Rainer Fendrich zeigt seine Stadt


Was ist der Unterschied zwischen Zürich und dem Wiener Zentralfriedhof?

Zürich ist doppelt so groß, aber nur halb so lustig.

Denn Wien ist die Welthauptstadt des „Schmäh“ – jenes merkwürdige Destillat aus dahingerotztem Sarkasmus und grenzenlosem Charme, das untrennbar mit dem raunzerisch runden Klang der Wiener Sprache verbunden ist und seinen besten Interpreten einen hohen Unterhaltungs-Vorteil verschafft. Was wiederum sehr wahrscheinlich die Ursache dafür ist, daß dieses winzige Schnitzel-Country vergleichsweise mehr Entertainer hervorzubringen vermag als der große Bruder Bundesrepublik mit immerhin zehnmal mehr Einwohnern. Johann Nestroy, Karl Kraus, Friedrich Torberg, Helmut Qualtinger. Wolfgang Bauer, Peter Alexander – die vollständige Liste wäre ellenlang.

Und mittendrin im Getümmel: Rainhard Fendrich. Weniger hip als der gelackmeierte Falco, cleverer als der ein bisserl stagnierende Ambros, lange nicht so abgehoben wie der Luftballon-Baron Andre Heller, aber anspruchsvoller als die Vierzeiler-Paradeblödler der Ersten Allgemeinen Verunsicherung. Fendrich ist der moderne Chansonnier – den Terminus des klampfenklopfenden Liedermachers möcht‘ er auf sich nicht angewandt wissen.

Wien hat Saison. In Sachen Lebenskultur boomt trotz höchster Selbstmordrate der Welt die Hauptstadt des einstigen 50-Millionen-Reiches der Donau-Monarchie. Im vergangenen Jahrzehnt produzierte die 414 Quadratkilometer große, stadtgewordene Übergangslösung der westlichen Welt zum Balkan eine Elite von Trendsettern, die den europäischen Zeitgeist maßgeblich beeinflußte und mitgestaltete. Ob Zeitungen, Fernsehen oder Kunst, Musik und Gastgewerbe – die Szene brodelt, Wien liegt mehr denn je vorn.

Wir treffen Rainhard Fendrich stilgerecht beim „Lusthaus“‚, ein der partybegeisterten Jugend nicht unbekannter Ort, die das Schmuckstück von einem Pavillion für allerlei Szene-Festivitäten nutzt. Hier in der Freudenau, einem riesigen Park Areal nicht weit vom Zentrum, werden der Wiener Hautevolee per Golf-Club und Gestüt nicht alltägliche Möglichkeiten der Freizeitgestaltung angeboten. Der leidenschaftliche Reiter Rainhard Fendrich („a Pferd is wia a Motorradi mit Hirn“) führt uns hoch zu Roß durch die wunderschön gelegenen Wiesen und Alleen, wo schon seinerzeit die Habsburger Zeit zur Muße fanden.

Was bedeutet unserem Reiseführer Fendrich seine Heimatstadt?

„Ich gehöre nicht zu denen, die sich mit Schmutz- und Schundliedern über diese Stadt profilieren müssen. Ich hab‘ ein ehrliches und zärtliches Verhältnis zu dieser Stadt. „

Ist er etwa gar Patriot? „Nein, aber ein Philodendron braucht auch seinen Blumentopf, den er lieben muß, weil er sonst nämlich nicht leben kann. „

Später lustwandeln wir durch den Prater, einen ständigen Vergnügungspark mit dem Wiener Wahrzeichen, dem Riesenrad. „Hier haben wir immer Schule g’stangelt (geschwänzt)“. Der mittelmäßige Gymnasiast aus dem 3. Wiener Gemeindebezirk (Jahrgang 1955) bewunderte damals seine Schulkollegen, die genau wußten, was sie mal werden wollten. Er streunte lieber herum, versuchte sich als Jurastudent und Versicherungsvertreter, als Handwerkshelfer und Postbote. Als er Mitte 20 war, war für ihn die Sache klar: Musik mußte es sein. Heute bewundern ihn die Klassenkameraden.

Wiens 57 Meter breiter Pracht-Boulevard, genannt „Ring“, der dem noblen Stadtkern einen adäquaten Rahmen verschafft, liegt im abendlichen Dämmerlicht. Burgtheater, Natur- und Kunsthistorisches Museum, die Angewandte, die Nobelst-Hotels, das Parlament, die Parks – dies alles ist eine Augenweide für jedes kunst- und architekturinteressierte Auge.

Des Sängers besterntes Straßenschiff gleitet an der Urania vorbei, mitten hinein ins Vergnügen. „Wien ist historisch insofern interessant, als es an der Kreuzung des Donau-Seeweges und der Bernsteinstraße die idealen Voraussetzungen für eine Metropole lieferte. Deshalb ehemalige Römerlager Vindobona so weil im Osten. Das hat keinerlei strategischen Wert.“

Geschichte eins, setzen. Rainhard Fendrich glänzt mit Kultur-Bewußtsein. Das Wissen um die Vergangenheit tut der Zukunft gut.

„Zur Linken“ erklärt er, „im ,Kursalon‘, tanzen sie heute noch jeden Tag Walzer. Für die japanischen Touristen, versteht sich.“ Und daneben, das ist der „Hübner“, da hat der Strauß Johann zum ersten Mal aufgespielt. Zur Rechten liegt das „Marriott“, ein grausliger Hotel-Neubau. Postmodern. Pfui.

„Links jetzt der Schwarzenbergplatz. Die Statue da, das ist der Graf Schwarzenberg. Einer der vielen Grafen, die für das einstige Weltreich Österreich in den Krieg gezogen sind. Er muß dabei recht erfolgreich g’wesn sein, sonst hätten’s ihn wohl nicht in Bronze gegossen. „

Weiter fahren wir den Ring entlang, in Richtung Oper. „Zur Staatsoper gibt’s eine gute G’schicht. Als der Bau – nachempfundene Renaissance – beendet war, hat man eine Luftaufnahme angefertigt und festgestellt, daß die Staatsoper von oben aussieht wie eine Schildkröte. Der Architekt hat sich daraufhin umgebracht. Ein Bildhauer, der an einer Reiterstatue am Heldenplatz die Hufeisen vergaß, verabschiedete sich damals auf die gleiche Weise. Das nenn‘ ich Hingabe. Und heute? Mein Heizungs-Installateur hat den Thermostat vergessen. Der hat das nachträglich nicht mal auf Kulanz eingebaut.“

Was wäre Wien ohne einen Besuch im Kaffeehaus, der Kultstätte des Schmäh? Das „Cafe Sperl“, eines der traditionsreichsten Lokale, gleich hinter dem Theater der Wien, wo Fendrich 1980 als Musical-Darsteller in der „Gräfin vom Naschmarkt“ seinen Showbiz-Einstand feierte, atmet den Duft der Historie. Hier fühlt man sich sofort zum Sinnieren animiert – ganz so wie die literarischen Bohemiens vom Schlage eines Peter Altenberg, die zu Beginn des Jahrhunderts das geistige Leben Wiens ins Kaffeehaus verlagerten.

Auch Fendrich zieht es zu den Schreibern, plant er doch schon seit längerer Zeit ein Theaterstuck – „eine Zauberposse mit Gesang, so einen modernen .Barometermacher von der Zauberinsel‘ von Ferdinand Raimund, falls ihr den kennt. Warum soll ich denn beim Andrew Lloyd Webber abschreiben, wenn das Gute doch hier so nahe liegt.“ Fendrich, der Neuzeit-Nestroy? Schmäh genug hätt’er ja.

Wir gehen essen. Das „Domicil“ am Rudolphsplatz ist für die Wiener Szene ein ausgezeichnetes Speiselokal, und es bietet erstaunlich viel Gemütlichkeit. An der Bar treffen sich Reserve-Literaten und Medienleute, Musical-Tänzerinnen und Schauspieler.

Gleich nebenan findet sich die rockigere Stehkneipe „Puerto“ mit der richtigen Mischung aus guten Getränken und schlechter Luft bei gleichzeitig hoher Prominenten Quote. Hier delektiert sich der Insider zur Zeit am garantiert biologisch einwandfrei hergestellten Pfirsich-Likör mit Blütenhonig (Herkunftsort: Gerasdorf), oder man greift aufs altbewährte Achterl Weißwein zurück.

Fendrich – im „Puerto“ ziemlich zuhause – meint: „Das hier ist die Kommando-Zentrale des Bermuda-Dreiecks“, jenes weit über die Grenzen des Landes berühmten Gebiets im 1. Bezirk, wo ein Lokal einladender als das andere ist und dem Profi-Nachtschwärmer ausreichend Unterschlupf gewährt. Hier verliert man sich halt gerne.

Wer’s unbedingt noch braucht, kann danach das neueröffnete „Pl“ besuchen, eine gruftige In-Disco mit sehr gut sortierter Musik (viel Hip-Hop, keine Charts) und schönen Teenagern. Oder den Punk-Wave-Klassiker „U4“ in Meidling. Fendrichs Kommentar: „Mir san des zuviele g‘ sundheitsschädliche Lautstärken im unteren und oberen Frequenzbereich. „

Der gesetztere Wiener hingegen – und Rainhard Fendrich zählt sich da allemal dazu – geht gut essen, wechselt dann in das eine oder andere anständige „Beisl“, und wartet dort, „bis der ,jetz-is-aa-scho-wurscht‘-Punkt überschritten ist, um dann schließlich das Lokal .Die Gräfin vom Naschmarki‘ aufzusuchen, das gegen fünf Uhr früh die beste Publikums-Mischkulanz gefunden . hat.“ Damen in Abendrobe, übriggeblieben von der Staatsoper, mischen sich mit hochhackigen Gunstgewerblerinnen, Nadelstreif-Manager treffen auf Peitscherl-Buben (Zuhälter). Es gibt eben doch Momente, da sind alle Menschen gleich.

Und den Tip für den richtigen Abschluß des Abenteuers „Wien bei Nacht“ (übrigens einer von Fendrichs Albumtiteln) gibt uns der prominente Reiseführer schließlich auch noch: „Nach Sonnenaufgang “ landest in der ,Nordsee‘ und drückst dir ein halbes Dutzend Austern ins G‘ sicht. Und mit dem Eiweißschock fährst dann glücklich und zufrieden nach Hause. „

Wien, Wien nur du allein.