Reed & Cale: Warhols widerwillige Erben


Er war ihr Geburtshelfer, aber er war auch ihr Totengräber. Andy Warhol, Mentor von Velvet Underground, hängt auch nach seinem Tod wie ein dunkler Schatten über seinen einstigen Weggefährten. Warum sie gerade jetzt mit der Vergangenheit abrechnen wollten, erklärte Lou Reed ME/Sounds-Mitarbeiter Jörg Feyer.

Noch im März, als ich in den USA den ersten Anlauf zu diesem Interview nahm, hatte Onkel Lou wieder sein Spiel gespielt: Brav hatte ich mein Fax mit dem potentiellen Fragenkatalog vorab an die Pressestelle der zuständigen Plattenfirma geschickt, auf daß Reed via Management, sprich: Frau Sylvia, Einsicht nehmen könne. Zuvor hatte mir der nette Mensch von Warner Brothers geraten, doch „lieber keine Fragen über Andy Warhol“ aufzunehmen; andererseits möchte der Künstler natürlich „über seine aktuelle Arbeit sprechen“. Der große Haken: Die SONGS FOR DRELLA, Reeds aktuelle Arbeit mit Ex-Velvet Underground-Kompagnon John Cale, haben nur ein Thema: Andy Warhol.

Die Audienz wurde schließlich bewilligt, doch buchstäblich in letzter Minute wieder abgeblasen: Zwei infektiöse Weisheitszähne versetzten den Meister nicht gerade in Konversationslaune. Jetzt, fast auf den Tag genau einen Monat später, ist Onkel Lou wieder beschwerdefrei, sitzt auf einem Sofa in der allerersten Hamburger First-Class-Absteige – und reißt mir noch nicht mal den Kopf ab, als ich wissen will, ob denn die via DRELLA vollzogene Konfrontation mit der eigenen Vergangenheit nicht ziemlich schmerzvoll gewesen sei.

„Nun, es war jedenfalls interessant, diese Songs zu schreiben“, entgegnet Reed in seiner typischen Unverbindlichkeit. „Denn wenn du schreibst, treten dabei viele längst vergessene Dinge zutage – und nicht alle sind erfreulich. Die Frage ist: Wo liegt die Schmerzgrenze? Denn du willst dem Hörer gegenüber aufrichtig sein. Warum sonst sollte man sich mit diesem Thema beschäftigen?“

Vielleicht um mit sich selbst ins Reine zu kommen. Und so gesehen macht Reeds anfängliche Weigerung, auch noch in Interviews über Warhol zu sprechen, sogar ein bißchen Sinn. Denn es ist ja alles schon da und gesagt, auf und mit der Platte: Die gegenseitige Bewunderung, die auch dem völligen Kommunikationszusammenbruch trotzte, aber auch die bittere Einsicht, nichts mehr wirklich aus der Welt räumen zu können. Denn Tote können nicht mehr antworten. Nachdem Andy Warhol (Spitzname: Drella – eine Wortkombination aus Dracula und Cinderella) auf Reeds Drängen den Managerposten der Velvet Underground aufgeben mußte, hatten die beiden bis zu Warhols Tod Anfang 87 kaum noch ein Wort miteinander geredet. Reed hatte sämtliche Einladungen des ehemaligen Mentors ausgeschlagen, aus Angst, er könne zu einem weiteren Objekt des manischen Tagebuch-Freaks Warhol (dessen Taperecorder rund um die Uhr im Einsatz war) degradiert werden.

John Cale schleppte während dieser Zeit zwar keinen aufnahmebereiten Recorder mit sich herum. Doch die Kommunikation zwischen ihm und Reed war nichtsdestotrotz kaum besser. Auf die Frage, ob er Calesweitere Solo-Karriere verfolgt habe, antwortet Reed trocken: „Nicht alles.“ Nach einem deftigen Streit um die Führungsrolle bei Velvet Underground : war Cale 1968 ausgeschieden und nach Großbritannien zurückgekehrt.

Im Frühjahr 1990 legt Lou Reed Wert auf die Feststellung, daß es auch ohne den Anstoß von dritter Seite (DRELLA war ursprünglich eine Auftragsarbeit für die Brooklyn Academy Of Music) durchaus wieder zu einer Zusammenarbeit hätte kommen können. Zumindest habe man – „lange bevor die Idee zu DRELLA aufkam“ – wieder gemeinsam musiziert, und zwar „stundenlang, einfach nur so zum Spaß.“

Damit der nicht gänzlich verfliegt, sobald es ernst wurde, sollte zunächst ein Produzent engagiert werden. Doch, so Reed, keiner wollte Polizist spielen“, Und wie lief’s ohne Blitzableiter? „Nun, eine solche Zusammenarbeit ist immer schwierig, weil du gern selbst alle Entscheidungen treffen möchtest – ich möchte das zumindest tun. So gab es natürlich Auseinandersetzungen über alle möglichen Dinge. Aber das Fundament war da: Die Herangehensweise, die Haltung, die Präsentation – da stimmten wir überein.“

Daß DRELLA den Grundstein für eine weitere Kooperation oder gar für eine Art „Velvet Underground-Reunion“ legt, ist allerdings höchst unwahrscheinlich. Den Kult-Status der Band hatte gerade John Cale immer wieder in Frage gestellt. Die alten Songs, ließ er sich vernehmen, würden heute „wirklich wie alte Platten klingen“. Außerdem, so unkte Cale, hätten wohl einige, die die Velvets posthum in den Himmel hoben, nie eine Show der Band gesehen oder „alle Platten richtig gehört“.

Lou Reed sieht das etwas anders. Stolz und mit jenem strengen Interview-Pokerface, das keine Zweifel erlaubt, berichtet er, daß er „immer wieder Leute in zig-Bands getroffen“ habe, die ihm erzählten, „was die Velvet Underground für sie bedeutet haben“. Und nicht nur das: Als Reed kürzlich in der CSFR weilte, um im Auftrag des „Rolling Stone“ ein Interview mit Staats-Präsident Vaclav Havel zu führen, habe der – offensichtlich ein leidenschaftlicher Velvet-Fan – ihm „direkt ins Gesicht“ gesagt, welche politische Dimension die Band gehabt habe. Da konnte ein erstaunter Reed „aus erster Hand“ vernehmen, daß in der Zeit des Prager Frühlings sogar Leute ins Gefängnis wanderten, weil sie heimlich unterm Ladentisch mit Velvet Underground-Tapes handelten. „Das“, sagt Lou Reed, „war eine wunderbare Erfahrung – zu erfahren, wieviel die Kraft der Musik mit den Menschen zu tun hat, mit den Veränderungen in diesem Land.“

Reeds heftige Benefiz-Aktivitäten der letzten Zeit – der Promo-Abstecher gen Germany war genau zwischen Londoner Mandela-Konzert und Liverpooler Lennon-Tribut plaziert – legen die Vermutung nahe, daß ihn auch in anderen Territorien die Sorge um soziale Underdogs umhertreibt. Kürzlich war Reed – immerhin ein Mann, der seine Sujets vornehmlich im Großstadt-Dschungel findet – sogar auf Willie Nelsons „Farm Aid“-Country Gala vertreten … „Ich muß an die Sache und an die beteiligten Leute glauben können“, umreißt er seine Benefiz-Grenzen. “ Und ich muß wissen, wo das Geld hingeht. Wenn Musiker nicht auch über stilistische Grenzen hinweg kooperieren würden, dann gäbe es auch all diese Aktivitäten nicht, die ich für gut halte.“

Weniger positiv fielen einige Stimmen zur einmaligen Aufführung des DRELLA-Projekts in New York aus. Doch Kritiker kümmern Lou Reed nach wie vor überhaupt nicht – oder doch mehr, als er selbst zugeben mag? Wohlkalkulierte Selbstironie liegt jedenfalls in Reeds Worten, wenn er knapp feststellt: „Die guten Rezensionen haben erfaßt, worum es geht – die schlechten sind dumm. Und bitte schreib: ,Er hat gelächelt, als er das gesagt hat …'“ Sofem man die kaum wahrnehmbare Lichtung seines Gesichts „lächeln“ nennen kann…