Nine Inch Nails


DIE ZUKUNFT DES ROCK N ROLL IST MULTIMEDIAL: Beschallt von einem THX-Dolby-Surround-System fliegen die Fans mittels ihrer von den EEG-Impulsen des Frontmanns auf der virtuellen Bühne getriggerten 3-D-Brillen durch die assoziativen Schluchten der Songs. Das alles gibt es bei Nine Inch Nails nicht, und am Ende des Konzerts reibt man sich verwundert die Augen und fragt: Warum zum Teufel ist die ganze, zum Brechen gefüllte Columbiahalle dennoch knapp zwei Stunden hypnotisiert mitgeflogen? Wo Trent Reznor, Mister Nine Inch Nails, sowieso dafür bekannt ist, sich lieber – wie zuletzt für die Produktion des Doppelalbums „The Fragile“-fünf Jahre lang im Studio einzuschließen, als sich der Schlangengrubensituation „Konzert“ zu stellen. Doch Reznor scheint gerade wegen der jahrelangen Klausur nach der Live-Entladung zu lechzen. Kaum ein anderer Rock-Entwurf am Ende des Jahrhunderts könnte ihm einen dafür geeigneteren Laufsteg bieten, als die aktuelle Outline seiner Band Nine Inch Nails: Industrial-Rock, der seinen Druck auf der Bühne mehr von drei Stromgitarren denn von allzu viel Elektronikschnickschnack bezieht, Post-Punk, der auch im 7/8tel Takt nicht holpert, nackte, griffige Songs, deren Studioarrangementschalen schamlos abgepellt werden – und mitten drin Trent Reznors musikgewordener Parforce-Ritt durch die dunklen Abgründe seiner verworrenen Seele. Nine Inch Nails, angetreten in der Besetzung, die auch „The Fragile“ einspielte, bringen live dennoch nur wenige der neuen Songs: Einzig Kracher wie „Starfucker“ fügen sich nahtlos in das Klassiker-Set mit Titeln der Vorgängeralben „Pretty Hate Machine“ und „The Downward Spiral“ ein. Die zarteren „Fragile“-Pflänzchen erblühen in dem dafür reservierten Biotop im Konzert-Mittelteil: Ein Gaze-Vorhang senkt sich vor der Bühne, auf den – Zugeständnis an die multimediahungrige Zeit – allerlei verquere Formwandlervideos projiziert werden. Reznor, nur sporadisch beleuchtet, dirigiert hinter dem Vorhang seine zum Ambientorchester mutierte Band. Danach reißt er das Ruder wieder herum und versucht die Verbindung beider Welten: Brachiale werden mit zarten Klängen dynamisch konterkariert, die Grooves aus dem Rhythmusbaukasten bleiben auch dann packend und direkt, wenn sie aus dem BeBop stammen, die Kompositionen vergessen bei aller Komplexität nie, dass es sich im Grunde um Popmusik dreht – und über allem kreist die in ihrer Seelentiefe ständig um Echtheit und wahrhaftige Authentizität ringende Stimme Reznors. Das Jahrzehnt geht, aber Nine Inch Nails haben wenigstens eine leise Ahnung, wohin.