Pulp


Jarvis über alles. Guckt man sich die englischen Tageszeitungen an, muß man unweigerlich zur Einsicht kommen, daß Jarvis Cocker der britischen Insel derzeit größter Popstar ist. Da mögen sich Take That trennen, so oft sie wollen, können Rock-Rabauken randalieren, an Pulp-Sänger Jarvis kommt momentan keiner ran. Erst recht nicht, was die beinah einhellig positive Berichterstattung betrifft. Das war bis vor einigen Monaten noch anders. Als eine Pulp-Single im letzten Jahr mit einer Origami-Anleitung zum Verstecken von Drogen in die Regale der Plattenläden kam, forderte die Yellow-Press ein sofortiges Verbot für den „kranken PR-Stunt“. Eine Wende erfolgte erst, als Jarvis Cocker im Februar bei den Brit-Awards Michael Jacksons pathetischen Auftritt kritisierte und spontan auf die Bühne stürzte, um dem Jesus-Imitator die Show zu stehlen. Am darauffolgenden Tag verurteilten die Boulevardzeitungen Cockers Verhalten zwar noch stark, aber als sie merkten, daß die öffentliche Meinung auf der Seite des Sängers aus Sheffield stand, der für das Jackson-Intermezzo eine Nacht im Gefängnis verbringen mußte, texteten die Journalisten nicht bloß ihre Schlagzeilen um, der Daily Mirror rief sogar seine Leser zu Sympathiebekundungen auf und verteilte „Justice For Jarvis“-T-Shirts. Der seriöse Guardian rechnete schließlich auf zwei Seiten aus, daß Jarvis kurze Showeinlage an der Seite des „King Of Pop“ ihm eine kostenlose Werbung im Werte von ungefähr einer dreiviertel Million Pfund, sowie zusätzliche Plattenverkäufe in Höhe von 50.000 Stück einbrachte. Das hat Jarvis nun also von seiner spontanen Idee. Auch wenn er nun nicht mehr wie früher in Ruhe ein Bier trinken gehen kann, Jarvis Cocker beklagt sich nicht über seine Popularität, schließlich hatte er zuvor beinah zwanzig Jahre lang vergeblich versucht, selbige zu erreichen. 1977 debütierte er in der Schule mit der Band Arabicus Pulp. Vier Jahre später spielten Pulp ihre erste Peel-Session für die BBC ein und veröffentlichten mit mäßigem Erfolg und wechselnder Besetzung in den nächsten Jahren fünf Alben. Am merkwürdigsten für den leicht linkischen Sänger ist vor allem sein neu gewonnener Erfolg bei Frauen und Kindern. „Das hat mich wirklich überrascht“, meint Jarvis. „Plötzlich bekommst du hunderte von Briefen von 10- und 11jährigen, dabei ist meine Musik gar nicht an Kinder gerichtet.“ Und die Reaktionen des anderen Geschlechts auf ihn? „Ich hatte nie Erfolg bei Frauen. Als Teenager habe ich auf einem Markt Fische verkauft und bin nie auch nur in die Nähe von Mädchen gekommen, weil ich so gestunken habe. Die Omas, die bei mir ihre Einkäufe gemacht haben, mochten mich allerdings immer sehr. Natürlich genieße ich es jetzt, als Sex-Symbol betrachtet zu werden, auch wenn ich das nicht wirklich verstehe“. Über das Geheimnis seines Erfolgs kann er in Kürze in Deutschland weiterrätseln. Denn innerhalb eines halben Jahres kommen Pulp nun zum zweiten Mal auf Tournee, um die Pop-Perlen ihres aktuellen Albums ‚Different Class‘ live vorzustellen. Vielleicht übernehmen die deutschen Zuschauerinnen dann auch die Sitte der englischen Fans und schmeißen Unterwäsche für Jarvis auf die Bühne. „Allerdings nicht die eigene, sondern frische Männerunterwäsche. Am liebsten mag ich diese seidigen Unterhosen, aber auch weiße Baumwollwäsche finde ich toll“.