwürdigen Frau zusammen, die war ziemlich irre und gar nicht gut für ihn. Ging dann aber gut aus. Letztes Jahr hat er geheiratet, eine feine Frau.

Klingt schon irgendwie, als wurdet ihr alt werden …

Werden wir das nicht alle, wenn wir Glück haben?

Kommt auf deine Vorstellung von Glück an!

Die ist einfach: Im Liegestuhl an der walisischen Küste sitzen, hinter mir die Hütte, die ich mir noch kaufen will, vor mir der Strand, über den unser Hund tollt…

Keine Katze?

Nein, die finde ich irgendwie verschlagen. Wir hatten in unserer Familie immer Hunde. Labradore, feine Kerle. Ohne Hund wäre mein Bild vom Glück nicht perfekt. Vielleicht könnte ich eher auf die Manic Street Preachers verzichten als auf meinen Hund. Klingt blöd, oder?

Gar nicht, klingt plausibel. Wen wir damit wieder mitten im Thema wären…

Genau! Ganz genau, das ist das Ideal! Du willst eine Freundschaft ohne Argwohn und Hinterlist? Freunde dich mich einem Hund an. Besser geht’s nicht.