Puff Daddy: Hip Hop Hexer


Während Sean Combs wegen Körperverletzung vor Gericht steht, singt sein Alter ego Puff Daddy auf dem aktuellen Album Forever über den lieben Gott. Peter von Stahl über den schmalen Grat zwischen Knast und Karriere.

ÜBERALL AUF DER WELT GIBT ES LÄDEN, IN DIE MAN NICHT reinkommt. Mitten in New Yorks Greenwich Village an der Fourth Avenue gibt es so eine von diesen Eingangstüren, die Normalsterblichen stets verschlossen bleiben. Schlicht „Pop“ heißt das Restaurant von Roy Liebenthal, dessen Türsteher tagtäglich dafür sorgen, daß dieser laut „New York Post“ „exklusivste Hot Spot im East Village“ nur von den wirklich Reichen, Schönen und Wichtigen bevölkert wird. Wirklich reich, wichtig und gutaussehend ist an diesem Abend nur ein einziger Gast – und der hat gleich den ganzen Laden gemietet. Sean Combs heißt er und ist 29 Jahre alt. Die Pop-Welt kennt ihn als den Star-Produzenten, HipHop-Mogul und Multimillionär Puff Daddy. Besonders froh blickt er aber trotzdem nicht aus der Wäsche, und auch die tiefergehenden Informationen über die Visionen des Innenarchitekten Ali Tayar zu dessen Design des Nobelrestaurants interessieren Puff wenig: „‚Pop‘ beruht auf dem gesellschaftlichen Idealismus der Nachkriegsjahre“, steht in der Speisekarte zu lesen, „auf dem Glauben an technische Innovation.“

Puff Daddy glaubt heute weder an technische Innovationen noch an gesellschaftlichen Idealismus. Das einzige, woran er im Moment glaubt, ist sein Hals und sein Herzschlag. Der sonst stets coole und gelassene Puffy hat einen Frosch im Hals, der Puls ist auf 130. Kein Zweifel – der Mann ist nervös. Und das zu Recht, schließlich wartet in dem Lokal bei Champagner und Hummerhäppchen ein handverlesenes Häufchen von Plattenmanagern und Journalisten aus fünf Kontinenten auf die Weltpremiere des neuen Puff Daddy-Albums („Forever“). Zur Erinnerung, der Vorgänger („No Way Out“) hat weit über zehn Millionen Stück verkauft. Es geht also um sehr, sehr viel Geld. Und für Puffys Label „Bad Boy“, die Plattenfirma „Arista“ und ihn selbst stellt sich automatisch die Frage aller Fragen: Wie viele Platten werden wir verkaufen können? „Daraufgibt es zwei Antworten“, wird Combs am nächsten Tag im Interview sagen. „Eine ehrliche und eine politische. Die politische: Als Label-Chef bin ich zufrieden, wenn das Album sich besser verkauft als mein letztes. Die ehrliche: Es ist mir egal. Viel wichtiger ist es für mich, daß ich in den kommenden Monaten den Geschäftsmann hinten anstelle und als Künstler arbeite.“ In einem Land, in dem es üblich ist, auch ehrliche Antworten politisch zu formulieren und die rhetorischen Grenzen zwischen Politikern und TV-Predigern oftmals bis zur Unkenntlichkeit verschwimmen, klingt auch so manches Künstler-Statement wie ein Zitat aus einer Wahlrede: „Das bringt meine gesamte Lebensphilosophie auf den Punkt“, erklärt Puff den Albumtitel „Forever“. „Egal, was ich tue – ich will mein Leben lang meine gesamte Kraft und Konzentration dafür aufbringen. Deshalb habe ich auch die Hoffnung, daß sich meine Musik als zeitlos erweisen wird und auch nach 100 Jahren noch Gültigkeit haben wird.“

Für die meisten Zuhörer im „Pop“ bedeutet „Forever“ natürlich erst mal: die nächsten zwölf Monate – die durchschnittliche Laufzeit eines Albums also. In dieser Zeit – das wird beim Durchhören der Tracks zwischen Garnelen-Spießchen und Kastanien-Mousse schnell klar – kann nichts anbrennen. Puff Daddy, der Erfinder des ultrakommerziellen HipHop auf der Basis wohlbekannter Samples aus 80er-Jahre-Hits, bleibt bei seinen Leisten. Ein paar Songs gehen härter als gewohnt zur Sache. Dennoch ist ausreichend radiokompatibles Material mit wiedererkennbaren Klanganleihen (Christopher Cross, Barth, Wind & Fire, Public Enemy, AI Green, Isley Brothers) vorhanden. „Manche Leute glauben, ich würde mit einem Stapel Sample-CDs unter dem Arm ins Studio gehen, ein paar nette Raps draufsingen, und fertig ist der PuffDaddy-Hit. Das ist natürlich völliger Quatsch – so würde das nie funktionieren. Für mich ist viel wichtiger, meine Antenne auszufahren und die Funkwellen der Kids in den Straßen aufzufangen. Und zur Zeit sind diese Wellen wieder etwas aggressiver, härter, kantiger. HipHop ist für mich viel mehr als Musik – es ist eine Lebensart. Ich gehe viel raus auf die Straßen, höre, was aus den Auto-Anlagen auf die Straße dröhnt, treibe mich in Clubs zwischen 16 jährigen Kids herum, gehe aber auch in Läden der älteren Generationen. Ob das nun Weiße, Schwarze oder Latinos sind – ich sitze da und sauge alles in mich auf.“

AGGRESSIVER, KANTIGER UND HÄRTER KLINGT AUCH DIE erste Single aus Puffys neuem Album. „PE 2000″ ist eine Coverversion des Public Enemy-Klassikers “ Public Enemy No. 1″ – mit einem Gastauftritt von Chuck D im Video. Puffy veröffentlicht parallel auch noch eine Rock-Version sowie eine aufspanisch gerappte Variante für den explodierenden Latino-Markt in den USA. „PE 2000“ ist für Combs der Versuch, die Spitze der Bewegung zurückzuerobern: „HipHop ist wie ein Wettlauf, der nie endet. Es ist wichtig, permanent die anderen Läufer im Blick zu haben. Als ich mit ‚No Way Out‘ herauskam, rannte ich plötzlich als Spitzenreiter vor dem Feld. Das veränderte das gesamte Spiel. Auf einmal kamen alle möglichen Leute mit kommerzielleren und radiotauglichen Platten auf den Markt. Jetzt ist es wieder an mir, mich an die Spitze zu setzen. Alle vier Jahre durchläuft HipHop einen großen Veränderungszyklus. Zur Zeit wenden sich viele wieder dem Underground zu.“

Das bedeutet für Puffy natürlich, daß er sich weniger auf die Kraft der kommerziellen Samples verlassen kann und wieder häufiger als ihm lieb ist selbst vor das Mikro treten muß. Combs, der sich vor Jahren mal als der „weltweit erfolgreichste Rapper, der nicht rappen kann“ bezeichnete, kann auf ein Netzwerk von begabten und erfolgreichen Acts zurückgreifen, deren Karrieren er (als Label-Boß und freier Producer) in der Zwischenzeit angeschoben hat. Dies – und der Nimbus als „Godfather of HipHop“ – sorgen dafür, daß es auf „Forever“ nicht langweilig wird, denn wieder mal geben sich die Größen der schwarzen Tanzmusik als Gast-Rapper und -Sänger das Mikro in die Hand: „Das sind Freunde, die ich zum Teil auch als Fan bewundere – R. Kelly, Nas, Lil‘ Kim, Redman, Busta Rhymes.“ Eine Liste, die der Vollständigkeit halber noch kurz ergänzt werden muß: Jay-Z, Bizzy Bone, Twista, Faith Evans und Ron Isley. Puffy, der mit Hilfe etlicher Vocal-Coaches hart an seinen Rap-Künsten gearbeitet hat, kommentiert diese Armada von Sprechgesangs-Hilfstruppen mit vollendeter politischer Formulierungskunst: „Das hilft, das Album in voller Länge interessant zu machen.“ Combs selbst interessiert sich ohnehin nicht mehr für das, was ihm kleinerkarierte Kritiker vorwerfen. In den zwei Jahren seit der Veröffentlichung von „No Way Out“ hat er sein Unternehmen „Bad Boy Entertainment“ zu einer formidablen Multimedia-Firma mit eigener Fashion-Line („Sean Jean“), TV-Produktion, mit Tonstudios, Restaurants („Justin’s“) und einer Zeitschrift („Notorious“) ausgebaut. Die Departements werfen inzwischen stattliche Gewinne ab und werden von eigenständig entscheidenden Geschäftsführern geleitet. Sean Combs ist zumindest geschäftlich – seinen Zielen ein gutes Stück nähergekommen. Ziele, die er vor drei Jahren so formulierte: „In fünf Jahren soll ‚Bad Boy‘ in der ‚Forbes‘-Liste der 500 umsatzstärksten Unternehmen vertreten sein. In zehn Jahren werden wir mit Film, Musik, Fashion und Merchandise so groß sein, daß wir in einer Liga mit ‚IBM‘ und ‚Coca Cola‘ spielen können.“ Wer damals dachte, das sei wieder mal nur großmäuliges Getöne eines höhenfliegenden Neureichen, sollte sich mal Combs aktuellen Zwischenstands-Bericht anhören: „Nun ja – in die Top 500-Liste der erfolgreichsten Unternehmen hat es ‚Bad Boy‘ dieses Jahr schon geschafft. Auch als Person tauche ich unter den 500 erfolgreichsten Menschen auf. Ich bin also offenbar auf dem richtigen Gleis unterwegs. Und das mit der IBM-Klasse werden wir auch noch schaffen – ich habe großes Vertrauen in meine Fähigkeiten.“

JETZT, IM SOMMER 1999, MEINT ER DAMIT VOR ALLEM SEINE KREATIVEN

Fähigkeiten als Entertainer, Produzent, Hitmacher, und – im Rahmen seiner Möglichkeiten – Rapper: „Ich werde doch nur deshalb als Unternehmer bezeichnet, weil ich meine Visionen konsequent umsetze. Was aber viele Leute dabei vergessen: Auch in sämtlichen geschäftlichen Belangen meines Lebens sehe ich mich nicht als Unternehmer, sondern als Entertainer. Mit dem Album präsentiere ich mich ganz bewußt nicht mehr als der Musik-Mogul, der Entertainment-Entrepreneur. Während der Produktionszeit zog ich mich fast vollständig ins Studio zurück und schaltete meine Firmen auf Autopilot – zum Glück habe ich dort Manager, denen ich voll vertrauen kann. Teilweise lebte ich regelrecht im Studio und arbeitete bis zu 20 Stunden am Stück. Nach ein paar Wochen ließ ich mir sogar ein kleines Appartement neben dem Studio einrichten. Manchmal wachte ich dort mitten in der Nacht mit einer guten Idee auf, torkelte im Pyjama in den Aufnahmeraum rüber und arbeitete mit verschlafenen Augen an einem Track.“

Eine dieser nächtlichen Ideen war es, markante Samples aus dem Christopher Cross-Hit „Sailing“ mit einem tiefreligiösen Rap-Text zu dem Song „My Best Friend“ zu kombinieren. Der Titel ist durchaus wörtlich zu verstehen: „Der Song handelt von meiner Beziehung zu Jesus Christus. Ich erzähle aus einem sehr persönlichen Blickwinkel, wie mich Gott auf jeder Station meines Lebens begleitet hat. Er war immer in meiner Nähe – auch in Zeiten, in denen niemand auf Erden mit mir etwas zu tun haben wollte. Deshalb ist Gott mein bester Freund. Ich gehe jeden Sonntag in die Kirche. Ich spreche mit ihm, wenn ich die Straßen hinunterlaufe, ich bete zu ihm jede Nacht. Selbstverständlich findet sich dies auch auf dem Album wieder. Wenn die guten wie bösen Seiten meiner Persönlichkeit zur Sprache kommen, darf natürlich auch mein Glaube nicht fehlen.“ Puffy behauptet, daß mehr als 90 Prozent der Textzeilen von „Forever“ Begebenheiten schildern, die er in den letzten Jahren tatsächlich so erlebt habe. Und da könne er eben auch seine täglichen Gotteserfahrungen nicht ausklammern. Wie nahe weltliche und himmlische Güter beieinander liegen, zeigt Puffys linker Arm. 30 Zentimeter oberhalb seines brilliantenüberzogenen 200.000-DolIar-Platinarmbandes ist der Psalm 23 in die Haut tätowiert -… und wenn ich auch wandele im finsteren Tale … „Schau – hier“: Puffy schiebt den Ärmel seines rot-weiß-blauen „Sean Jean „-Nylonshirts hoch. Der ganze Arm ist bedeckt mit Tattoos. Das Logo seines „Bad Boy“-Labels, ein Portrait von Biggie Smalls, ein Engel-Pärchen – nur kann man kaum etwas erkennen. Auch der Bibelspruch ist fast unlesbar. „Das ist immer das Problem, wenn du eine dunkle Haut hast: zu wenig Kontrast zu den Farben. Ich frage mich, wann sie endlich Farben erfinden, die auch auf schwarzer Haut erkennbar sind. Dies hier ist eine Ausnahme – es leuchtet bei UV-Licht.“ Der Stich zeigt ein Medaillon mit dem Geburtstag seiner Großmutter. Puff, The Magic Family Man. Doch selten waren seine Augen so müde wie heute.

Am Vorabend war er samt der Meute aus Medien- und Plattenfirmenleuten noch in den eigens gemieteten „Float“-Club (noch so ein Laden, in den man sonst nicht reinkommt) weitergezogen, hatte bis in die frühen Morgenstunden gefeiert und war nach gerade mal zweieinhalb Stunden Schlaf um zehn LIhr früh bei einem Gerichtstermin erschienen, der ein völlig anderes, nicht gerade christliches Licht auf Puff wirft: Sean Combs, der Schläger? Der Körperverletzer? Der Nasenbeinbrecher? Punkt zehn betrat er, umgeben von fünf Anwälten, im feinen, grauen „Gucci“-Anzug den Sitzungssaal 14 im „Manhattan Criminal Court Building“. Die Strafsache, um die es geht, ist alles andere als ein Bagatell-Delikt: Combs soll gemeinsam mit zwei Bodyguards am 15. April den „Columbia“-Manager Steve Stoute in dessen Büro krankenhausreifgeprügelt haben. Grund des Konfliktes waren Videoszenen, die Puffy halbnackt am Kreuz zeigen. Combs hatte sie für das Nas-Video „Hate Me Now“ drehen lassen, wollte sie später aber wieder herausschneiden lassen. Stoute soll dennoch das ungeschnittete Band an MTV weitergegeben haben.

Combs und Stoute hatten schon Wochen vor dem Gerichtstermin wieder Frieden geschlossen und waren am Vortag sogar Arm in Arm auf der Bühne bei einer Award-Verleihung des „Source“-Magazins zu sehen. Preis der außergerichtlichen Einigung: eine halbe Million Dollar für Stoute und dessen Beteiligung an „Bad Boy“. Die Sache ist damit trotzdem noch lange nicht vom Tisch, denn im strafrechtlichen Teil des Verfahrens blühen Pufry sieben Jahre Knast – egal, ob er sich mit dem Opfer geeinigt hat oder nicht. Darüber, ob es denn mit seinen religiösen Überzeugungen im Einklang stehe, einem Mitmenschen einen fragwürdigen Besuch abzustatten und ihn anschließend mit stark blutenden Gesichtsverletzungen im Büro liegenzulassen, mag sich Combs nur nebulös äußern: „Das Verfahren läuft im Moment noch, deshalb darf ich mich zu Details der Geschehnisse nicht äußern. Es ist richtig, daß ich in sein Büro ging. Zu dem, was danach geschah, kann ich nur sagen: Ich habe mich völlig danebenbenommen. Aber ich dementiere alles, was in den Medien darüber berichtet wurde, vor allem, was angeblich gebrochene Arme und Kiefer betrifft. Das ist alles erstunken und erlogen. Heute, nach dem Gerichtstermin, habe ich mich mit Steve Stoute ganz offen und ehrlich ausgesprochen. Ich bin mir sicher, daß wir uns gütlich einigen werden. Das alles war ein sehr unglücklicher Vorfall, für den ich natürlich die volle Verantwortung übernehmen muß. Niemand außer mir selbst trägt Schuld.“

Combs weiß, daß er, solange das Verfahren läuft, eine Menge Kreide fressen muß. Schließlich würde eine Haftstrafe Puffys Träume auf einen Schlag platzen lassen. Träume, die nur einer träumen kann, in dessen Wortschatz „geht nicht“ nicht vorkommt. Als Label-Boß, Produzent und Künstler ist er schon ganz oben. Und im Frühjahr 2000 will er die Hauptrolle in einem selbstproduzierten Kinofilm spielen. „Bad Boy“ ist also tatsächlich auf dem Weg zu einem multimedialen Weltkonzern. Nichts ist unmöglich: Video-Games? Radiostationen? Auftritte im Weltall? „Noch sind die Space-Shuttle-Flüge zu teuer“, lacht Combs, und seine müden Augen blitzen für einen kurzen Moment hell auf, „aber wir arbeiten an einer Menge anderer Dinge. Zur Zeit entwickeln wir ein Computerspiel. Außerdem wird es das ‚Bad Boy‘-Radio in absehbarer Zeit im Internet geben.“ Sein Fernziel nämlich möchte Sean Combs unbedingt verwirklichen: „Meine Vision ist ganz simpel ich will einer der größten Entertainer unserer Zeit werden.“