Page & Plant: Nett Zepp


Kaum eine Band, die das oft gebrauchte Prädikat "legendär" auch wirklich verdient. Auf die Herren Page und Plant von Led Zeppelin jedoch trifft es zu. Und nett sind sie auch noch. Jedenfalls meistens.

NEIN, WIRKLICH: ROBERT PLANT IST nicht zufrieden. Not amused, wie sie hier sagen. Da hat er sich nun dazu breitschlagen lassen, an der Seite von Ex- und Top-Partner Jimmy Page einer Handvoll Schreiberlingen aus Deutschland Audienzen zu gewähren, und jetzt das: Direkt vor „The Crown And Coose“, einem mäßig gemütlichen Pub im Londoner Westen, ist buchstäblich das Inferno losgebrochen. Mit ohrenbetäubender Lautstärke reißt eine amoklaufende Baukolonne per Preßluftbohrer riesige Löcher in die Arlington Road. Irgendwie kommt einem diese Phonstärke bekannt vor. Aus der Zeit nämlich, als die beiden Herren gemeinsam Marshalltürme zum Bersten brachten, damals in den glorreichen Siebzigern bei Led Zep… Stop! Die Dame von der Plattenfirma hat schließlich oft genug und sehr eindringlich auf Paragraph No. 1 des Page/Plant-Interview-Gesetzes hingewiesen, der besagt: „Kein Wort über Led Zeppelin““ Der Lärmpegel steigt noch um ein paar Dezibel. Egal, es wird ohnehin erst zur Fotosession gebeten. Zeit, die Helden ein wenig zu mustern: Robert Plant in schwarzer Lederhose und grünem Pulli, die blonden Engelslocken schulterlang; Jimmy Page, angetan mit einer Art Gehrock, gleichfalls in Schwarz, die dunklen Haare kurz geschnitten. Beide sehen mit ihren 49 (Plant) bzw. 54 Jahren (Page) tatsächlich keinen Tag jünger aus, als sie sind.

Um das Problem mit dem Preßlufthammer zu lösen, setzt sich der ganze Tross in Bewegung und fällt wenig später im Headquarter von Page/Plant-Manager Bill Curbishly ein. Natürlich ist der Zeitplan längst über den Haufen geworfen. Doch dafür entschädigt ein Blick auf die Wände des gemütlichen Bürotraktes, die übersät sind von einer ehrfurchtgebietenden Sammlung Goldener Schallplatten: „Who’s Next“ von The Who sticht ins Auge, „Manie Nirvana“ von Robert Plant. Selbstverständlich gibt es auch reichlich Led Zeppelin-Trophäen (von „Led Zeppelin I“ bis „Remasters“) zu bewundern, und alle sehen

sie aus, als würde schon ein allzu neugieriger Blick ein Alarmsystem auslösen, dessen Lautstärke es vermutlich locker mit dem Preßlufthammer von eben aufnehmen könnte. Doch so weit kommt es nicht, denn die Rockgötter von einst lassen jetzt bitten.

Durch die riesige Fensterfront sieht man den blauen Himmel über London. Drinnen sitzen die beiden auf einer gemütlichen Ledercouch und erwecken zunächst nicht den Eindruck, als würden sie über Leichen gehen, um dieses Interview geben zu dürfen. Während sich Page ins Sofa zu verkriechen scheint, schenkt Plant Mineralwasser ein, setzt seine Lesebrille auf – und beginnt ein wenig gelangweilt im „Billboard Magazine“ zu blättern. Doch die anfängliche Sorge erweist sich als unbegründet: Der Mann ist ganz Ohr, ebenso nett und verpaßt keinen Einsatz. Das neue Album („Walking Into Clarksdale“) ist im Kasten. Ein gutes Gefühl? „Wir sind ganz schön aufgeregt“, bekennt Plant. Was kaum verwundert, denn schließlich reden wir von der ersten Platte mit komplett frischem Page/Plant-Material seit „In Through The Outdoor“ aus dem Jahr 1979. Und „No Quarter“, das Album mit zehn umarrangierten Led Zeppelin-Titeln und vier neuen Stücken, hat auch schon dreieinhalb Jahre auf dem Buckel. Was ist passiert seither?

Plant heuchelt Amnesie: „Ich kann mich gar nicht erinnern.“ Page versucht sich als Souffleur: „Weißt du nicht mehr? Wir waren auf Tour.“ „Genau, 13 Monate.“ „Nee, Robert, es waren 18.““Richtig“, grinst er, „wenn du die also von den dreieinhalb Jahren abziehst, bleibt nicht mehr so viel. Ansonsten haben wir viel Tennis gespielt, reichlich Songs geschrieben und ein bißchen geschlafen.“ Das soll Alltag der von Rockstars sein? Keine wilden Parties? Nicht mal Besuche im Pub nebenan, um einen zu heben? Keine extravaganten Hobbies? Robert Plant beugt sich ein wenig nach vorne: „Ich will dir was sagen: Gewöhnlich sitzen wir in einer dunklen Ecke zusammen,flüstern und versuchen, uns zu erinnern, wie um alles in der Welt wir hierher gekommen sind.“ Spricht’s, lehnt sich wieder zurück und feixt vor sich hin. Unterdessen murmelt Jimmy Page etwas, das klingt wie: „Ich meditiere, 18 Stunden am Tag.“ Ja“, fällt sein Partner wieder ein, „und ich mache Yoga“ – Kunstpause – „und pflege Beziehungen zu verschwiegenen Frauen.“ Schallendes Gelächter. Gut, meine Herren, wirklich lustig, aber nun laßt uns mal Tacheles reden. Wie war das mit dem neuen Album? Das klingt ja nun eher wie das Werk einer richtigen Band und weniger nach einem Page-Plant-Trip mit namenlosen Hilfsmusikern? Jimmy erwacht aus seiner – nun ja – Lethargie: „Du hast recht. Wir haben wirklich als Gruppe zusammengearbeitet, mit Charlie Jones am Bass und Michael Lee am Schlagzeug, weil es unsere erklärte Absicht war, einen Live-Sound zu erzielen.“ Und warum wurde Produzent Steve Albini verpflichtet, der schon für Nirvana, die Pixies und PJ. Harvey tätig war? Eine kleine Blutauffrischung für die alten Recken? „Nein, ich hatte diesmal nur nicht so viel Zeit, mich um alles zu kümmern“, erzählt Page. Ja, ja, Tennis spielen, meditieren, schlafen, verschwiegene Frauen.“Bei der Produktion unserer alten Platten hatte ich jede Menge Muße. Später habe ich dann angefangen, mehr und mehr Dinge zu delegieren. Im übrigen: Wir haben ‚Walking Into Clarksdale‘ sehr wohl selbst produziert, im Team. Steve Albini hat uns schlicht geholfen. Als begnadeter Techniker weiß er einfach, wie man mit dem ganzen Equipment umgeht.“

So viel zur Form, kommen wir zu den Inhalten. Bekanntlich hatten die Zeppeline vor ihrem Jungfernflug intensiv Blues und Rock ’n‘ Roll studiert, ließen später Elemente nordafrikanischer, asiatischer und keltischer Musik in ihren Sound einfließen, versahen das Ganze mit einer schimmernden Metal-Legierung und wurden darob von manchen Kritikern als schamlose Kulturimperialisten gebrandmarkt, von den meisten aber als furchtlose Pioniere gefeiert, die Grenzen zwischen den Genres niederrissen. Derartige Diskussionen erscheinen heute, in Zeiten kontinentübergreifender Kooperationen, allgegenwärtigen Crossovers und hemmungslosen Sampiings, rührend gestrig. „Ganz recht“, pflichtet Robert bei, „es existieren keine Grenzen mehr. Was wir getan haben – mit Musikern in Nordafrika spielen, nach Pakistan weiterziehen und dort mit Leuten arbeiten, Klänge aus den verschiedensten Kulturen kombinieren-ist heute doch völlig normal. Nimm jemanden wie Talvin Singh, der so viele Stile verschmolzen hat, daß plötzlich alles möglich erschien. Nimm die ganze Dancemusic, die von exotischen Effekten lebt, oder nimm Ry Cooder, der auf seinen Alben Musiker aus Afrika oder Kuba zusammenbringt.“ Und woher bezieht ihr heute eure Inspirationen? „Genau von diesen Leuten“, sagt Robert, „vom Zuhören, vom Leben.“

Und von Reminiszenzen an die Vergangenheit, ist man versucht zu sagen, wenn man sich einige Titel aus dem neuen Album vergegenwärtigt. „When The World Was Young“ etwa oder „When I Was A Child“, die klingen, als hätte speziell Robert einen Punkt erreicht, an dem er eine Bilanz seines bisherigen Lebens ziehen müßte. Ist dem so? „Das nun nicht gerade. Ich lebe lieber in den Tag hinein und habe genug damit zu tun, mich mit der Gegenwart zu befassen. Andererseits liebe ich diese kindliche Naivität, die Art, wie sich ein Kind Dinge zurechtlegt, sich seine eigene Welt erschafft, wie es sich dem gewaltigen Geheimnis des Lebens nähert. Im Lauf der Zeit bleibt davon allerdings bei niemandem mehr viel übrig. Leider.“ Handelt davon vielleicht auch die leise Sehnsucht in „Blue Train“, einem Song, der klingt, als wäre Robert Plant in seiner langen Karriere noch nie näher am Blues gewesen? „Nun, ‚BlueTrain‘ ist zunächst einmal einfach eine Form der Beobachtung. Aber genau das ist es, worum es im Blues geht. Tieftraurig war ich bei der Aufnahme nun wirklich nicht.“ Sondern? „Ein Teil von mir wäre gerne wie all diese zufriedenen Erwachsenen in einer intakten Zweierbeziehung, mit allem, was so dazugehört. Das läßt mich ab und zu ein wenig wehmütig werden. Gleichzeitig jagt mir allein der bloße Gedanke, irgendwo seßhaft werden zu sollen, fürchterliche Angst ein.“ Robert Plant ist ernst geworden, knetet seine Hände, dann hellt sich seine Miene wieder auf: „Wenn’s nach mir geht, könnte der Blue Train ewig weiterrollen.“

Der Zug, in dem Robert Plant und Jimmy Page sitzen, hat den Bahnhof bereits vor langer, langer Zeit verlassen und drohte auf seiner endlosen Fahrt mehr als einmal zu entgleisen. Im Gegensatz zu vielen anderen haben sie es geschafft zu überleben. Steckt da ein Geheimnis dahinter? „Vielleicht die Tatsache, daß zwischen uns die Chemie stimmt“,schlägt Page vor.“Wir haben uns geweigert aufzugeben, haben an uns selbst sehr hohe Maßstäbe angelegt, die wir gemeinsam zu erfüllen versuchten. In den siebziger Jahren habe ich häufig gesagt, unsere Arbeit sei ein Rennen gegen die Zeit. Das trifft es immer noch, weil es so viel zu tun, so viel zu entdecken gibt.“ Sein Partner sieht das genauso:“Die Frage,’Okay, was machen wir als nächstes?‘, das ist es, was uns in Bewegung hält.“ Der einzige Grund weiterzumachen, sei die Suche nach einem Ziel, hatte Plant in einem Interview gesagt. Also immer noch nicht angekommen? „Ich weiß nicht, ob es ein solches Ziel überhaupt gibt. Bisher existieren für mich nur Zwischenstationen, an denen man kurz rastet, um Kreativität zu tanken, für einen kurzen Moment innezuhalten und dann weiterzuziehen – nach Marokko, in die Türkei, nach Indien, irgendwohin.“ Weiterziehen, weitersuchen. Aber immerhin haben sich hier zwei Musiker wiedergefunden, die jahrelang Stein und Bein schworen, eine wie auch immer geartete Reunion werde es nie geben. So erklärte Robert Plant 1988, „mit Jimmy live zu arbeiten, wäre so, wie seine Ex-Frau wiederzutreffen, mit ihr ins Bett zu gehen, aber nicht mit ihr zu schlafen“. Starker Tobak, fürwahr. Fünf Jahre später klang das schon eine Spur verbindlicher: „Ich würde mit Jimmy ein Projekt starten, aber nur, um neues Material zu schreiben und nicht, um olle Kamellen aufzuwärmen.“ 1994 schließlich – kurz vor der Veröffentlichung von „No Quarter“- ließ sich Robert folgendermaßen vernehmen: „So gern ich mich in meinem eigenen Glanz suhle, kann ich mir nicht vorstellen, ohne Jimmy zu arbeiten.“ Alles klar? Und heute? Aus Plants Sicht hat sich „der Kreis geschlossen. Aber die Dinge haben sich trotzdem sehr verändert.“

Inwiefern?“Wir wetteifern nicht mehr mit anderen Leuten. Für uns spielt es keine Rolle mehr, ob die Rolling Stones nun ein fantastisches Jahr hatten und wir nicht. Wir fühlen uns nicht mehr als Rock ’n‘ Roll-Band.“ Moment. Keine Rock ’n‘ Roll-Band? Was sonst? „Einfach eine Gruppe von Musikern, die drauflos spielen. Natürlich stammt einiges in unserer Musik von einer Rock ’n‘ Roll-Band. Nur spielen wir es nicht in einem Rock ’n‘ Roll-Stil.“ Über diesen Standpunkt ließe sich stundenlang trefflich streiten. Doch Robert bleibt dabei und ist auch sonst nicht zu bremsen: „Wir versuchen nicht mehr, auf die Titelseiten der Musikmagazine zu kommen,obwohl die Plattenfirma das natürlich gerne sehen würde.“ Und was sagt Jimmy Page, der immerhin mit so illustren Sängern wie Paul Rodgers oder dem von Plant mehr als nur milde belächelten David Coverdale zusammengearbeitet hat, zu der neuen alten Partnerschaft? Jeder von uns besitzt die Gabe, auf die Ideen des anderen sofort reagieren zu können. Die Zusammenarbeit mit Coverdale, Rodgers und all den anderen hat Spaß gemacht, aber es war nie so wie mit Robert. Der Funke sprang nicht über.“ Typisch Page: der Funke, die Magie, die „Vibrations“. Dem Gitarristen wird seit den frühen Tagen die Aura eines spirituellen Menschen angehängt. Stimmen Image und Realität überein? „Auf jeden Fall. Ich war zuletzt häufiger in Brasilien, im Inneren der Bahia. Angesichts der unbeschreiblichen Schönheit der Natur kannst du dich nur noch in stiller Demut verbeugen. Durch die Natur habe ich einige zutiefst spirituelle Erfahrungen gemacht.“ Erfahrungen, die den Begriff „Erfolg“ in einem anderen Licht erscheinen lassen als früher? Doch Page scheint schon wieder weit weg, irgendwo in der Bahia vielleicht. Statt dessen antwortet – ganz im Hier und Jetzt – Robert Plant: „Erfolg bedeutet in erster Linie, das tun zu können, was man tun will.“

Spricht’s, lächelt – und verläßt den Raum. Kommen wir zum Schluß: Jimmy Page hat ja bekanntlich das vor ein paar Monaten erschienene „BBC Sessions“-Album mit Led Zeppelin-Aufnahmen aus den Jahren 1969/71 produziert und fast zur gleichen Zeit an der neuen Platte gearbeitet. War es schwierig, die Balance zwischen Vergangenheit und Gegenwart zu halten? „Nein, gar nicht. Ich war ja mit dem Material vertraut, weil es ein Teil von mir ist.“ Und warum dann die strikte Weigerung, über Led Zeppelin zu sprechen? „Das gilt bestimmt nicht für mich. Ich bin ungeheuer stolz auf meinen Beitrag zu dieser großartigen Gruppe. Es war eine wunderbare Zeit.“ Aber auch eine Zeit mit einigen Problemen: Das legendäre vierte Album erschien 1971 ohne Titel und ohne den Bandnamen auf dem Cover, angeblich aus Ärger über das Verhalten der Medien. Wenn es die Möglichkeit gäbe, der Platte nachträglich einen Namen zu geben, wie würde sie heißen? „Einfach Album vier.“ Nur „Album vier“? Geistreich klingt das aber nicht. „Warum auch? Auf der Hülle waren vier Symbole, für jedes Mitglied von Led Zeppelin eines. ‚Album vier‘. Das sagt doch alles.“ In der Tat: Alles ist gesagt. Im Büro nebenan klingelt aufgeregt ein Handy. Leslie, Mädchen für alles im Dienst der beiden Stars, hat zwei Limousinen bestellt. Plant muß zum Arzt und verabschiedet sich mit einem leutseligen Winken. Wie sagte Robert vorhin? „Wir tun einfach das, wir wir können. Oder besser: das, was uns zu einem bestimmten Zeitpunkt möglich ist. Wir sind alles in einem, Rabauken, Gentlemen und Schwindler. Und am Ende machen wir uns aus dem Staub.“