Reime aus der Platte


Die Osterweiterung der Popkultur schreitet voran. In polnischen Trabantenstädten beispielsweise wimmelt es plötzlich von MCs, die in einer Sprache rappen, die hauptsächlich aus Konsonanten zu bestehen scheint. Ein Streifzug.

1. Kret

Trostlos? Grau? Verranzt? Es könnte schlimmer sein. Viel schlimmer sogar. Das Warschauer Viertel Ursynow ist so etwas wie die Geburtsstätte des polnischen Hiphop. Behaupten die einen. Die anderen können da nur lachen. So ist das in der Szene, Einigkeit ist nicht gerade ihre Stärke. „Früher“, sagt Kret, ,früher, als Molesta noch hier wohnten, war das eine echt heftige Hood.“ Heute lässt es sich aushalten in Ursynow, zumindest wenn man mit seinen Eltern in einem der neueren Gebäude wohnt und ein kleines Zimmer mit PC und Turntables ganz für sich alleine hat. Ein paar Zentimeter Vinyl, Backstagepässe, weisse Socken. Kret alias Dizkret alias Wojtek Nosowski ist 19. Die erste Platte hat der MC mit 15 aufgenommen, den ersten Clip mit 18 gedreht. Seine Eltern können stolz auf ihn sein. Kret ist sympathisch, clever und höflich. Er studiert Politikwissenschaft, trinkt nicht, wählt die Liberalen. Ist Nichtraucher. So hatten wir uns das eigentlich nicht vorgestellt!

Klar gibt es auch die harten Rapper, die fiesen und ungepflegten. Die Trinker, Kiffer, Hools und Schläger. Aber die wollen natürlich nicht mit einem reden. „Haben sowieso nix zu sagen“, sagen die Netten.

Kret gehört zur Trueskool, seine Idole sind Jurassic 5, A Tribe Called Quest und Mos Def. Die Musik seiner Crew Stare Miasto („Altstadt“) ist erstaunlich gut produziert. Fett müsste man wohl sagen. Verdammt fett! Um Politik geht es nie in den Reimen des angehenden Politologen. Stattdessen dreht sich fast alles um die eigenen Skills: „Ich versuche, so viele Binnenreime wie möglich in eine Zeile zu packen.“ Dann holt er einen ganz anderen Track aus den Tiefen seiner Speicherplatte. „Freunde von mir, völlig andere Schiene“, kichert Kret und übersetzt: „Und alle wollen sie mein Autogramm auf ihren Titten.“ Sicher, auch das ist polnischer HipHop.

2. Russenmarkt

Die billigsten CDs der Stadt gibt es im „Stadion des Jahrzehnts von Volkspolen“. Dort, am Ostufer der Stadt, befindet sich einer der größten Basare Europas. Tag für Tag werden Hunderte von Ständen, Buden und Zelten aufgebaut. Russen, Ukrainer, Vietnamesen und Balten verscherbeln hier ihre Ware. 10 Zloty, 5 Mark oder etwa zweieinhalb Euro kostet die neue CD von Michael Jackson, kosten Mick Jagger, Ricky Martin und der „Blokersi“-Soundtrack, Polens erfolgreichster HipHop-Sampler. Zwischen Kaviar und Kaffeekannen, Pelzmänteln und Pistolen, Pilzen, Pornos und Mobiltelefonen werden Bootlegs vertickt. In rauhen Mengen.

Legal ging die „Blokersi“ Compilation rund 20.000 Mal über den Ladentisch; die Raubkopie, so schätzt man, hat sich bereits 40.000 Mal verkauft.

3. Red

„O.k., ihr werdet mir das jetzt vielleicht nicht glauben, aber es stimmt-ich komme aus Genf! Vater: Kroate, Mutter: Polin. Ich bin eigentlich erst seit ein paar Monaten in Warschau.“ Red kratzt sich unter der Baseballmütze. Früher hat er bei Def Jam gearbeitet, HipHop ist sein Leben. Der 24-jährige Produzent, MC und MTV-Moderator versteht mehr von amerikanischem, britischem und französischem HipHop als die meisten anderen in Polen. Deshalb sitzt Ernest Ivanda, wie er eigentlich heißt, hier auf diesem Stuhl, deshalb ist er in Warschau, deshalb kennen ihn alle, obwohl er gerade erst angekommen ist. Red spricht Polnisch mit Akzent, kein starker Akzent, aber immerhin. An der Credibility muss noch gefeilt werden.

„Ihr müsst euch vorstellen, dass es hier bis ’89 keinerlei HipHop-Platten gab. Und auch nach der Öffnung dauerte es eine ganze Weile“. Red gähnt. „Dann kam Liroy und verkaufte 500.000 Alben. Eine unvorstellbare Zahl in diesem Land. 500.000! „Der MTV-Moderator beugt seinen schweren Körper über den Tisch: „Er ist kein guter Rapper, aber musikalisch war es nicht schlecht. Immerhin hatte Liroy Ice T und jemand vom Wu-Tang Clan in da Joint. Sein zweites Album war längst nicht mehr so gut, und heute mag ihn keiner mehr.“

Wenn man sich in der Szene über etwas einig ist, dann über Liroy – der Mann hat es, wie man so sagt, gründlich verschissen. Weder die Netten noch die Fiesen mögen ihn. Molesta, DJ Volt und Kaliber 44 aus Katowice, darauf kann man sich schon eher einigen. Die haben ihre historischen Rollen in der gerade mal sechsjährigen Geschichte des Genres. „In Polen ist Hip-Hop ein ganz junges Phänomen, das neue Ding. Keiner weiß, was Oldschool ist, selbst die meisten MCs nicht.“

Das Rap-Publikum? Viele junge Mädchen, Dörfler, Jungs, die fast alle selbst an irgendwelchen Tracks basteln. „Die meisten Fans in der Provinz kennen nur polnischen Hiphop. Die haben noch nie in ihrem Leben das Original gehört.“

4. Pizza Hut

Plac Bankovy, Neonreklame, Hochhäuser, das Rauschen der U-Bahn.

Ob es an der Pizza liegt? Red quasselt ohne Ende, sagt Dinge, die kein „normaler“ Pole sagen würde. Nicht mal die Streetrapper. Zum Beispiel: „Die Kirche stinkt“ oder „Radio Maria ist der Teufel“ (Radio Maria ist ein erzkonservativer katholischen Radiosender). Er lacht dabei, ein Spaßmacher.

Ganz anders der Mann, den uns Red als „die Zukunft des polnischen Hiphop“ Vorstellt. Obwohl Eldo aussieht wie eine tschechische Zeichentrickfigur, bleibt er ernst und ruhig. Ein Charismatiker. Eldo alias Leszek Kazmierczay, 22 Jahre alt, ist einer der berühmtesten Rapper Polens. Überleben kann er trotzdem nicht von der Musik; tagsüber arbeitet Polens seriösester Rapper deshalb als Computer-Experte in einer Kaserne.

„Swiatla Miasta“ („Lichter der Stadt“), das Debütalbum seiner Band „Grammatik“, und Eldos Soloplatte gehören zum Besten, was der polnische Hiphop bisher hervorgebracht hat. Auch Leszek ist ein „Blokersi“, wie man die Jugendlichen aus den Plattenbau-Siedlungen nennt. Aufgewachsen im Arbeiterviertel Bemowo, trug er schon mit zwölf weite Hosen. „Mein erstes großes Rap-Konzert war damals Run DMC.“ 1999 nahm Eldo die erste EP auf, im Jahr 2000 ginges dann richtig los: mit 103 Konzerten in 18 Monaten!

„Ich bringe den Leuten bei, wie man sich im Leben richtig verhält“, sagt er ganz unbescheiden. Promoting a good life. Sohn eines Offiziers, Vorzeigeschüler und bekennender Moslem, ist der MC eine brisante Mischung. „Ich habe kein Problem mit Autoritäten“, gesteht Eldo, „warum soll ich also die Polizei hassen?“ Und die Street-Rapper?“Viele Thug-Rapper kommen gar nicht von der Strasse. Sie behaupten das nur, weil es sich einfach gut macht.“ Ein beliebtes Thema: Authentizität, Rivalität, Credibility. Dass der Alltag „fucked up „ist, steht aber auch für Eldo fest. Korruption ist das Stichwort. Korruption auf allen Ebenen und in allen Lebenslagen. „HipHop ist die einzige Stimme meiner Generation, das soziale Gewissen “ CNN Warsaw sozusagen.

Die Vergangenheit? „In jeder Familie gab es Leute, die umgebracht wurden „, sagt Eldo über den Zweiten Weltkrieg. Warschau ist von den Deutschen so gründlich zerstört worden, dass nur noch ganz wenige Häuser stehen geblieben waren., Aber das ist Geschichte. Wir reden über unsere heutigen Probleme. „Er meint: Diebstahl, Drogen, das Leben in den Plattenbauten. „Käfige“, nennt er sie. Eldo überlegt und fügt hinzu: „Viele HipHop-Fans sind Rassisten, viele Street-Rapper sind Rassisten, viele Texte sind rassistisch.“ Wenn schwarze Rapper nach Polen kommen, müssen sie vor ihrem eigenen Publikum beschützt werden. Red: „Sobald die Musiker das Mikrofon hinlegen, sind sie für die nur noch Nigger.“

5. In the Ghetto

Ein heruntergekommenes Haus, das früher innerhalb der Ghetto-Mauern stand. Kein Eastcoast-Ghetto, kein Westcoast-Ghetto, sondern das Warschauer Ghetto. Oldschool. Der Eingang: eine Höhle. Unter dem Stuck schuppt sich die Decke, die gelben Wände sind über und über mit Tags beschmiert: Namen von Sprayern, Bands, Gangs. Und das Übliche natürlich:

Schwänze, gespreizte Beine und Hakenkreuze. Die Türen zu den Wohnungen sind verkettet, im dritten Stock eine Handtasche. Durchgeschnittener Trageriemen: Papiere, Lippenstift, Taschentücher kreuz und quer auf der Treppe verstreut. Streetlife.

6. Arek

Von seiner Wohnung aus sieht Arek zwischen Marriott-Turm und Sony-Reklame den „Stalin-Palast der Kultur und Wissenschaft“. 234 Meter hoch, ein Monster im Zuckerbäckerstil. Arek Delis ist Label-Chef und Magazinmacher. Sitz seiner beiden Unternehmen ist Areks Zwei-Zimmer-Appartement. Küche, Bad, Schlafzimmer, Büro. Zusammen mit einem Freund hat der Mittdreißiger das einzige HipHop-Magazin Polens gegründet: „Klan“. Natürlich hat man sich schon nach wenigen Ausgaben zerstritten. So ist das nun mal. Dann kam das Label „Ti Records“: sechs Alben im Jahr 2001, zehn sollen es 2002 werden. Major-Vertrieb, immerhin. „Qualität statt Quantität“, sagt Arek. Mindestens 30 Demos bekommt Arek Monat für Monat. Meistens ist nichts Berauschendes dabei. „Der Text ist den meisten Crews wichtiger als die Musik.“ Arek ist viel unterwegs: Szenen gibt es in Gdansk, Katowice, Lodz und Szczecin. Vor allem in Szczecin. Dort finden die besten Parties statt.

Und das Geld? Arek zuckt mit den Schultern. „Man mag über ihn sagen, was man will, aber Liroy hat uns damals gezeigt, dass man mit Hiphop Geld verdienen kann.“ Heute besitzt er einen gut gehenden Tattoo-Shop, ein Plattenstudio und wer weiss was noch alles. Klar, dass ihm die Street-Credibility gestohlen bleiben kann.

7. Konsonanten

„Es ist sehr schwierig, in der polnischen Sprache zu rappen „, sagt Eldo. „Wir haben sehr lange Wörter, viele Silben, jede Menge Dsch- und Sch-Sounds. Dschschschschsch. Man braucht sich bloß die Titel anschauen. Unaussprechbar. ,Zwyczajne Marzenia‘, ,Jest Juz Pozno, Pisze‘ oder ‚Kazdy Ma Chwyle‘.“

8. Back in Ursynow

Neuschnee. Kinder, die winzige Hügel hinunterrodeln. Alte Frauen mit schweren Taschen, ein paar Stände, an denen das verkauft wird, was überall verkauft wird: Hausschuhe, Tischdecken, eingelegte Paprikas und Pfifferlinge. Mit Kret und seinen Musikerfreunden in der Trabantenstadt. „Obroncy Tytulu“ nennt sich sein MC-Squad – zu Deutsch: „Titelverteidiger“. Beton, vollgestellte Balkons und jede Menge Graffiti. Poster für eine Tanzveranstaltung.

„Überall hier, in fast jedem Block, wirst du jemanden finden, der HipHop macht“, sagt Kret. Ja, eigentlich jeder, der weite Hosen trägt“, ergänzt Karol Nowcowski alias Plus: ,Aber das hat eher mit Soziologie als mit Musik zu tun“, lacht er. „Manche wollen einfach nicht glauben, dass man nicht unbedingt arm sein muss, um HipHop zu machen“, schimpft Kret: „Deshalb tun sie so, als ob sie Kaputtniks wären „. Kret, Romek, Stasiak und Plus kommen aus ganz normalen Familien. Schließlich sind längst nicht alle in den Plattenbauten Sozialfälle. „Aber auch wenn unsere Väter keine Trinker sind und wir kein Heroin nehmen, kennen wir Leute, bei denen es ganz anders zugeht“, erzählt Romek. Roman Kühl alias „DJ Romek“ spricht fließend deutsch. Sein Vater ist Berliner. „Wenn du hier wohnst und zur Schule gehst, hast du zwangsläufig Freunde, die geprügelt werden, Drogen nehmen und Autos knacken.“ Freunde, die früher oder später im Gefängnis landen, auf dei Intensivstation oder gleich auf dem Friedhof.

Während wir an Sportplätzen und Mietskasernen vorbei durch den Matsch stapfen, erinnert sich der 21-jährige an frühe Hiphop-Parties. „Keiner hat getanzt“. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Die Warschauer Hiphopper sind zu cool, um sich zu bewegen. Man steht einfach herum, und irgendwann prügeln sich Zwei. „Damals kam es regelmäßig zu Massenschlägereien. Wir waren ja noch Kinder, aber manchmal bist du einfach mit hineingerutscht.“ Heute büffelt Romek BWL, Stasiak geht noch zur Schule, und Plus absolviert ein interdisziplinäres Studium. Irgendetwas mit Psychologie und Soziologie. Kret schaut auf die Uhr: Die Prüfungen, das Mittagessen, die Binnenreime.