Nina Hagen: Halle, Open-Air


Sie kämpft mit dem Mikroständer, windet und schlängelt sich in ihrem wundersamen Jean-Paul-Gaultier-Kostüm, schüttelt schaurig die mähnenlange Perücke und schreit schrille Hymnen über New York und Berlin in die anderthalbtausend, die zum ersten und einzigen Deutschland-Konzert der Ufo-Verehrerin in diesem Jahr nach Halle gekommen sind.

„TV Glotzer“ macht den Anfang, ein – wie soviele Hagen-Songs – geklautes Stück, dessen Originalversion (von den Tubes) allerdings nicht annähernd an Ninas eingedeutschte Version heranreicht. Das flammendrote Perückenhaar schleift auf dem Bühnenboden.

der lange Seidenschal dient mal als Schleier, mal als Scheuerlappen. Während die Band noch am Finale des Stückes bastelt, ist Nina verschwunden. Aus der hellroten Haartracht wird eine beißend weiße, aus den überlos langen Strähnen ein kurzer Dutt. Nina spielt ihre Lieberlieder. „New York. New York“ und „African“, „Berlin“ und den „Gorbatschow-Rap“ nach Biermann. Das sind keine Hits, das ist trotz aller hörbaren Anleihen beim Zeitgeist kein massenwirksames Material.

Nina Hagen ist live kantiger als mancher widerspenstige Avantgardist, avantgardistischer als mancher „ernsthafte“ Musiker. Dabei ist sie immer die Schauspielerin geblieben, die sie eigentlich werden wollte, bevor man ihr an der staatlichen Schauspielschule die Tür wies. Jedes Lied ist ein anderer Film, jede Strophe eine andere Hauptrolle, jede neu übergestülpte Perücke eine neue Persönlichkeit: Sie spielt mit den Klischees, mit den musikalischen Schubladen und geheiligten Bühnenritualen der Rocker, Punks und Popstars. Da ist nichts echt außer den blondierten Stoppeln unter dem Toupe; nichts ernstgemeint außer den Witzen, die Nina über sich selber macht.

Live spielt sie meist die Rocksängerin. Nach jedem Song im neuen Kostum, in jedem Kostüm eine andere Frau. Sie streckt die Zunge raus, erzählt wahlweise von Biermann, Rauschgift, Emanzipation, Gorbatschow oder ihrem Geschlechtsleben, wälzt sich im Staub oder versucht, sich das Mikrophon in den Hals zu schieben. Aber Entwarnung. Nichts ist echt. Alle Gefühle, alle Gesten sind geliehen und geborgt, alle Ideale verraten und verkauft, jeder Schock ist unbewußt geplant, jeder Schrei tausendmal geübt. Wer von Nina Hagen mehr will als das, wird es nie bekommen. Oder aber Nina Hagen wäre nicht mehr Nina Hagen.