OM


"OM" - das buchstabiert sich nicht wie O und M, sondern es heißt schlicht: "Om". Manche denken noch einen Dehnlaut dazwischen - wie "Ohm". Was sogar naheliegt, denn das Quartett bezeichnet seine Musik vieldeutig als "electricjazzfreemusic". Und ebenso abenteuerlich wie dieser Gattungsbegriff klingt auch der Name des Landes, aus dem die Jazzrocker stammen; es ist die musikalisch sonst so betuliche Schweiz!

„OM“ – das buchstabiert sich nicht wie O und M, sondern es heißt schlicht: „Om“. Manche denken noch einen Dehnlaut dazwischen – wie „Ohm“. Was sogar naheliegt, denn das Quartett bezeichnet seine Musik vieldeutig als „electricjazzfreemusic“. Und ebenso abenteuerlich wie dieser Gattungsbegriff klingt auch der Name des Landes, aus dem die Jazzrocker stammen; es ist die musikalisch sonst so betuliche Schweiz!

Ursprünglich stammt das Wort Om aus östlichen Religions- und Meditations-Praktiken und bedeutet so viel wie: die erste Silbe, das erste aller Worte. Bei Hermann Hesse ist Om der Bogen und dazu die Seele ein Pfeil, ist Anfang und Vollendung zugleich. Für den Jazzer John Coltrane hatte es die Bedeutung als „the word of power“, die erste Vibration, der Klang, dem alles entspringt, eingeschlossen alle Klänge, die der Mensch zu erzeugen fähig ist. Das nahmen die vier Eidgenossen für bare Münze, wie man ihrer Musik entnehmen mag.

Am Anfang von OM jedoch standen noch nicht solch bedeutungsschwangere Worte. Eingestiegen in die Musik sind sie „natürlich mit Beat-Musik“, erinnert sich Urs Leimgruber ohne Reue. Sie kannten sich schon seit 1964: Urs Leimgruber, Bobby Burri, Christy Doran und Fredy Studer. Zur Gründung des Quartetts mit der bis heute unveränderten Besetzung kam es dann 1972; damals nannten sie sich noch „Superflex“ und hatten einen Auftrag für die Musik zu Bulgakows „Purpurinsel“ im Luzerner Stadttheater in der Tasche.

Christy Doran ist geboren in Dublin, lebt aber seit langem in der Schweiz. Er ist Berufsmusiker seit zehn Jahren und Gitarrenlehrer an der Swiss Jazz School in Bern. Ihm wird mal nachgesagt, daß er die emphatische Technik von John McLaughlin und den glassplitternden Sound von Sonny Sharrock vereint und dann wieder-, daß er an der Gitarre einen klavierähnlichen Sound entwickelt. Besser: Christy Doran spielt Christy Doran, ohne in die sonst gängig phrasierten Gitarrenklischees zu verfallen.

Urs Leimgruber studierte am Luzerner Konservatorium und an der Berner Jazzschule. Sein Tenorsaxophon strotzt vor Kraft, mit ihm steigt er zu weit geschwungenen, hymnisch expressiven Bögen auf. Am Sopransaxophon scheint er mal seinen eigenen Tönen hinterherzulauschen, dann wieder haspelt er schnellzüngig die Skala ab. Leimgruber schrieb mehrere Kompositionsaufträge für Theater und Filmmusiken.

In Bern und Luzern studierte auch Bobby Burri. Er pflegt am Korpusbaß einen satten, voll ausgewachsenen, raumfüllenden Ton, besonders per Bogenstrich, und pizzicato treibt er seine Mitspieler zu vitaler Intensität.

Autodidakt ist Fredy Studer. Er hat Erfahrungen gesammelt in allen Arten von Musik – in Militär- und Tanzkapellen, Folklore, Psychedelic, Rhythm’n’Blues, Rock ’n’Roll und Hard Bop bis zum Free Jazz. Studer entfacht an den Trommeln rhythmische Feuerwerke, spinnt an den Becken aber auch feine Gewebe von Schwingungen.

Die stilistischen Explosionen von Jimi Hendrix und John Coltrane setzten die vier OM-Musiker auf die Spur, die sie noch heute verfolgen. Ihre reichlich ungewöhnliche Kategorisierung in „electricjazzfreemusic“ ist nicht nur werbeträchtiges Etikett; hier wird vor allem der Claim abgesteckt, in dem sie sich kreativ austoben können. „Electricjazz“ ist einerseits typisch für dieses Jahrzehnt, für die Ära nach „Bitches Brew“ und mit „Weather Report“, wo elektrifizierte Instrumente klangbildliche Vorstellungen umkrempeln. „Freemusic“ beinhaltet andererseits rythmische und haxmonische Freiheiten, die wiederum durch die Zwänge elektrischer Produktionsweisen abhanden kamen. Diesen auseinanderklaffenden Spalt abzukitten, ist OM’s Musizierideal, das die Band in glückhaften Momenten denn auch erreicht.

Während es heute, im Jazz wie im Rock, vielfach üblich ist, äußere Formen großzügig und komplex zu entwerfen, verfolgt OM ein entgegengesetztes Konzept. Sie geben von innen aus eine nuancierende Differenzierung an, zersplittern Themen und Motive, loten sie nach ihrer Tiefe aus. Absolut neu ist die Arbeitsweise nicht eigentlich; was hier aber frappiert, das ist die sinnfällige Paßform dieser klingenden Mosaiksteinchen ineinander, so daß sich am Ende doch wieder eine umfassende, inhaltlich aber gehaltvollere Form ergibt. Dabei lebt die Musik vom spontanen Augenblick, meistert ihn aber auch.

Da kann eine Passage gelegentlich bis zur verinnerlichten Klangmeditation vertieft werden. Stets aber wird das Interesse wach gehalten durch die instrumentelle Polarität zwischen der Elektrogitarre Dorans und seinen Mitspielern, von denen als Gegenpol weniger das Saxophon Leimgrubers, als ganz ausgeprägt der Baß von Burri agiert. Bobby Burri nimmt noch eine weitere Schlüsselstellung ein, denn bei dieser Arbeitsweise hängt an seinen stählernen Saiten buchstäblich der musikalische Prozeß. Er schiebt rhythmische Gegengewichte ein und kanalisiert gleichzeitig den harmonischen Verlauf, über dem die Solisten dann inspiriert improviseren können. Dies auch unterscheidet OM sowohl von avancierteren Rockgruppen wie von reinen Free-Jazz-Formationen. Irgendeiner ideologischen Richtung gehören sie nicht an. Ihr Markenzeichen ist ein lustvoll sprudelnder, phantasiereicher Spieltrieb.

Von empfindsamen Ohren wird die Lautstärke von OM besonders in kleinen Spiellokalen als störend kritisiert. Doran hält dem entgegen, daß die elektrifizierte Gitarre einfach eine gewisse Verstärker-Leistung benötigt, um einen charakteristischen Klang zu entwickeln, damit der Ton „steht“. Bei aller Phongewalt bleiben jedoch die Differenzierungsmöglichkeiten zwischen den einzelnen Stimmen uneingeschränkt erhalten.

Ihr offenes, assoziatives Konzept brachte der Gruppe mehrere Aufträge für Kompositionen zu Filmen und Theaterstücken ein, die sie in der Regel selber realisierten. Auch experimentierfreudige Ballettgruppen schätzen ihre Kooperationsbereitschaft. So kamen sie mit dem „Creative Dance Theatre Copenhagen“ zum 5. Internationalen Weltmusikforum 1973 nach Viktring, und mit dem „Dance Theatre New York“ arbeiteten sie 1976 in Kopenhagen.

Ansehnliche Preise errang OM in Prerov in der CSSR schon 1973 und in Willisau als beste schweizerische Gruppe der Jahre 1976 und 1977. Im Dezember vorigen Jahres schließlich wurde ihnen der Kunstpreis von Luzern (dotiert mit 4.000 Franken) zuerkannt. Dies nun erregte gelindes Erstaunen, weil sonst dieser Preis nur an Bildende Künstler, Schriftsteller und Komponisten aus der E-Musik vergeben worden war. OM hat auch teilgenommen an etlichen internationalen Festivals, Doch nicht nur vor großen Auditorien, sondern auch in intimeren Clubs entfaltet die Band, und zwar, wie sie sagt, „sogar gern“, ihre publikumsfreundliche Musik. So setzte sie im westfälischen Altena (vor einem durch die New Jazz Festivals verwöhnten und fachkundigen Publikum) mitten in ein draußen vorbeijagendes Sirengeheul mit harten Perkussionen ein, nahm das Geräusch als Anregung auf und integrierte es in ihren Vortrag. Dieser vom Zufall begünstigte und humorvoll aufgenommene Einstieg ist symptomatisch für OM. Die vier Musiker stehen mitten im Strom vieler zeitgenössischer Richtungen, hauptsächlich von Rock und Modern Jazz, beziehen sie auch in ihre Improvisationen ein, ordnen sich ihnen aber niemals bedingungslos unter. Wenn sie beispielsweise metrische Zähleinheiten sich erst im Unendlichen treffen lassen, macht dies den Reiz aus zwischen Hörerwartung und Wahrnehmung oder einfacher: Wunsch und Wirklichkeit. Ähnliches gilt für die harmonisch-melodische Komponente, wenn das Ohr, eingelullt von allgegenwärtiger Funktionsharmonik, improvisatorisch überlistet wird.

Neuerdings, wie in Unna, tritt OM häufig mit dem brasilianischen Percussionisten Dom Um Romao auf. Besonders mit der Berimbao verhilft Romao zu einer weiteren farblichen Ausgestaltung des Klangbildes. Romao badet sichtlich in den Schwingungen der Cymbals und den stumpfen Vibrationen der Trommelfelle, während ihm die anderen die Temperatur zubereiten. Für Ramao ist die Perkussion kein Selbstzweck und keine akustische Schminke, sondern integraler Bestandteil. Wie sehr alle Stimmen voneinander abhängig sind, merkt man daran, daß selbst Romao nichts auszurichten vermag, wenn’s mal gerade nicht laufen will.

OM ist, wie jegliche kommunikative Musik, existentiell vom Publikum abhängig: „Wir sind auf das Publikum angewiesen, vor allen auf ein offenes, unvoreingenommenes. Wenn sich unsere Vibrationen mit denen des Publikums berühren, der Kreis geschlossen wird, kann Großartiges passieren. In solchen Momenten fühlt das Publikum, daß es nicht nur konsumiert, sondern auch selbst viel zur Musik und zur Atmosphäre beiträgt.“

DISCOGRAFIE:

Live in Montreux (1974) Indian Records ST 1001 Kirikuki (1975) Japo 60012 Rautionaha (1976) Japo 60016 Mit Dom Um Romao (1977) Japo 60022