Placebo Discographie


Placebo (1996)

Ungeschliffen und stürmisch segelte das Trio frontal gegen den harmonieseligen Zeitgeist. Und während die Jungs von Oasis eine dezidierte Jungsmusik machten, waren Placebo … zweideutiger. Wie bei Zweideutigkeiten üblich, dauerte es seine Zeit, bis der Druckrock mit der indifferenten Stimme über eine eingeschworene Gruppe von frühen Fans hinaus begriffen wurde. „Come Home“, „36 Degrees“, „Teenage Angst“ und schießlich „Bruise Pristine“ wurden über das Jahr hinweg ausgekoppelt. Obwohl es die Titel nie nennenswert in die Charts schafften, blieb doch etwas hängen. Ein unverwechselbarer Sound, der es in seiner ganzen maskulinen Härte mit einer femininen Stimme zu tun bekommt – die offenbar einem Mann gehört, der wiederum von Sex mit Transvestiten schwärmt: „Does his makeup in his room / Douse himself in cheop perfume/Eyehotes in a paper bog/ Greatest tay I ever had“, singt Brian Molko in „Bruise Pristine“, das schlüpfrige Rätsel in einem ungestümen Wirbel aus Glam, Punk, Pop und Rock. Mit ihrem Debüt hinterließen Placebo vielleicht kein Meisterwerk, aber bleibenden Eindruck.

Without You I’m Nothing (1998)

War ihr Debüt noch ein schlichtes, aberwirkungsvolles Glas Wodka auf Eis. so schmeckten Placebo zwei Jahre später nach reifem, schweren Rotwein aus einem bauchigen Glas – wesentlich wirkungsvoller und mindestens so berauschend wie PLACEBO, abzüglich des Katers. Denn WITHOUT you im nothing erwies sich als Album, mit dem man es bequem monatelang aushalten und worauf man immer noch etwas Neues entdecken konnte. Dabei war schon die erste Single ein so poppig-vertracktes Biest, dass sie sich wochenlang in den Charts hielt. Nicht zuletzt deswegen, weil“.Pure Morning sublim das ganze inhaltliche Programm der Platte beinhaltete. Und wer über Freundschaft, Liebe und Eifersucht räsonieren will, der braucht auch das musikalische Vokabular dafür. Stücke wie „Brick Shithouse“ knallten wie ehedem, aber plötzlich gab es da auch Zwischentöne, leise Töne, irritierende Töne – und immer wieder Melodien, die sich einfach nicht verbauchen wollten: „You Don’t Care About Us“ und „Every You, Every Me“ bereiteten den Weg für die vierte und letzte Auskopplung, das divenhafte Titelstück in all seiner melancholischen Majestät. „Whitout You Im Nothing“, ein Leckerbissen für an Radioheads Hymnensammlung OK COMPUTER geschulte Ohren, war der endgültige Durchbruch. Wer die Platte mit den Zwillingen auf dem Cover nicht in seinerSammlung hat, kann die 90er Jahrenicht erlebt haben – oder ist bestohlen worden.

Black Market Music (2000)

So einhellig die Zustimmung vorher war, so sehr gingen die Meinungen zum verflixten dritten Album auseinander. Zwar blieb das Trio bei seinem Leisten, fächerte den Rock aber stilistisch auf. In „Spite And Malice“ durfte der Rapper Justin Warfield ein wenig „street credibility“ anklingen lassen, Molko selbst versuchte sich an halbherzigen Polit-Songs „Blue American“, und die Single klang, als sei sie von einer Werbeagentur für die Marke Placebo entworfen worden: „Taste In Men“, das alte Lied. Nein, der Trumpf ihrer androgynen Zweideutigkeit war ausgespielt, alle hatten den Witz verstanden, das Glam-Revival war verpufft, ein neues Jahrtausend stand vor der Tür – und entsprechend paranoid und tendenziell ziellos klang das Ergebnis. Schwarzmarktmusik? Nicht wirklich. Gegner schmähten das Trio als berechnend und ausgebrannt. Freunden allerdings ist die heterogene Songsammlung von „Haemoglobin“ bis zur obligatorischen Sexballade „Peeping Tom“ mit der Zeit ans Herz gewachsen. Nicht zuletzt deshalb, weil das Trio live wie ein unermüdliches Kraftwerk mühelos alle Zweifel zerstreute, die ein heterogenes Album wie BLACK MARKET MUSIC aufwarf.

Sleeping with Ghosts (2003)

Drei Jahre gingen ms Land und über die Bühnen der Welt, bis die drei Musiker sich wieder in einem Londoner Studio an die Arbeit machten. Es muss eine wilde, befreiende Jam-Session gewesen sein, wie die rotzige Skizze „Bulletproof Cupid“ gleich zu Beginn von sleeping with GHOSTS vermuten lässt. Dabei hatten Molko, Olsdal und Hewitt erstmals ihre Praxis geändert und waren mit jeweils eigenen Ideen angetreten, denen nun nur noch ein einheitlicher Guss verpasst werden musste. Dass sie dafür eigens Jim Abiss (Björk, U.N.C.L.E.) engagierten, erwies sich als Glücksfall. Der Produzent kittete jede sich bietende Lücke zwischen den monumentalen Soundwänden mit behutsam eingeflochtener Elektronik, die nicht als Hemmschuh, sondern als Turbolader die Kompositionen beschleunigte. Statt stilistischer Seitensprünge bleibt das Trio beim Rock („The Bitter End ), der sich nur manchmal zu einem schleppenden Groove mit schleifenden Zügeln beruhigt („Something Rotten‘ ). So rund und homogen ist dieses Album geraten, dass wir Molko gerne zustimmen, wenn er singt: „Atways stays the same/nothing ever chonges“.

Sleeping With Ghosts (Special Edition, 2004)

Coverversionen, nur Coverversionen zierten die Bonus-CD zur „Special Edition“. Nach black market music hätte man ihnen noch nachgesagt, ihnen seien die Ideen ausgegangen. Aber sleeping with ghosts war ein Album, das auch in einem Doppelpack mit Songs von den Pixies „Where Is My Mind“, den Smiths „Bigmouth Strikes Again “ oder T-Rex „20th Century Boy’s“ Bestand hatte. Den Grandaddy des Glam hatten Placebo schon für den Filmsoundtrack velvet Goldmine gecovert. Unerwartet waren da eher Songs wie „I Feel You“ von Depeche Mode oder „Running Up That Hill“ von Kate Bush. Placebo präsentieren sich hier als humorvolle Party-Musikanten und zeigen nebenbei, wer sie so alles beeinflusst hat. Boney M beispielsweise mit ihrem – von Placebo sklavisch nachgespielten – Hit „Daddy Cool“.(Alle bisherigen Alben von Placebo sind bei Virgin erschienen.)

Nachts wurde er immer häufiger hinter den Plattentellern Londoner Clubs gesichtet. Solche Seitensprünge aber blieben Molkos Privatvergnügen

andern als bei Teilzeit-DJ Boy George, den Molko im Kosmetiksalon kennengelernt hatte. Molkos erwachtes Interesse für elektronische Musik färbte auch auf SLEEPING WIRH GHOSTS ab, das bisher letzte Studioalbum der Band. Hierfür hatte Olsdalden Platz an den Reglern für (im Abiss frei gemacht, den renommierten Produzenten von Bj örk und U .N .C .L .E.

und sich anschließend gewundert, wie rockig die Platte trotzdem klang. Von Routine jedenfalls war nichts zu spüren, als das Trio dem MUSIKEXPRESS das Album im Londoner Studio vorspielte. Im Gegenteil erschienen die Musiker nervös, schließlich stolz – und erfüllt von der diebischen Freude über einen weiteren gelungenen Coup. Als wäre das Album nicht erfolgrteich genug gewesen, schoben Placebo neben der sehr empfehlenswerten DVD SOULMATES never die -bald eine „Special Edition“ von sleep-ING WITH GHOSTS hinterher – mit einer zweiten CD mit drolligen Coverversionen. Neben unerwarteten Favoriten wie Kate Bush oder Robert Palmerzeigte „Covers‘ erstmals die komische Seite von Placebo. Anders ist ihre Coverversion von „Daddy Cool“ aus der Feder von Frank Farian respektive Boney M kaum zu erklären.

Inzwischen macht Sich Brian Molko sogar Gedanken darüber, ob seine Texte nicht zu lebensbejahend und positiv geworden sein könnten. Das muss er aber doch gar nicht tun, im Gegenteil. Wer auf der Sonnenseite lebt, braucht nicht von der dunklen Seite den Mondes zu erzählen. Seine Fans werden es ihm wohl auch nicht verübeln, wenn sie erfahren: Ja, einer der beiden neuen Songs auf der neuen, ersten Best-Of-Compilation once more with feelings: Singles 1996-2004 ist ein optimistisches Liebeslied. Und wenn der andere Song – auch das eine Premiere für die Band -ganz ohne E-Gitarren auskommt: Placebo bleiben Placebo. „Seit bald zehn Jahren gibt es uns schon“, sinniert Brian Molko im ME-Interview: „Ist das nicht Wahnsinn, wie die Zeit verfliegt? Als wären wir alle auf Speed. Und machmal frage ich mich schon, wie lange das nochgut geht.“