Peter Hein zur Lage der Nation


Deutsche Fähnchen im Sommer, Hartz4 das ganze Jahr: Für Punk- Urgesteine dürfte das nach mittelschwerer Katastrophe klingen. Doch der Sänger der Fehlfarben sieht all das erstaunlich gelassen. Und lebt die meiste Zeit in Österreich.

Peter, es gab da letztens dieses Interuieui mit Jochen Distelmeyer, in dem er Sänke Wortmann zur Spezies der „Westentaschen-Leni-Riefenstahls“ zählte und das Wedeln mit Deutschland-Fahnen während der Fußball-WM scharf verurteilte. Denkst du, er sieht das zu eng und wie hast du die WM 2006 erlebt?

PETER HEIN: Wenn überhaupt, dann: Camcorder-Riefenstahl. Also in den Kneipen, in denen ich war, haben sich Südafrikaner, Skandinavier und Franzosen die Spiele angeguckt – das fand ich super. Aber als die Deutschen dann diesen ersten Korso nachgemacht haben, das war scheiße. Den letzten Teil der WM habe ich ja eh in Wien verbracht, und nach dem Achtelfinale waren auch nur noch die Arschlöcher übrig, die immer übrig bleiben. Ich habe natürlich gegen die deutsche Mannschaft gehalten, das mache ich immer. Zum Fahnenschwenken: Natürlich geht das. Die Hälfte der Leute mit den Fahnen konnte ja kaum Deutsch, die leben halt hier und konnten ihrem von zu Hause gewohnten Fahnenschwenken mal freien Lauf lassen. Ich fand es auch in Ordnung, wie man sich mit diesen Winkelementen an den Autos lächerlich gemacht hat. Die Identifikation mit der BRD ist ja eigentlich das Gegenteil von Nazitum. Zumindest war es zu unserer Zeit so, als es noch einen bösen und einen guten Staat gab.

Wie hat sich denn deine persönliche und die gesamtdeutsche Lage seit der Veröffentlichung von „Knietief im Dispo“ uerändert?

(lacht) In einem Zeitraum von nur zwei Jahren ist es mir gelungen, von der Stufe „Knietief im Dispo“ die Stufe „Bis zum Hals in der Scheiße“ zu erreichen. Die Platte hat anscheinend nicht genug verkauft, sonst wäre unser altes Label begeisterter gewesen und hätte mit uns weitergemacht. Ich bin sozusagen Sub-Hartz-4, denn Hartz 4 könnte ich ja nur abgreifen, wenn ich regelmäßig in Deutschland wäre. Ich bin zwar noch hier gemeldet, beziehe aber keine Leistungen. Ich gehöre zum Subprekariatund lebe von Almosen, nebenbei mache ich ein bisschen Tagelöhnerei. Ich habe 27 Jahre lang in die Kasse eingezahlt. Aber man weiß ja: Wenn man viel einzahlt, holt man nicht automatisch auch viel raus. Naja, im Land hat sich eigentlich nichts geändert, außer dass Koalition und Kanzler gewechselt haben. Das geht halt immer so weiter. Ich kenne niemanden, der das Ruder rumreißen könnte.

Siehst du in bestimmten Cesellschaftsschichten die Gefahr einer kollektiven Sehnsucht nach einem Führer oder Verführer?

Es ist gefährlich, darauf zu antworten, weil man so viel Falsches sagen kann, obwohl man das Richtige meint. Ich könnte sagen, was ich denke: Nämlich dass die Sache im Prinzip aufgebauscht ist und sich die rechten Parteien immer dann, wenn mal irgendwas zu melden war, durch völlige Inkompetenz und Lächerlichkeit ins Abseits gestellt haben. Dann gehe ich mal davon aus, dass das auch so weitergeht. So richtige Machtergreifer findet man ja selbst in Bananenrepubliken kaum noch. Die haben ja auch alle inzwischen eine mehr oder weniger geläuterte Umgebung und führen das alles heimlicher auf. Selbst für Putin ist es ja nur Pech, wenn rauskommt, dass er jemand umbringen lässt. Nein, also, viel schlimmer ist doch, dass mittlerweile jede Putzfrauenstelle übers Fernsehen gecastet wird. Das ist viel bedenklicher. Wenn die „Bild“-Zeitung sich mal wieder über irgendwas aufregt, dann weiß ich: Aha, das muss wohl irgendwas gewesen sein, was ich mal wieder nicht gesehen habe. Ich habe jahrelang sowieso keinen Fernseher gehabt und jetzt in Österreich gucke ich mir das auch nicht an.

Wo ich dich vorhin in der „Bild habe lesen sehen: Findest du es wichtig, neben anderen Zeitungen auch malin die „Bild“ reinzuschauen?

Ja, finde ich. Wobei, wenn ich in Düsseldorf bin, brauche ich morgens erstmal den „Express“. Da steht alles drin, da kann man die Welt erklären (grinst). Aber wenn man auf Tour ist, zudem im Süden, dann ist man ja auf Entzug, weil es den „Express“ nicht gibt. Ich sag’s mal so: Den „Express“ kannst du ungefähr in 20 Minuten lesen, für die „Bild“ brauchst du 5 bis 10 Minuten, und die Zeit nehme ich mir dann eben.

Wird man da nicht schon bei „Post uon Wagner bekloppt?

Ja, genau. „Post von Wagner fand ich früher nur blöd. Aber seitdem mir mal jemand plausibel gemacht hat, dass der wirklich „amtlich durchgeknallt“ ist, bleibe ich daran hängen. Und dann habe ich mal dieses Porträt über Franz Josef Wagner im Fernsehen mitbekommen, und das war der Hammer! Für diese fünf Zeilen oder was, für diese briefmarkengroße Kolumne hat der ein riesengroßes Büro, einen Dienstwagen und was weiß ich noch alles. Wahnsinn. Die „Bild“ hat den irgendwo abgeworben, der war doch vorher Chefredakteur bei Ich-weiß-nicht-was. (Anm. d. Verf.:

erst bei „Bunte“, später bei der „B.Z.“). Also ab und zu schreibt der auch was Wahres, und ich lese das mit Belustigung. Gestern war es blöd, heute war es ok. Das Frauenbild, was der hat, ist natürlich furchtbar.

Wenn ich die Fehlfarben höre, stelle ich mir manchmal die Frage: Wer oder was ist eigentlich heutzutage noch Punk? Du? Pete Doherty? Campino?

Also Pete Doherty ganz bestimmt nicht, der ist eher Sid Vicious. Und das ist nicht Punk, sondern (überlegt) … Depp. Für mich war immer J oe Strammer Punk. Und die Ramones. The Clash habe ich mir damals angeguckt, so oft es ging. Auf den Ramones-Konzerten waren mir zu viele Exploited- und G.B.H-Fans, das war mir zu stressig. Heute denke ich nicht mehr darüber nach, was Punk ist. Ich selbst war ja sowieso nie ein Bilderbuch-Punk. Aber die Einstellung, dass man gewisse Sachen gut findet, andere ablehnt und auch dabei bleibt, die habe ich mir bewahrt. Wird dann sicher irgendwann in Altersstarrsinn umschlagen. (Der Promoter reicht Peter Hein eine Brötchentüte.) Mensch, da ist ja gar nichts von dem drin, was ich bestellt habe. Kein Ei, kein Sandwich, nur so’n Körner-Kack. Wenigstens ist das Tier tot, was da auf dem Brötchen ist.

Interessierst du dich eigentlich für aktuelle Platten ? Für dich als The-Clash-Fan sollte doch in den letzten Jahren genügend dabei gewesen sein.

Nein. Das lasse ich eigentlich alles an mir vorbeirieseln. Ich nehme das zwar wahr, wenn es in der Kneipe läuft, aber ich will dann nicht gleich wissen, wer das ist. Ich würde niemals eine Platte kaufen, die mir jemand empfiehlt! Es reicht schon, wenn ich nicht schreiend weglaufen muss, wenn die Musik läuft. Die ganzen Bands der letzten fünf Jahre, die mit den kurzen Namen, die hören sich alle an wie Gang Of Four, Orange Juice oder Josef K. Oder halt wie die Byrds, so Americana-mäßig. Oder wie in den Sixties. Ich habe eh noch 5000 Platten im Keller stehen, und ich will das neue Zeug nicht auch noch zu Hause haben.

Der Plattenmarkt ist völlig überlaufen, und ihr seid nicht gerade total angesagt. Mit welchen Erwartungen bringt ihr eigentlich euer neues Album „Handbuch für die Welt“ raus?

Realistisch gesehen kannst du gar nix erwarten. Höchstens, dass du nicht noch mehr draufzahlen musst als sowieso schon. Aber irgendjemand bei unserem neuen Label muss ja was erwarten, sonst würden sie das Produktnichtrausbringen. Manchmal denke ich: Ach komm, lass uns das Stück doch einfach freischalten zum Download. Nicht 14 oder 15 Stücke machen, sich den Stress sparen und einfach bei Stück Nummer 3 schon alles weggeben. Aber dann würde man irgendwann zu den Leuten gehören, die dieser Pseudo-Web-Souveränität huldigen und glauben, das wäre irgendwas Wichtiges. Das ist im Prinzip nur Scheiße, da gehst du einmal mit nem Magnet vorbei, und dann haben sie ihre Musik mal gehabt. Ich stelle mir immer vor, wie die jetzt 30-Jährigen in zwanzig Jahren auf dem Flohmarkt stehen und da ihre Chips verhökern (verstellt die Stimme): „Ey, hallo, 30 Gigabite.ey voll I crass, mussu hören!“Das ganze DownloadingProblem ist doch auch Humbug, weil eh nur Scheiße downgeloadet wird. Die paar Leute, die unsere Platte downloaden, würden sie eh nicht kaufen. Was soll das also? »>

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