The Sound Of Filmmusik


Die "rockende Berlinale" war letztes Jahr, aber auch 2009 gab es bei den Berliner Filmfestspielen wieder einiges zu hören. Zehn Songs in mal mehr, mal weniger preisverdächtigen Nebenrollen auf der 59. Berlinale.

1. Julie Andrews „Do Re Mi“

The Sound Of Music Regie: Robert Wise Der erste Berlinale-Tag hat Folgen für die ganze Festival-Woche. Abends der erste Film der Retrospektive, die sich dieses Jahr im opulenten 70-Millimeter-FormatgedrehtenPrachtproduktionen vor allem aus den 50erund 60er-Jahren widmet. Später werden uns in dieser Reihe noch die gewaltigen Filmmusiken von Monumenten wie „Ben Hur“, „Lawrence von Arabien“ und „2001“ erbeben lassen. Aber den unfassbar hartnäckigen Ohrwurm setzt Robert Wises großartig kitschige Verfilmung (1965) des Rodgers-&-Hammerstein-Musicals über die Trapp-Famihe. Julie Andrews als so lebens- wie sangesfrohes Kindermädchen Maria bringt den Trapp-Kindern – denen ihr Witwer-Vater das Musizieren untersagt hat — die Grundzüge des Singens bei. Mit Hilfe eines Show-Tunes, das die unschuldige Catchyness eines Kinderliedes mit der Dynamik und Schmissigkeit abgefeimter Broadway-Arrangements vereint und vom Großhirn zum persönlichen „Theme From Berlinale 2009“ erklärt wird. Es gibt kein Entkommen.

2. Cat Power „The Greatest“

Ricky Regie: Francois Ozon (Vorsicht! Spoilerwarnung!) Am Ende von Francois Ozons („Swimming Pool“) warmherzigem Sozialdrama, das sich auf halber Strecke zu einem warmherzigen Sozialdrama mit einem ausgesprochen bizarren allegorischen Fantasy-Element (drei Worte: Baby. Mit. Flügeln.) gewandelt hat, kehrt Alexandra Lamv als Katie, um deren Selbstwertgefühl und Versagensängste als Frau und Mutter sich der Film im Kern dreht, zu Mann und Tochter zurück. Baby Ricky ist weggeflogen (don’t ask), und Kaue scheint endlich ihren inneren Frieden gefunden zu haben. Sie nimmt ihre Lieben in den Arm, und aus dem Off des bislang nur von unscheinbarem Score unterlegten Films ertönt das samtene Pianointro und Chan Marshalls Stimme:

„Once I wanted to be the greatest…“ Ein- rätselhaftes- Happy End, das kommt, als man sich schon darauf eingestellt hat, dass einem der Regisseur das Herz brechen wird.

3. Smog „Palimpsest“

Sturm Regie: Hans-Christian Schmid Seltsam platzierter, kurioser Musikrate-Momcnt in HansChristian Schmids („23“, „Requiem“) Polit-Drama/Thriller. Kerry Fox als Ermittlenn am Kriegsverbrechertribunal in Den Haag durchsucht die Sachen eines Zeugen, der sich gerade das Leben genommen hat. Findet einen iPod -und bei aller Dramatik der Situation ertappt sich der musikaffine Zuschauer bei dem Gedanken: Was der wohl so hört(e)? Tatsächlich fragt sich das wohl auch Fox, steckt sich den Hörer ins Ohr, und für zweieinhalb Sekunden – länger hält das Interesse der Beamtin nicht vor, schon zieht sie den Stöpsel wieder raus hört man leise eine brummelige Stimme zu spartanischer Instrumentierung. Die folgende knappe Minute des Films verpasst man, weil es im Kopf rattert: Was war das? Lambchop? Nein, Moment… Smog! Hören Mittdreißiger aus der serbischen Provinz Smog? Vielleicht. Auf jeden Fall der homöopathischste — und irgendwie egalste -Filmsongeinsatz seit Längerem.

4. Buddy Guy – ein Blues In The Electric Mist Regie: Bertrand Tavernier Im zweiten Jahr in Folge Blues-Legende Buddy Guy im Wettbewerbsprogramm der Berlinale. Letztes Jahr zeigte der mittlerweile 72-Jährige als Gaststar der Rolhng Stones in „Shtne A Light“, was passiert, wenn man ihn mit seiner Stratocaster zu einer Rythm’n’Blues-Band auf die Bühne lässt: Dann klaut er die Show. Dieses Jahr nun Guys, äh, „Schauspiel“-Debüt in dem bis zur Unerträglichkeit verquasten, – wir lernen nachher: der Regisseur „spielt mit Film-Noirismen“; na herzlichen Dank auch — Südstaaten-Thriller des Franzosen Bertrand Tavernier. Zu dessen unerträglicher Verquastheit Guv sein Schärflein beiträgt, wie er da als geheimnisvoller Alter neben Ermittler Tommy Lee Jones auf der Veranda sitzt und erst mal klischeegemäß einen namenlosen Bluessong kiampft, bevor er mit einer Leinwandpräsenz, die an die Laiendarsteller in Helge-Schneider-Filmen denken lässt, Rätselhaftigkeiten von sich gibt, zu denen Jones bedächtig nickt. Uff. Noch ein Rock-Veteran in einer Nebenrolle: The-Band-Drummer Levon Helm, 68, nur unwesentlich agiler als Guy, als Südstaatengeneral, der Tommy Lee Jones in Visionen erscheint (wiederum: don’t ask…).

5. The Doors „People Are Strange“

When YoiTre Strange Regie: Tom DiCillo Der Ex-Kameramann (u.a. bei Jim Jarmusch) und Regisseur (anschauen: seine Film-im- Film-Groteske „Living In Oblivion“ von 1995) Tom DiCillo hat eine Doku über Jim Morrison und The Doors gemacht, die weniger mit neuen Wahrheiten aufwartet, sondern ihren Reiz vor allem daraus bezieht, dass sie aus so viel nie zuvor gesehenem, erstaunlichem und geschickt montiertem Originalmaterial besteht, dass der Filmemacher es für angezeigt hielt, dem Film die Versicherung voranzuschicken, dieser zeige keine nachgestellten Szenen und Schauspieler. Beim anschließenden Q&A ist Doors-Drummer John Densmorc da, der rumkaspert und die Publikumsfrage, wie er sich heute mit Ray Manzarek und Robbie Krieger verstehe, zunächst mit einem vielsagenden Grienen beantwortet. “ Tbat’s a loaded question.“ Aber es geht wohl mittlerweile wieder einigermaßen.

6. Herbert Grönemeyer „Ich hab dich lieb (live)“

Alle anderen Regie: Märten Ade Das junge Paar Chris (angehender Architekt mit Selbstwertproblem) und Gitti (Promoterin bei Universal Music und eher der modern-unkonventionelle Typ) ist im Urlaub. Und während sie sich – offenbar erstmals so intensiv allein – ausloten und kennenlernen und erste kleine Spannungen auftreten, betritt als subtiler Störfaktor und Prüfstein für die Beziehung das nachgerade obszön erfolgreiche und glückliche Musterpärchen Hans und SanadieSzene. Im Ferienhaus von Chris‘ Eltern sind sie auf deren Musikgeschmack zurückgeworfen, und als beim Besuch am Abend das Cassettendeck eingeschaltet wird, läuft zufällig dieses Lied von Grönemeyers Live-Album (im Original auf ZWO, 1981). Wie die schon leicht angetrunkenen Paare untereinander agieren, während dröhnend diese offenherzige Extremschnulze läuft, das sagt auf großartig subtile Art mehr über die Figuren, als es 20 Drehbuchseiten könnten.

7. Opus „Live Is Life“

Der Knochenmann Regie: Wolfgang Murnberger Beim Löschenkohl-Wirt ist Faschingsball. Und während unten im Keller, wo die Knochenmehlmaschine steht, die Verwicklungen, die sich über anderthalb Filmstunden angestaut haben, ihrer makaber-nervenzerrenden Entladung zustreben, tobt oben der Saal, und die Stimmungsbandschmettertden österreichischen Welthit „Live Is Life“. Na-naa-nanana! Bei der Pressekonferenz zum Film erkundigt sich danach ein Journalist nach dem Wohlbefinden von Schauspielern und Crew, die doch sicher bei der Arbeit an der länglichen Szene immer und immer wieder das elende Lied hätten hören müssen. Von den Hauptdarstellern Josef Hader und Birgit Minichmayr kommen keine Klagen. Von Minichmayr hätte man auch keine erwartet: Die hat schließlich auf der aktuellen Hosen-Platte mitgesungen, kann also offenbar was wegstecken.

8. Willie Nelson „Home On The Range“

The Messenger Regie: Oren Moverman Zwei US-Soldaten — Irak-Heimkehrer Will (Ben Forster) und sein Vorgesetzter Tony (Woody Harrelson) – fahren durchs amerikanische Hinterland: Sie müssen die Angehörigen gefallener Soldaten benachrichtigen. Der psychisch aufreibende Job schmirgelt auf den ohnehin wunden Seelen der beiden so verschiedenen harten Männer, die nach und nach ihre weichen Kerne offenbaren. Irgendwann gibt Will dem Werben des einsamen Tony um Kumpelei nach, und sie gehen auf einen Wochenend-Trip, der eigentlich ziemlich schiefgeht, die beiden einander aber näher bringt. Auf der verkaterten Heimfahrt – nachdem sie noch in eine Schlägerei geraten sind – fängt Tony an, das alte Cowboy-Heile-Welt-Lied „Home On The Range“ vor sich hin zu singen, nach einer Weile setzt der andere ein. Eine unkitschige, berührende Szene, der Beginn einer Freundschaft. Male bonding vom Feinsten. Später im Abspann singt dann Willie Nelson das Lied noch

9.The Band „The Weight“

It Might Get Loud Regie: Davis Guggenheim Der Filmemacher Guggenheim porträtiert drei, nun: Titanen der elektrischen Gitarre. Jack White, The Edge und der leibhaftige Jimmy Page werden in ihren heimischen Habitaten aufgesucht, zeigen ein paar historische Locations her (wollten Sie immer mal das Treppenhaus sehen, in dem damals John Bonhams Schlagzeug für „When The Levee Breaks“ stand? Oder den ersten Proberaum von U2?) und erzählen von sich, von früher und von ihrer Kunst, wobei der trockenhumorige Edge am amüsantesten rüberkommt. Herzstück des Films ist eine Art Kamingespräch der drei, das im Januar 2008 stattfand. Sie beschnuppern sich, tauschen ihre recht gegensätzlichen Gitarristen-Philosophien aus (White:

„Pick afigbt with theguitarand win it“; Page: „I caress it like a woman“) und schubsen sich gegenseitig Riffs zu wie beim Gitarrenworkshop auf dem, äh, Rockolymp. Am Ende soll es eine gemeinsame Version von „The Weight“ sein, und White regt dreistimmigen Gesang an. Da windet sich Großmeister Page wie der Onkel, der bei der Hochzeit der Nichte ans Karaokemikro gezerrt werden soll: „] can’t sing“, wehrt er ab. Und ist auch nicht mehr zu erweichen. Der will nur spielen.

10. Einstürzende Neubauten „Zerstörte Zelle“

Von wegen Regie: Uli Schüppel Musikalisches Wechselbad: Auf dem Klo des „Colosseum“-Kinos tüdelt das „ALF“-Theme. Drüben im Saal: Avantgarde-Industrial-Noise. Am 21. Dezember 1989, die Mauer war durchlässiger geworden, fuhren die Einstürzenden Neubauten von West- nach Ostberlin, um in der Aula des VEB Elektrokohle ihr erstes DDR-Konzert zu spielen, wo sie – bislang nur aus der Ferne- halbgöttisch verehrt wurden. Filmemacher Uli Schüppel hüpfte damals mit der VHS-Kamera mit ins Auto und dokumentierte den kuriosen Tagesausflug, 20 Jahre später suchte er mit Konzertgängern von damals die alten Stätten noch mal auf. Durchaus kein Konzertfilm, sondern ein Film über das Ende der DDR und dessen Folgen. Großartig anzusehen: Bhxa Bargeld in seiner ganzen krähenhaften Herrlichkeit. “ Zerstörte Zelle!“, dröhnt er. Und kaum hat man das Kino verlassen, singt wieder Julie Andrews im Hinterkopf.

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