Pop-Kolumne von Jochen Overbeck: Weißes Rauschen


Kanadische iTunes-Charts vom 21. Oktober 2014, Platz 1: Taylor Swift, „Track 3“

Das Problem mit der Enttäuschung ist, dass sie grundsätzlich negativ konnotiert ist. Während ihre Cousine, die Überraschung, uns bisweilen freundlich lächelnd in fruchtbare Wunderländer entführt, ist die Enttäuschung der am Radkasten rostende, nach Turnbeutel müffelnde Linienbus, der uns aufgrund defekter „Bitte Anhalten“- Tasten an öden Endhaltestellen ausspuckt, wo es stark niederschlägt.

Der Schreiber dieser Zeilen weiß das nur zu gut. So bestellte er sich 1989 beim damals schwer angesagten Musikversand „Disc Center“ ein Exemplar von „The Look“, der seinerzeit aktuellen Single der schwedischen Superstars Roxette. Tagelang freute er sich, als die Platte ihren Weg in den Briefkasten gefunden hatte, stellte er fest: Sie war verstanzt. Das Mittelloch fand einen guten Zentimeter links der Mitte statt. Die Platte ließ sich nicht abspielen. Millionen von Taylor-Swift-Fans in Kanada machten vor wenigen Tagen Ähnliches durch. Bei iTunes wurde ihnen plötzlich ein neuer Song ihres Lieblingsstars angeboten. Das mit acht Sekunden recht knapp gehaltene Stück trug den nüchternen Titel „Track 3“ und sollte aus dem neuen Album „1989“ stammen (bitte nicht mit dem Ash-Album „1977“ verwechseln!).

Erfreut griff die Anhängerschaft der Sängerin, die sie auch das Täubchen von Pennsylvania nennt, zu. Bald fand sich „Track 3“ an der Spitze der iTunes-Charts. Aber da war nix. Also nicht nix, aber nur acht Sekunden Rauschen. Vereinzelte Fans mögen einen radikalen Richtungswechsel ihrer Herzenskünstlerin vermutet haben. Neue Musik. Nichtmusik. Abkehr vom Prinzip Pop. Mit gutem Willen könnte man die acht Sekunden auch als Meeresbrandung interpretieren. Oder ein sogenannter Skit? Aber nein. Die Erklärung war einfach: Es handelte sich um einen Irrtum. Was uns zum nächsten guten Popsong bringt. Die uns bisher unbekannte Gruppe Der Mann singt aktuell da draußen im Internet: „Menschen machen Fehler. Das ist immer ein guter Grund, schlecht drauf zu sein.“ Wir geben ihnen recht.

Diese und weitere Kolumnen sind in der Dezember-Ausgabe des Musikexpress erschienen – seit 13. November am Kiosk und im App-Store erhältlich.