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Prince, der Sexy Motherfucker!


Zum Tod von Prince: Unser ME-Helden-Geschichte über den „sexy motherfucker“ aus dem April 2014 in voller Länge.

Am zweiten Abend kam Prince wieder, denn er war sich seiner Sache sicher: Früher oder später wird seine Musik auch dem gewöhnlichen Stones-Fans gefallen. Dennoch stand ein Outfitwechsel an, und er entwarf eines der legendärsten Kleindungsstücke der Popgeschichte: den Trenchcoat in Lila – der Farbe, die entsteht, wenn man das Rot der Körperlichkeit mit dem Blau des Himmlischen mischt.

Ein weiterer Aspekt, der Prince zum Superstar werden ließ: Er traf den Zeitgeist. In seiner Musik und seinen Videos malte Prince das seltsame Bild einer lilafarbenen, hocherotischen, spirituellen Zukunft.

Die frühen 1980er-Jahre waren eine sehr gute Zeit für solche Zukunftsentwürfe. Die Dystopihe 1984, das Orwell’sche Jahr, rückte näher; in den Arbeitszimmern einiger Technikfreaks standen klobige PCs von IBM mit ihren grün leuchtenden Monitoren; das Millenium war hingegen noch so weit entfernt, dass die von Prince besungene apokalyptische Party im Jahr „1999“ eher wie Science Fiction als ein nahendes Szenario wirkte. Prince, gekleidet im lila Mantel mit weißem Piratenhemd, wirkte damals wie ein vollkommen aus der Zeit gefallener Herrscher; einige Jahre später tauchten ähnlich verkleidete und ambivalente Figuren als diabolische Galaxienherrscher in „Star Trek: The Next Generation“ auf.

MTV-Eroberung

Der Einfluss von Prince auf die Popkultur stieg unaufhaltsam. Auch MTV wurde erobert! Seit seinem Start im Jahr 1981 bot der Sender  eine große Angriffsfläche: In die High Rotation schaffen es zunächst fast ausschließlich Clips von weißen Rock-Acts: Joan Jett und Fleetwood Mac, J. Geils Band und Rod Stewart. MTV verteidigte sich einem Hinweis auf die Zielgruppe, den weißen Rockradiohörern, die sich nun auch Musik im Fernsehen anschauen. Man wolle „aduld orientated rock“ bieten – und da passe heiße Funk- und R’n’B-Musik nicht ins Raster.

Prince brach den Bann mit dem furiosen Clip zur Single „1999“ – und man muss sich das wirklich wie eine Revolution vorstellen: Die dekadente und zwangserotische Funkyness war für den MTV-Durchschnittssseher so neu, aufregend und irritierend wie viel Jahre später der erste Techno- oder Drum’n’Bass-Track.

Er schüttelte den Mainstream durch

Prince schüttelte den Mainstream durch. Und die Leute liebten das, vor allem in den USA. Sie kauften die Single, kauften das Album, besuchten seine Konzerte, hängten sich seine Poster an die Wand. Nun war Prince ein Superstar. Und er legte gleich noch eine Schippe drauf: In meisterlicher Weise inszeniert Prince seinen eigenen Durchbruch als halbbiografischen Film, dessen Soundtrack zu einem der wegweisenden Alben der 1980er-Jahre wurde: „PURPLE RAIN“.

Die LP steht in den USA sechs Monate auf Platz eins. Prince regiert – und spielt den milden Herrscher. Erstmals bekommt auch seine Band Credits, auch auf dem Cover steht Prince & The Revolution – wenn auch der Meister nur selbst zu sehen ist. Auf dem Motorrad, umhüllt von lila Rauch. Und wer genau auf die Honda schaut, entdeckt dort erstmals auch das Symbol, das er später als Namen verwenden sollte.

Unberechenbarer Superstar

Die restlichen 1980er-Jahre verbringt Prince damit, eine exzellente und erfolgreiche Platte nach der anderen aufzunehmen. Das blumig-optimistische „AROUND THE WORLD IN ONE DAY“ fiel damals etwas durch, ist aber eine wunderbare Hommage an die Beatles und den gesamten psychedelischen Pop. Vor allem die Bands der Paisley-Underground-Szene aus Los Angeles hatten es ihm angetan: Rain Parade, Dream Syndicate, The Three O’Clocks. Letztere signte er für sein 1985 gegründetes Label Paisley Park Records; für die Paisley-Lieblinge The Bangles schrieb er ein Jahr später die Hitsingle „Manic Monday“. Kurz: Prince hatte es sich nett eingerichtet.

Doch dann brach er aus. Oder besser, brach es aus ihm heraus. Das zeichnet diesen Superstar bis dahin aus: Er war unberechenbar, folgt keiner klaren Strategie. Im Verlauf der 1980er-Jahre hatte Prince wohl befürchtet, die Popwelt nehme ihn als Hitmaschine und ewigen Verführer wahr. Aber in ihm steckte auch immer noch der Musiknerd.

Und der wollte 1987 mal wieder zeigen, was er so draufhat: „SIGN O’ THE TIMES“  war sein großer Leistungsnachweis, eine kunterbunte Wundertüte – und wer eine damals schon bekannte populäre Musikrichtung nennen kann, die auf diesem Doppelalbum nicht vertreten ist, gewinnt eine Second-Hand-CD von Michael Jacksons „BAD“-Album, das im selben Jahr erschien.

Stille Genialität

Es ist verwunderlich, dass Prince nach „SIGN O’ THE TIMES“ seine Genialität nur noch selten zeigte. Ein Erklärungsversuch: 1988 stellte er in einem Vorort von Minneapolis die Paisley Park Studios fertig, einen kantigen Gebäudekomplex, in dem Prince und seine Gefolgschaft fortan probten, aufnahmen, Videos drehten – kurzum: lebten. Was nach einem künstlerischen Paradies klingt, entwickelte sich zu einer Parallelwelt: Prince regierte in Paisey Park, doch das Leben dort gestaltete sich sonderbar.

Wer als Journalist die Gelegenheit hatte, das Reich zu betreten, erlebte neben lila gestrichenen Toiletten einen Hausherren zwischen auswendig gelernter Freundlichkeit und seltsamen Marotten. Wahlweise wurden Gäste dazu aufgefordert, Klavier oder die Bongos zu spielen. Rolling-Stone-Autor Joachim Hentschel berichtete zudem von drei Musen, die jederzeit um Prince herumschwirrten und auf Kommando in perfekter Harmonie mit ihm sangen. Wurde hier geprobt? Oder frönte Prince einem seltsamen Hobby?