Carly Simon – Boys In The Trees

Es waren immer nur wenige Songs auf Carly Simons Platten, die unter die Haut gingen, aber fast immer gelang es ihr (auch durch den Einsatz prominenter Gastmusiker) musikalische Stilleben zu schaffen, deren geschmackvolle Eleganz auch nach dem hundertsten Wiederhören noch besticht. So ist es auch bei ihrem neuen Album „Boys In The Trees“. Der Titeltrack verrät es: weder an stilistischer Weiterentwicklung noch an der Formulierung schwieriger Probleme ist der Sängerin aus „gutem Stall“ gelegen. „Boys grow in the Trees“ ist eine nette Variation der Klapperstorchlüge, die ihr – so erinnert sich Carly wieder – daheim „in my old narrow bed“ ihre gute Mutter einst aufgebunden hat. Versteht sich von selbst, daß hübsches, akustisches Gitarrengeplänkel die Idylle umrankt.

Die Erinnerungen einer höheren Tochter bestimmen auch „In A Small Moment“ oder „Back Down to Earth“, Stücke, die man vermeint, schon von anderen Simon-LP’s zu kennen. Seichte, leichte Muse – nachmittägliche Fingerübungen einer gelangweilten New Yorker Lady. Daß diese dem kalten Manhattan-Winter in die Karibik entflieht deutet „De Bat (Fly in me Face)“ an: Carly äfft das „Jive“-Idiom der Antillen-Neger nach, eine Pseudo Steeldrum-Samba. Gemeinsam mit Ehemann James Taylor hat sie dann noch den alten Everly Brothers-Schmachtfetzen „Devoted To You“ neu aufgenommen. Und als ich „One Man Woman“ hörte, dachte ich zunächst, noch eine zweite Cover-Version zu vernehmen. Wer’s nicht gleich weiß, wo hier geklaut wurde, dem sei verraten, daß hier „Dancing In The Street“ (unter anderem von Martha & The Vandellas erfolgreich interpretiert) von James Taylor fachmännisch ausgeschlachtet wurde. „Tranquillo (melt my heart)“ im „Night Fever“-Discobeat arrangiert, weist Carly als regelmäßige Besucherin der New Yorker in-Disco „Studio 54“ aus. Über die anderen Stücke verkneife ich mir lieber jedes Urteil, denn ich will das Kind nicht mit dem Bad ausschütten. Soll heißen: obwohl Carly unter Mithilfe ihres Ehemans und Studio-Assen wie Eric Gale, Richard Tee, Randy Brecker, Steve Gadd, Hamish Stuart ein reichlich zusammengeborgtes Album vorlegt, höre ich doch ihre Stimme sehr gern und lege „Boys In The Trees“ mit Vorliebe zum geselligen Kaffeetrinken auf.