Patti Smith: Eine ganz normale Hausfrau


Mit der Single "People Have The Power" meldet sich eine Frau zurück, an der sich Mitte der 7Oer Jahre die Geister schieden: "Dilettantin" knurrten die einen, "Naturtalent" Jubelten die anderen. Daß sich gerade der New Yorker Paradiesvogel zurückzog, um das kleine Glück mit Mann und Kindern zu finden, schien Ironie des Schicksals zu sein. ME/Sounds-Mitarbeiter Rad Jacobson erzählte sie, warum die Entscheidung völlig logisch war.

Der 10. September 1979 war ein ungewöhnlich warmer Tag in Florenz. In der Nacht, beim Abschlußkonzert ihrer erfolgreichsten Tournee, lag die Luft drückend und schwül über der Stadt. Kurz vor 23 Uhr. nach einem zweistündigen Konzert vor 40.000 Zuschauern, verließ Patti Smith die Bühne. Für immer, wie es hieß. Auf dem Höhepunkt ihrer Popularität, kurz nach der Hitsingle „Because The Night“, entschloß sie sich, das Rampenlicht zu verlassen.

Neun Jahre später, kurz vor Auslieferung ihrer neuen LP DREAM OF LIFE, sitzt Patti Smith mir im Wohnzimmer ihres bescheidenen Hauses in Detroit gegenüber. Smith, inzwischen Mutter zweier Kinder und Frau von Fred „Sonic“ Smith (früher Gitarrist der legendären MC5), versucht sich mit ihren Gedanken in jene Jahre zurückzuversetzen, versucht zu artikulieren, warum sie sich aus der Öffentlichkeit zurückzog: „Die Tretmühle des Aufnehmens und Tourens begann mich aufzureiben, körperlich wie geistig. Die ursprünglichen Träume und Visionen wurden durch die physischen Anstrengungen und den technischen Aufwand verwässert. Erst macht man eine Platte, dann kommt die Tour, um sie zu promoten.

Um an den Erfolg der ersten Platte nahtlos anzuknüpfen, geht’s dann gleich wieder ins Studio, und wieder auf Tour und so weiter.

Wenn man über einen längeren Zeitraum in dieser Tretmühle steckt, wird man zwangsläufig isoliert und verliert seine Perspektiven. Es ist ein falsches Leben, weil dir alles aus der Hand genommen wird: Jemand weckt dich morgens auf ein anderer achtet darauf, daß du den Terminplan einhältst, ein Dritter fährt dich, besorgt dir Essen und kümmert sich um deine Wäsche. Es dauert nicht lange, und du hast den Kontakt zur Realität verloren.

Der entscheidende Grund aber war der, daß ich verliebt war. Ich wollte mich ganz auf diese Beziehung konzentrieren, aber die Tour-Verträge machten das unmöglich. Ich war frustriert. Ich habe immer das Hochgefühl eines Auftrittes geliebt, aber plötzlich fühlte ich mich leer. Auf der Bühne war es nur noch eine körperliche Routine, während ich mit dem Kopf in Detroit bei Fred war. Gefühle vorzutäuschen aber ist für einen Künstler Gift.

Irgendwann kam dann die Erkenntnis, daß ich mich aus diesem Teufelskreis herausziehen mußte, um wieder die Prioritäten neu zu ordnen.“

Nach ihrem letzten Konzert in Florenz zog Patti von New York nach Detroit und heiratete Fred im März 1980. Vier Jahre zuvor hatten sie sich kennengelernt — in einer Frittenbude, wo ihre Plattenfirma eine „press reeeption“ für Patti veranstaltet hatte; Fred war einer der Gäste.

Es funkte auf der Stelle. Ihrem alten Freud und Mentor William Burroughs vertraute Patti später an. daß Fred die Person in ihrem Leben sei. „auf die ich gewartet habe, seit ich ein kleines Mädchen war.“

Ich habe gelernt, eine gute Mutter und Frau zu sein und ein engagierter Bürger, wo früher Schwächen waren, sind heute Stärken.“

„Daß ich mich wegen ihm von der Musik zurückgezogen habe, ist aber völliger Blödsinn. Im Gegenteil. Während der letzten Jahre habe ich mehr Musik gemacht denn je zuvor. Fred hat mir so viele Dinge beigebracht, er war dafür verantwortlich, daß ich die Klarinette in die Hand nahm, er ist der Grund, daß ich heute besser singe als je.

An diesem Album haben wir jahrelang hart gearbeitet. ‚People Have The Power‘ nahmen wir auf, als ich noch schwanger war. Weißt du, was es für ein Gefühl ist, einen Song aufzunehmen, wenn einem in der Schwangerschaft speiübel ist?! Trotzdem, es war gut. wieder im Studio zu sein. Mit der neuen Technologie kann ich zwar nicht viel anfangen, da kümmert sich Fred darum. Er hat DREAM OF LIFE auch mit Jimmy Iovine coproduziert.“

Sie trinkt einen Schluck Ginger Ale, während Sohn Jackson auf dem Fußboden mit einem Roboter spielt.

„Ich verstehe meine neunjährige Abwesenheit als einen Reinigungsprozeß. Ich habe neue Erfahrungen gemacht und meinen Horizont erweitert. Neben der Platte habe ich meinen ersten Roman geschrieben und ein paar Kurzgeschichten. Ich habe gelernt, eine gute Mutter und Frau zu sein und ein engagierter Bürger. Wo früher Schwächen in meinem Leben waren, fühle ich heute Stärken. „

Es ist inzwischen später Nachmittag. Sonnenstrahlen fallen durch das Fenster und prallen vom Steinboden ab. „Ich liebe die Sonne“, sagt Patti. „Sonne gibt mir Stärke. Meine liebste Tageszeit ist der frühe Morgen. Ich sitze dann hier an meinem kleinen Schreibtisch, lasse mich bescheinen und fange an zu schreiben.

Es ist komisch: Früher mußte ich mein Gehirn stimulieren, mußte die ganze Nacht aufbleiben und meine Gedanken in einem fremden Kosmos kreisen lassen. Heute geht es viel einfacher. Ich schreibe einfach. Ich schreibe, selbst wenn ich mich um Kinder oder Haushalt kümmern muß.“

Patti bereitet das Abendessen vor. Wir sprechen über die Hobbys ihrer Familie. „Fred spielt Golf ziemlich gut sogar. Er hat einen Pilotenschein und ist auch ein exzellenter Fahrer. Wir lieben es, in das Auto zu klettern, irgendwo hinzufahren und in kleinen Motels zu übernachten.

Ansonsten sind wir zuhause mit den Kindern und schauen Videos. Kurosawas ‚Ran‘ liebe ich über alles, Woody Allens Filme inzwischen auch. Samstags gehört der Fernseher meinem Mann und dem Sport.

Zu den Frauen, die stundenlang vor dem Spiegel sitzen, gehöre ich sicher nicht. Mit Make-up hatte ich nie was am Hut. Früher benutzte ich gelegentlich Henna für mein Haar, inzwischen weiß ich, daß es Soja-Soße auch tut.

Vor dem Alterwerden habe ich keine Angst, ich freue mich sogar darauf. Wer weiß, vielleicht kann ich in 25 oder 30 Jahren einmal Mutter Teresa in einem Film spielen. Was für eine Frau! Sie trägt so viel auf ihren Schultern — und scheint nicht zu wanken. Die Verantwortung ist es, die ihr Stärke gibt.

‚People Have The Power‘, unsere neue Single, handelt von Verantwortung, handelt davon, daß die Menschen die Verantwortung für ihr Leben in die eigene Hand nehmen müssen und sich nicht auf Regierungen verlassen. In dem gesamten Album, glaube ich, schlägt sich die Liebe nieder, die Fred und ich für uns und unsere Kinder empfinden — und die Verantwortung für diesen Planeten.

Natürlich sind wir stolz darauf gemeinsam eine gute Platte gemacht zu haben. Aber wir sind völlig zufrieden, wenn man uns nur als ,Mutti und Vati der Smith-Kinder‘ kennt.“