Queen – Innuendo


Nach einer Reihe mittelmäßiger, ja peinlicher Alben gelingt der betagten Rock-Königin — ihre Inthronisation fand fast genau vor 20 Jahren statt — eine echte Überraschung.

Das 17. Queen-CEuvre INNUENDO (was laut Duden soviel bedeutet wie „boshafte, versteckte Anspielung, Stichelei oder Anzüglichkeit“) vereint alle Tugenden, deren sich die vier Briten jemals rühmen durften: barockes Kraftgefühl, melodischer Faltenwurf, lärmende Omnipotenz, rokkige Operetten-Seligkeit. .Queen-Songs“, so sagte Sänger und Vortänzer Freddie Mercury einmal, ,sind wie Papiertaschentücher. Man benutzt sie einmal und wirft sie dann einfach weg.“

Das galt mit Einschränkungen bisher. Das gilt nun nicht mehr. Denn INNUENDO hat neben allen typischen Queen-Merkmalen eine merkwürdige Melancholie, einen Tiefgang, den man normalerweise nur sogenannten „Alterswerken“ attestiert. Das Titelstück „Innuendo“ — in Struktur und Dramaturgie dem klassischsten Queen-Stück „Bohemian Rhapsody“ nicht unähnlich — hat bei weitem nicht dessen glamouröse Pfiffigkeit. Dafür besitzt IN-NUENDO, in seiner Gesamtheit und in den Einzelteilen, eine Kraft, die auf Erfahrung beruht. Was Kritiker immer monierten — die kalkulierte Präzision, die beängstigende Perfektion und die intellektuelle Kühle der Queen-Aktionen — ist fraglos noch vorhanden. Aber in Verbindung mit der neuen Tristesse ist aus dem effekthascherischen Selbstzweck sinnvolles Handeln geworden. Man trifft wohl immer noch die Kraftmeierei, aber Effekte sind als Effekte ausgewiesen, Halbernstes als Halbernstes und Traurigkeit als eben das. INNUENDO ist das erste Album, das Verletzlichkeit nicht in falsche Stärke, Ohnmacht nicht in scheinbare Macht ummünzt.

Queen sind mit INNUENDO zu sich selbst zurückgekehrt. Kenner und Fans addieren nun zu den Muß-Alben wie SHEER HEART ATTA das 17. Werk. Und vielleicht fühlen sie sich wie ein bekannter, deutscher Showmaster bei folgender Überlegung: 50 Prozent hören Queen nicht, weil es total out ist, Queen zu hören. 20 Prozent hören eh immer weg. Die anderen 20 Prozent wissen’s nicht so genau, und die restlichen zehn Prozent lieben Queen, ohne es in der Öffentlichkeit bekennen zu können. Die Frage: Warum bringen die eigentlich ein neues Album heraus, wenn sowieso niemand hinhört?!

FACTS UND …

„Klar, wir könnten uns auf unseren trfolgen ausruhen und in aller Ruhe die Tantiemen kassieren. Aber sollte das der Sinn des Lebens sein? Die Single ‚lnnuendo‘ ist wieder ein Sprung Ins kalte Wasser. Wer veröffentlicht In Daneefloor-Zeiten wie diesen eine 6:30 Minuten-Single mit Flamenco-Rhythmen und Opern-Elementen?‘ Roger Taylors Frage ist rein rhetorisch: keiner — außer Queen natürlich.

Die Mischung aus pompöser Oper und Schwermetall, die organische Verbindung aus chorischer Finesse und gitarristischem Gitarrenspiel erlebte ihren ersten Boom 1974 mit der Single „Seven Seas Of Rhye“, einer Auskopplung von QUEEN II. Es war der Startschuß für eine endlose Serie von bizarren Hits, für Bestseller-Alben und Box Office-Erfolge.

Doch dann, 1986, war zumindest mit letzterem Schluß: Queen gaben den Abschied von der Bühne bekannt.

Der Entschluß geht letztlich allein auf Freddie Mercury zurück. So sehr ihn seine Kollegen auch beknieten, die Entscheidung zu überdenken: Der bühnenmüde Mercury blieb hart. „Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich darunter leide“, jammert Brian May auch noch fünf Jahre später. „Ich muß einfach auf der Bühne stehen. Am liebsten würde ich morgen schon wieder auf Tour gehen, aber für Freddie existiert dieses Thema einfach nicht. Plattenaufnahmen findet er nach wie vor großartig, ja er hat sogar irren Spaß dabei, aber eine Tour kommt für ihn partout nicht in Frage. Dabei hätten die beiden Alben so perfekt ins Live-Konzept gepaßt. Es ist zum Aus-der-Haut-fahren“

Daß Freddies Desinteresse nicht nur auf mentale Bühnenmüdigkeit zurückzuführen ist, sondern auch auf seinen physischen Zustand, räumt Brian May gerne ein: „Für eine Queen-Tournee müßte er erstmal ein mehrmonatiges Fitness-Programm samt spezieller Ernährungsberatung auf sich nehmen. Doch das ist es ihm einfach nicht wart.‘

… GERÜCHTE

Dal war für die englischen Boulevardblätter ein gefundenes Fressen. Der stets dezent als .bisexuell‘ ausgewiesene Freddie Mercury – bei seinen letzten live-Auftritten noch wohlbeleibt – magert zusehends ab. „Are You OK, Fred?‘ rätselt man auf der Insel, „The Sad Face Of Freddie Mercury*, konstatiert „The Sun‘, als Lichtbilder van dem ausgemergelten Queen-Frontmann in Umlauf kommen. Wie wohl von Kollegen hochgelobt ob seiner stimmlichen Fähigkeiten, entwickelte der scheue Freddie eine panische Bühnen-Phobie. Während May, Deacan und Taylor nach den Queen-Shows ihren Ruf als Party-Löwen festigten, zog sich die Mimose Mercury ins Hotelzimmer zurück. Auf der Bühne war er dennoch die zentrale Figur. In ständig wechselnden Kostümen verkörperte er vom tuntigen Transvestit bis zum Macho alle Rollen des Rock V Roll-Repertoires.

Um so überraschender sein Statement, daß er „zu alt sei“, um auf Tour zu gehen.

„Queen have decided never to tour again after 20 years all the top.“ Diesem Tatbestand widmete der .Daily Mirror* im Februar 1990 eine fette Headline. „Why we won’t tour again‘, stand da und dann einige Zeilen weiter unten die Standorderklärung von Brian May: .Freddie hat definitiv kein Aids, aber das wilde Rock ’n‘ Roll-Leben hat ihn wohl geschafft.‘ Von Mercury selbst gibt es bislang kein Dementi. Freddie schweigt sich aus oder singt so makellos wie auf INNUENDO. In beiden Fällen bleibt er der Sieger, frei nach dem Motto: Noblesse oblige.