Acid Pauli

BLD

Ouïe/Rough Trade

House ohne Kickdrum: Was nach einem verkopften Experiment klingt, ist doch sinnlich wie die Hölle – aber vor allem Martin Gretschmanns neuestes Plädoyer für die Fantasie.

Acid Pauli war ursprünglich eigentlich einmal gedacht als Tanzboden-Identität von Martin Gretschmann. Als Console fertigte der sonst verspulte Electronica, als für Clicks & Cuts zuständiges Mitglied von The Notwist holte er deren Postrock in die Jetztzeit und war damit entscheidend verantwortlich für deren Erfolg. Da Console zuletzt 2010 veröffentlicht hat, und der mittlerweile in Berlin lebende Oberbayer 2014 The Notwist verließ, rückt nun halt das Sideproject Acid Pauli in die erste Reihe.

Dass BLD als zweites Album nach dem Debüt von 2012 nun unter diesem Namen erscheint, ist ebenso konsequent wie inkonsequent. Denn einerseits bedient sich Gretschmann für die acht Tracks des Albums, die allesamt Vornamen von A wie „Abbebe“ bis R wie „Ren“ tragen, bei der Ästhetik von House und Minimal Techno. Andererseits verzichtet er aber ausgerechnet auf das entscheidende Element jener Genres, die geheiligte Kickdrum: Die ist schließlich dafür zuständig, bei jedem zünftigen Track den Takt zu halten, jenes eigentlich unverzichtbare Four-on-the-floor vorzugeben, ohne das die Tanzenden verloren zu sein scheinen.

Die Bassdrum und ihr 4/4 abzuschaffen, ist ein Statement. Allerdings eins, das im Kosmos von Martin Gretschmann nicht wirklich überrascht. In all den Jahren, ob als Console oder mit The Notwist, hat er sich stets nie mit den Konventionen begnügen, von scheinbaren Genregesetzen einengen lassen. Also auch wenn BLD mit seinem Piepsen und Klackern, dem ätherischen Wabern von „Majid“, dem gemütlichen Klangkaffeekränzchen „Joan“ oder den geisterhaften Störgeräuschen von „Amadou“ ganz und gar nicht an das gewöhnlich eher pelzige, nahezu kuscheltierartige Sounddesign von Console anknüpft, bleibt Gretschmann in seiner Verspielt- und Verspultheit doch immer Gretschmann.

Er mag sich mit House einem Genre zugewandt haben, das weitgehend ausformuliert schien. Aber er hat sich neue Klänge für die alten Ideen gesucht, und die holt er nicht nur von weiter entfernten Orten als die Konkurrenz, sondern benutzt sie auch kreativer und verwegener als andere. Zugegeben, tanzen kann man dazu nur sehr selten. So gesehen mag das Experiment, House ohne Bassdrum zu erschaffen, gescheitert sein. Aber darauf ist echt geschissen, denn in jedem Track aufs Neue kann man sich bei der Suche nach kleinen und kleinsten Details verlieren. Man stößt auf durchgeknallte Ideen und irrwitzige Brüche und wundert sich dann, dass die Stücke nicht auseinanderfallen, schier platzen vor Glück. BLD mag sich verstehen als ein Statement gegen das Diktat der Kickdrum. Vor allem aber ist es ein Plädoyer für die Fantasie.